Cultura | Surrealismus

„Eine unglaubliche Geschichte“

Die Geschichte zu einer Collagereihe von Alexander Dellantonio, frei und 100 Jahre nach Surrealistischen Motiven, von links nach rechts in zwei Zeilen zu lesen. Übersetzung: Michael Denzer.
„One last escape into the Realm of Dreams“, Alexander Dellantonio, Galerie Carmen
Foto: SALTO
  • Eine Geschichte von einer verrückten und grenzenlosen Liebe die keiner Erklärung bedarf.

    Die Sage von zwei Personen, die einander liebten, sodass sie eines Tages miteinander verschmolzen waren.

  • On November 23rd, 2/23: Foto: Alexander Dellantonio

    Die Fusion ihrer Seelen und Körper ereignete sich in einer Donnerstagnacht, am 23. November 1916.

    Sie hatten klare Sicht aufeinander, wie sie nun waren – in einer Welt, die auf dem Kopf stand.

    Ihr Verständnis und ihre Sicht waren außergewöhnlich erhellt aber dennoch nicht weit von der Realität entfernt – so begannen sie bei dem, was sie schon wussten – sie genossen ihre Eigenheiten als ein besonderes Wesen …

    Mehr noch sollte sich ereignen.

    Ihre überraschende Verwandlung erlaubte ihnen durch Raum und Zeit zu reisen – so gingen sie, zur Probe, nach draußen, um mit den Planeten zu spielen und zwischen den Trabanten zu springen, funkend wie die Sterne …

    Es dauerte nicht lange und ihr Verlangen nach neuen Erfahrungen erreichte eine neue Bewusstseinsebene: Was hielt die Geschichte für sie bereit?

    Die beiden wollten es sich nicht einfach machen und ohne das Bedürfnis nach besonderen Kräften beschlossen sie nach Argentinien einzuschiffen, gemeinsam mit den Italienern, die auf der Flucht vor der Armut in ihrem Heimatland waren. Bewegung ist Leben und eine grundlegende Anerkennung dessen wurde ihnen auf dieser Reise auf der sich weithin erstreckenden See zuteil. 

    Die Gerüchte und der Groll eines zu Ende gegangenen ersten Weltkonflikts echoten bald bis nach Südamerika – sie suchten ihre lebhafte, wenngleich noch unvorbereitete Fantasie heim.

  • Embraced in fear, 9/23: Foto: Alexander Dellantonio

    Sie beschlossen, eine Reise nach Deutschland zu machen, um aus einer Perspektive von außen zu sehen, was ein zweiter Krieg dieser Art bald mit sich bringen würde.

    Voller Furcht nahmen sie sich in die Arme, angesichts all der Zerstörung, die sie vor sich fanden.

    Plötzlich hatte Frieden eine andere Bedeutung.

    Die Zeit wechselnd in die 80er beschlossen sie sich auf den Nachhauseweg von dieser furchtbaren Erfahrung zu machen – sie fuhren auf einem Motorrad.

    Stumm waren sie während dieses Roadtrips – beide in Gedanken ganz bei sich und derselben Sache – geteilt wie zwei Länder mit demselben Namen.

    Die Zerstörung und der Zerfall, wie auch die Gründung gänzlich neuer Länder und Grenzen führte sie nach Palästina – und zu dessen neulich adoptiertem Kind Israel.

    Sie verbrachten eine aufregende Zeit zwischen den mit Maleke-Sand angerührten Mauern mit ihren endlosen Ecken, als sie auf einen armen alten Mann trafen. Während sie der obdachlosen Person dabei halfen, wieder auf die Beine zu kommen, baten sie den Mann aufrichtigst um Verzeihung – sie spürten, dass Geld die Leute ärmer statt reicher machte.

    Dennoch beschlossen sie, noch etwas länger im schönen Jerusalem zu bleiben – sie spielten Verstecken zwischen den zerfledderten Postern der vielen Kinos der Stadt.

    Unbemerkt – in den Papierschichten auf denselben Wänden lebend – konnten sie die Freude der vielen Familien von Überlebenden sehen, denen – allen furchtbaren Grausamkeiten zum Trotz – der Segen zuteilwurde, mit ihrem Leben zu entkommen – sie kümmerten sich um deren Kinder und Jugendliche – während sie gemeinsam alt wurden.

    Dieser beeindruckende Umstand verdeutlichte ihnen die Wichtigkeit davon, Leben und Liebe zu teilen – was auch immer es brauchte.

    Die Lektion war klar – immer neugierig zu bleiben und nie aufzuhören, nach Neuem zu hungern.

    Es war an der Zeit – nach all diesen Eindrücken – einander einfach wieder zu genießen, sodass sie beschlossen, eine Genussreise ins traumhafte Prag zu machen – dort könne man leben, wie in einer anderen Zeitperiode, so hatten sie gehört.

  • On Kingsbridge, 14/23: Foto: Alexander Dellantonio

    Beim Überqueren der wohlbekannten Kingsbridge ereignete sich eine seltsame Begegnung mit einem kindlichen jungen Mann, der in Gesellschaft eines weißen Schwans als ständigen Begleiter unterwegs war. Er hielt sie auf und fragte sie, ob sie etwas suchen würden.

    Karel sei sein Name, sagte er zu ihnen, als sie mit ihrer Antwort zögerten. „Ihr könntet meinen Freund Styrsky am Osvobodzenè divadlo, dem befreiten Theater aufsuchen und ihm ein Butterbur – eine Pestwurz – bringen. Sagt ihm, es ist eine königliche Nachricht“, meinte er lachend.

    So taten sie es und machten sich mit einer Pestwurz auf den Weg in die Vodickova Straße, wo sie Styrsky vor dem Novak House entdeckten, durch seine dicken, runden Brillen blickend, als ob er schon von ihrer bevorstehenden Ankunft gewusst hätte.

    Nach einer kurzen Begrüßung und Unterhaltung nahm er sie auf einen Spaziergang durch Stare Mesto – Prags erstem Bezirk – mit, wo sie heimlich auf die seltsamen Vitrinen schielten.

    „Seht euch die Schaufensterpuppen an“, meinte er zu ihnen. „Sie können euch sehen.“ Aber nichts schien sich in deren Augen zu bewegen. Das einzige, was sie beide sehen konnten, war ihr gebrochenes Abbild ihrer selbst in der Vitrine. Der Satz hatte sie ein wenig verwirrt. „Denkt darüber nach und falls sich euch die Gelegenheit bietet, besucht den Puppenspieler in seinem Atelier.“ Er wandte sich von ihnen ab und hob seine Hand zum Gruß. „Und danke für die Pestwurz.“

    Sie sahen ihm dabei zu, wie er in den Schatten des späten Abends verschwand, in den zauberhaftesten Momenten des Tages in dieser magischen Stadt.

    Zeit verging erneut und einmal, als sie wie wahnsinnig über den von den Lichtern der Stadt erhellten Himmeln tanzten, geschah es. Der Zauber war verflogen und sie fielen mit ihren Köpfen zuerst Richtung Boden in die Welt der Sterblichen und der Materie. Die plötzliche Unterbrechung ihres Zustands ließ sie in einer fadenscheinigen Form erscheinen, die so furchteinflößend war für ihre Mitmenschen, dass diese aus Angst vor dem Anderen in Panik gerieten und begannen, ihnen nachzustellen als wären sie eine trügerische Kreatur.

    Es schien, als wären ihre Kräfte verschwunden – nun ging es darum, sich zu verstecken und einen sicheren Unterschlupf zu finden.

  • The libraty, 17/23: Foto: Alexander Dellantonio
  • Diesen fanden sie zwischen Bücherstapeln in einer alten, verlassenen Bibliothek, die sehr nach einem expressionistischen Bühnenbild aussah.

    Dort hatten sie viel Zeit, darauf wartend, dass sich die Situation beruhigen würde. Zu viel Zeit vielleicht, sodass in dieser ihnen aufgezwungenen Isolation nicht mal mehr die Bücher ihnen Trost spendeten. An einem gewissen Punkt begannen sie zu streiten und über ihre eigene Natur zu diskutieren, verzweifelnd versuchend, ihren Abstand zu finden. Es dauerte Tage, um wieder zueinander zu finden da sie praktisch unzertrennbar waren.

    Der Moment zum Ausbruch war gekommen. Sie nahmen ihre wenigen Sachen und verließen die Bibliothek in einer hastigen Flucht. Es war höchste Zeit aus diesem Gefängnis zu entkommen.

    Ziel? Prag.

  • The puppetmaster, 20/23: Foto: Alexander Dellantonio

    Sie hatten keine Gewissheiten, nur ein Gefühl. Sie mussten den Puppenspieler finden!

    Als sie ihn endlich fanden, saß er in seinem Atelier, von seinen Puppen umgeben – er betrachtete sie – ihre Augen drangen durch Seele und Körper – da erinnerten sie sich an das, was Styrsky ihnen gezeigt hatte …

    „Man muss sich der Vergänglichkeit aussetzen, wenn man unbemerkt bleiben möchte – folgt eurem Drang nach Entdeckungen, falls es das ist, was ihr sucht. Betrachtet eine Sache, bis ihr sie nicht in ihrer Gänze begreift.“ Der Mann war nicht gesprächig, stellte sie aber vor eine Wahl – gejagt zu werden oder selbst zu jagen.

    Die Wahrheit war – auch darin steckte keine echte Entscheidung - und so nutzen sie eine verschwimmende Berliner Dezembernacht als ihre Chance für eine gemeinsame Anstrengung der Verwandlung.

    Sie beschlossen, eine Katze zu sein.

    Denn am Ende vertrauten sie sowohl auf die Menschheit als auch auf deren Menschlichkeit.

  • The cat, 22/23: Foto: Alexander Dellantonio