Cultura | Kulturpolitik

Philipp Achammer: "Wir brauchen eine moralisch-geistige Entwicklung"

Seit den Wahlen im Oktober 2013 ist der 28-jährige Vintler Philipp Achammer jüngster Landtagsabgeordneter und seit knapp zwei Monaten jüngster Landesrat Südtirols. Arno Kompatscher hat ihm die Ressorts Deutsche Bildung und Kultur sowie Integration anvertraut. Salto.bz hat mit Achammer ausführlich gesprochen.

Herr Achammer, Sie haben sich als neuer Kulturlandesrat im Land umgesehen, wie wurden Sie aufgenommen?
Philipp Achammer: Ich habe in dieser Zeit versucht, so viel wie möglich präsent zu sein bei den Trägern von Kunst- und Kulturarbeit im Land. Ich muss sagen, dass ich mir aufgrund meines jugendlichen Alters mehr Skepsis erwartet habe, aber es ist eher eine Erwartungshaltung zu spüren. Für mich ist es nach vielen Gesprächen mit den Verantwortlichen und dem Kennenlernen mehr denn je ein Privileg für die Kultur zu arbeiten, es ist ein Bereich, wo man tiefgreifende gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen kann. Natürlich sind die Leute jetzt neugierig und fragen sich, was "der Junge“ alles kann.

Was kann "der Junge" also, was haben Sie den Vertretern von Kultur zu sagen?
Ich habe versucht, allen meine Grundüberzeugung von Kulturpolitik zu vermitteln: Es ist wichtig, dass es keine Schubladen gibt, es gibt kein Gut und Schlecht bzw. es darf keine Sparte geben, die dem Land genehmer ist als eine andere. Ich sehe die Grundaufgabe von Kulturpolitik, Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass sich Kunst und Kultur frei entwickeln und entfalten können, auch dann wenn sie sehr kritisch sind. Ich glaube in jedem Fall, dass es für Südtirol sehr wichtig ist, sich den Spiegel vorzuhalten.

Was wäre hier ein Beispiel? Wie hätten Sie auf den „Frosch“ im Museion reagiert?
Damals war die ganze Debatte unzureichend vermittelt. Meiner Ansicht nach müssen Kunst und Kultur bzw. muss die Gesellschaft etwas aushalten, auch unangenehme Diskussionen, die medial hochgekocht werden. Bisher hatten wir einen pragmatisierten Stil in der Politik und auch in der Kulturpolitik, mir fällt da eine Aussage von Magnago kurz vor seiner Amtsübergabe ein: Er wünschte sich, dass neben dem Wohlstand auch eine moralisch-geistige Entwicklung in Südtirol stattfindet, damit die Bevölkerung erkennt wie die Dinge einzuordnen sind. Dieses Credo begleitet mich in meiner Einstellung zur Gesellschaftspolitik, weil ich glaube, dass wir nach wie vor Wohlstandsregion sind, aber vergessen haben, die moralisch-geistige Entwicklung frei zu fördern und zuzulassen.

Es gäbe jetzt einen Anlass, dieses Credo gleich in die Tat umzusetzen – wie könnten etwa die skandalösen Politrenten gesellschafts- bzw. kulturpolitisch aufgefangen werden?

Ich würde es als Kulturlandesrat sehr begrüßen, wenn das Thema auch in Kunst und Kultur kritisch aufgegriffen wird, um uns den Spiegel vorzuhalten. Ganz besonders aber ist die aktuelle Diskussion um die Politikerrenten für mich in meiner Anfangseuphorie jetzt so, als ob man mir den Stecker rausgezogen hätte. Denn ich habe immer gegen das Bild des geldgierigen Politikers angekämpft. Ich beziehe meine Motivation daraus, dass ich etwas gestalten kann und so schmerzt mich das umso mehr, weil ich und meine jüngeren Kollegen keine Verantwortung tragen, doch pauschal kommen wir hier auch zum Handkuss.

Wie werden Sie mit dem italienischen Kulturlandesrat Tommasini zusammenarbeiten?
Ich bin überzeugt, dass es eine viel ungezwungenere Zusammenarbeit zwischen den Kulturämtern und den Sprachgruppen braucht. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass es gerade dort verschiedene Kriterien und Normen gibt, wo wir immer von sprachgruppenübergreifenden Initiativen und dem Reichtum unserer Mehrsprachigkeit reden. In der Jugendarbeit, bei gemeinsamen Jugendzentren etwa, könnte man durchaus eine gemeinsame normative Basis schaffen, oder auch in anderen Bereichen der Kulturförderung.

Sie haben mehrmals auf die Notwendigkeit von mehr Sprachunterricht in den Schulen hingewiesen, geht Ihr Konzept über CLIL hinaus?
Es gibt hier viele ideologische Ansätze, ich vertrete zweifelsohne das Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts, aber warum sollte man deshalb weniger offen für neue Sprachunterrichtsmethoden sein? Wir sollten endlich einen ungezwungeneren Umgang mit dem Sprachunterricht in den Schulen finden, auch CLIL hat durchaus Entwicklungskapazitäten. Was ich wichtig finde, ist zu betonen, dasss neben Schule auch das übrige Bildungsumfeld stärker zählen muss, die Eltern, Freunde und die Gemeinschaft. Wie diese etwa den Wert von Mehrsprachigkeit vermitteln, denn das ist entscheidend.

Haben Sie sich mit der Lehrerschaft bereits getroffen?
Mit einigen Organisationen schon, weitere Treffen sind geplant. Ich werde mit Lehrkräften, Eltern- und Schülervertretern, Schulleitern und Direktoren in den kommenden Wochen in ganz Südtirol in einen Bildungsdialog treten. Auch hier ist mir wichtig, zu betonen, dass es zwar auch um die Problematiken in diesen Bereichen geht, aber auch darum, die Freude an der Bildung, an dieser Arbeit zu erneuern.

Wird der derzeitige Schulkalender noch weiter umgebaut?
Bis zum Schuljahr 2015/16 wollen wir den Schulkalender so erweitern wie er im Koalitionsprogramm beschlossen wurde. Vor allem geht es darum, der Überlastung von Schulkindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. Der Konsens auf die 5-Tage-Schulwoche ist weitgehend da, aber wir müssen noch weitere Entlastungszeiten finden. Ich will jetzt hier aber nichts vom Zaun brechen, hier müssen wir zuerst noch Gespräche führen.

Das Kulturbudget des Landes ist knapp bemessen, wird der Sparkurs weitergeführt werden?
Das ist für mich alles andere als zufriedenstellend und ich mache mir längerfristig auch Sorgen um den Kulturhaushalt. Mit den letzten vier Haushalten wurde die deutsche Kultur um 15 Prozent gekürzt, da ist einfach nicht mehr drinnen jetzt. Wir werden über neue Finanzierungsmodelle sprechen müssen, auch mit den Kulturträgern und Vereinen. Es geht darum, Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, es geht um Professionalisierung für die Kulturvereine. Ich will aber künftig für mehr Mittel kämpfen, denn Kultur ist weder Luxus noch Beiwerk, sondern substantiell wichtig für jede Gesellschaft.

Welche Pläne haben Sie mit dem Stadttheater am Verdiplatz, vor allem, wie soll es mit der Stiftung Stadttheater weitergehen?
Das Stadttheater am Verdiplatz hat Synergien notwendig, insbesondere wenn es um eine bessere Abstimmung zwischen den Trägern geht. Jetzt ist eine gute Gelegenheit, um über die Stiftung Stadttheater und ihre Aufgaben nachzudenken, gemeinsam mit dem italienischen Kulturamt natürlich.

Sie haben sich für zwei Mitarbeiter entschieden, die ebenso wie Sie keine Kulturexperten sind, warum haben Sie für Ihr Ressort nicht jemanden mit Erfahrung eingestellt?
Mir war es wichtig zu signalisieren, dass wir ein offenes und jugendlich-euphorisches Team sind, auch in der Ressortdirektion. Ich bin überzeugt, dass unsere geringe Erfahrung kein Nachteil ist, wir haben keine Schubladen. Ich begegne auf diese Weise allen Kulturakteuren auf die gleiche Weise. Mir ist es wichtig, dass meine Mitarbeiter diese Einstellung und diesen Arbeitsstil teilen.

Wer berät Sie in Kulturfragen?
Ich empfinde vor allem die Gespräche mit den Mitarbeitern hier im Haus und in den Ämtern als bereichernd. Ihre jahrzehntelange Erfahrung zeigt vieles klar auf und gibt Rückhalt. Ich bin gerne bereit, mir hier Ratschläge zu holen, auch von außen. Ich lerne Tag für Tag dazu, jeder, der Ideen und Anregungen zur Kulturpolitik einbringen will, ist willkommen. Ich werde sicherlich niemandem die Tür verschließen, im Gegenteil.

Ich habe sie letzthin bei der Premiere des Optionstheaters der Vereinigten Bühnen Bozen getroffen, welches Theater lieben Sie?
Ich gehe sehr gern ins Theater, aber mein eigener kreativer Ausdruck gehört zweifelsohne dem Gesang. Im Theater gehört meine Vorliebe dem Jugendtheater, hier haben wir in Südtirol einige tolle Initiativen laufen. Am 11. März werden wir zum Thema Jugendkultur ins Museion einladen, um die Frage zu klären, was Jugendkultur heute in Südtirol braucht. Denn mir ist wichtig, dass die Jugend die kulturellen und gesellschaftspolitischen Freiräume in Eigenverantwortung nutzt. Das sollten wir viel mehr als bisher fördern und wertschätzen.

 

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Willy Pöder Mer, 04/16/2014 - 08:47

" (...), weil ich und meine jüngeren Kollegen keine Verantwortung tragen, (...)". Zitat aus dem Interview von Christine Helfer mit Philipp Achammer.
Wirklich nicht? stammt das verruchte Gesetz etwa nicht aus dem Jahre 2012? Hat Herr Achammer, wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen damals im Regionalrat nicht auch dafür gestimmt? Wer was mit anderen teilt, stimmt mit denen mit und ist ergo wissentlich und willentlich mit denen vereint.
Bei uns weiß halt niemand was, wann's brenzlig wird. Siehe Sel-Skandal, siehe Stein an Stein, Sonderfonds etc.

Mer, 04/16/2014 - 08:47 Collegamento permanente