Scheiden tut weh?
Sonja Prinoth arbeitet beim ASDI, dem Verein für Getrennte und Geschiedene als Sozialassistentin und Systemische Paar- und Familientherapeutin. Das ASDI wurde 1986 gegründet und bietet Mediationen, psychologische und juridische Beratungen zu Familien- und Beziehungsfragen an.
Frau Prinoth, hat sich das Trennungsverhalten der Südtiroler in den letzten Jahren verändert?
Unseren Verein ASDI gibt es nun bereits seit 30 Jahren, heuer feiern wir Jubiläum und ich muss sagen, dass sich unsere Bekanntheit in den letzten 5 Jahren gesteigert hat, gerade auch in den deutschsprachigen ländlichen Gebieten. Vorher galten wir als quasi italienischer Verein, der sich eben um die Trennungswilligen in der Stadt kümmert, aber die ganze Thematik hat sich in Südtirol in den letzten Jahren verändert. Nun kommen Paare aus der Stadt, aber auch aus dem Pustertal, dem Vinschgau, der Meraner Gegend, dem Ritten, also den ländlichen Bezirken zu uns. Es sind Paare, die bereits in einer schweren Krise stecken, es kann aber auch sein, dass nur einer von beiden die Trennung will und deshalb zu uns kommt. Wir bieten eine neutrale Mediation an, um diese Trennungen und Scheidungen nicht zu einem Drama werden zu lassen.
Wie gehen Sie eine solche Mediation an mit einem Paar, das sich trennen will?
Meist ist einer der Partner der aktive Teil, der- oder diejenige, die den Leidensdruck nicht mehr aushält und eine Trennung einleiten möchte. Dazu möchte ich sagen, dass wir bereits hier mitbegleiten, auch wenn nur einer von beiden an eine Trennung denkt. Viele kommen nicht in dieser Phase zu uns, sondern erst dann, wenn es „nicht mehr auszuhalten ist“. Dann geht es oft darum, die Schuldzuweisungen, Vorhaltungen oder das schlechte Gewissen so zu kanalisieren, dass nicht einer als der Täter und der andere als das Opfer da steht. In einer Trennungsmediation zeigen wir auf, welchen Anteil jeder in der Beziehung hat, in der Krise und im Scheitern. Da macht zwar einer oft den Anfang und legt die Karten auf den Tisch, aber das heißt nicht, dass der andere unbeteiligt an der Ehekrise ist. Die Mediation soll hier auch helfen, dass weniger Hass und Zorn übrigbleibt, denn im Falle dass Kinder da sind, muss ja auch die Elternrolle wahrgenommen werden und da kommt es den Kindern zugute, wenn die Trennung halbwegs gütlich verläuft.
Man bleibt auch dort (in den ländlichen Gebieten) nicht mehr nur der Kinder wegen zusammen, oder wegen der wirtschaftlichen Situation. Der Gedanke hat sich durchgesetzt, dass eine zufriedenstellende Beziehung ein Recht sein kann, das jeder Frau zusteht.
Sind es nun wirklich die Frauen die sich eher trennen, wie man landläufig hört?
Im Durchschnitt sind es knapp mehr als die Hälfte Frauen, von denen eine Trennung ausgeht. Es kann sein, dass Frauen introspektiver sind und mehr reflektieren, hinterfragen, während der Mann die Beziehung weiterlaufen lässt, Familie und Kinder auch dann weiterziehen möchte, obwohl er selbst in der Beziehung unzufrieden ist. Aber das Gefälle ist nicht sehr stark, auch Männer sind oft die Ersteinreicher.
Die Tendenz ist jene, dass die Trennungen und Scheidungen zunehmen, seit den 1990er Jahren hat sich die Zahl laut Astat verdoppelt. Lassen sich die Südtiroler leichter scheiden?
Fast alle meine deutschsprachigen Paare kommen aus dem Pustertal, dem Vinschgau, dem Ritten, der Meraner Gegend oder von weiter her. Die sogenannte emotionale Emanzipation ist nun auch am Land angekommen, definitiv. Man bleibt auch dort nicht mehr nur der Kinder wegen zusammen, oder wegen der wirtschaftlichen Situation. Der Gedanke hat sich durchgesetzt, dass eine zufriedenstellende Beziehung ein Recht sein kann, das jeder Frau zusteht. Leider trifft dieser Gedanke noch auf veraltete wirtschaftliche Strukturen, vor allem wenn der Mann Besitz hat, wie einen Betrieb oder einen geschlossenen Hof. Dann schaut die getrennte Ehefrau sehr oft durch die Finger.
Was passiert, wenn der Wille zur Trennung auf diese für die Frauen ungünstige Realsituation trifft?
Wenn beispielsweise ein geschlossener Hof da ist, und die Frau die Scheidung einreichen will, dann kann sie davon ausgehen, dass sie mehr schlecht als recht davonkommen wird. Oft ist es so, dass sie jahre- oder jahrzehntelang am Hof mitgearbeitet hat, es wurden keine oder nur wenige Pensionsansprüche für sie eingezahlt, alles Geld fließt auf ein gemeinsames Konto, angemeldet war sie vielleicht auch nicht. Oft lebt auch die Familie des Mannes am Hof, da ist es vorprogrammiert, dass die Frau gehen muss.
Sind solche Fälle häufig?
Leider kommen diese Fälle häufig vor; die Frauen ziehen mit den Kindern aus, meist noch weiter weg in das Nachbardorf, weil dem Anschein nach sie "die Schuldige" ist und der Mann der Angesehene bleibt. Meist geben sie ihre gesamte wirtschaftliche Sicherheit auf und das Risiko ist also groß, dass die Frauen in die Armut abrutschen, auch wenn der Mann den Unterhalt für die Kinder bezahlt. Doch ist dieser Unterhalt viel zu wenig, um eine mehrköpfige Familie nach einer Trennung gut weiterzubringen. Natürlich gehen die Frauen arbeiten; doch sind sie oft wenig spezialisiert und bekommen am Land nur schlecht bezahlte Putzjobs, ein Wiedereinstieg in die Arbeitswelt ist für sie sowieso schwierig, viele haben Existenzängste. Aber trotzdem wagen sie den Schritt der Trennung, weil die Vorstellung des Ausharrens und Verbleibens in einer unbefriedigenden Beziehung eben auch nicht mehr in Frage kommt.
Denn oft bleibt nur die schlecht bezahlte Schwarzarbeit und ich möchte nicht wissen, wie es diesen Frauen im Alter ergeht. Ohne wirtschaftliche Selbständigkeit kann frau kein zufriedenes Leben führen, das merken viele oft erst, wenn es in ihren Beziehungen kriselt und es dann zur Trennung kommt.
Trotzdem müssen die Frauen doch auch angemessenen Unterhalt von ihren Ex-Ehemännern erhalten?
Das ist vom Gesetz so vorgesehen, aber leider nur auf der Basis dessen, was aus der Steuererklärung des Mannes errechnet werden kann. Viele dieser Männer haben Besitz und Eigentum und das lässt sich so berechnen, dass am Ende für die Frauen nur sehr wenig herausschaut.
Was würde den geschiedenen Frauen wirklich helfen?
Die Arbeitswiedereingleiderung liegt noch stark im Argen bei uns; hier könnte man viel mehr tun für Frauen in einem gewissen Alter und mit niedrigem Ausbildungsniveau. Denn oft bleibt wie gesagt nur die schlecht bezahlte Schwarzarbeit und ich möchte nicht wissen, wie es diesen Frauen im Alter ergeht. Ohne wirtschaftliche Selbständigkeit kann frau kein zufriedenes Leben führen, das merken viele oft erst, wenn es in ihren Beziehungen kriselt und es dann zur Trennung kommt. Ich weiß aber, dass derzeit bei der Familienagentur des Landes einiges im Gange ist, es werden Modelle zur Unterstützung von Getrennten erarbeitet.
Wenn Kinder dieses positive Beziehungsbild nicht sehen und erleben, dann tragen sie eben auch nur weiter, was ihnen vorgelebt wird.
Was ist mit den Kindern, werden die immer noch nach dem klassischen Modell „Im Alltag die Mutter, am Wochenende der Vater“ betreut?
Es ist nach wie vor meistens so, dass die Kinder bei der Mutter bleiben, vor allem wenn sie jünger sind. Aber die Väter haben begonnen, sich ganz stark einzubringen, die meisten zumindest, ja, es ist oft wirklich so, dass nach einer Trennung die Vater-Kinder-Beziehung auch enger wird. Wir vom ASDI befürworten das natürlich und so kommen wir bisweilen auf ein Betreuungsmodell mit 40 zu 60 Zeitaufwand . Das kommt auch der Frau zugute, wenn der geschiedene Mann die Kinder unter der Woche sieht, so kann sie sich dem Aufbau eines neuen Lebens besser widmen.
Eine Geschichte möchte ich hier kurz erzählen, die schildert, wie es auch geht. Da hat ein Landwirt einen Teil seines geschlossenen Hofes verkauft, um der getrennten Frau eine Abfindungssumme zahlen zu können. Zwar habe er Berge versetzen müssen, damit das möglich war, hat er mir gesagt, doch wollte er seiner Frau mit diesem Geld einen Neustart finanzieren.
Die Rollenbilder sind also beim Aufbrechen, in den Beziehungen und auch in den Trennungen. Es wird mehr daraufgeschaut, eine gute zufriedenstellende Beziehung zu führen, die Kosten dafür werden in Kauf genommen, ist das gut für die Gesellschaft?
Ich sehe diese Auswirkungen positiv. Denn Kinder, wenn welche da sind, haben das Recht in einer Familie aufzuwachsen, wo sie sehen, dass die Eltern sich mögen, sich auch mal umarmen oder küssen. Wo nicht jeder sein eigenes Leben führt und man sich arrangiert und ich rede hier nicht einmal vom Streiten. Aber dass es so etwas wie Zuneigung und Liebe gibt. Wenn Kinder dieses positive Beziehungsbild nicht sehen und erleben, dann tragen sie eben auch nur weiter, was ihnen vorgelebt wird. Schon aus diesen Gründen ist es besser, ein zufriedenstellendes Beziehungsleben anzustreben.
Ihre Absicht, werte Frau
Ihre Absicht, werte Frau Prinoth, ist löblich. Es gibt aber auch die andere Seite die sie leider nicht erwähnen: wie vielen anderen Männern nach der Trennung droht auch Landwirten die Verarmung wenn sie der Ex-Frau und den Kindern Unterhalt und Wohnung zahlen müssen. Vor allem Bergbauern mit geringem Einkommen kann es hart treffen. Land oder gar den ganzen Hof zu veräußern kann keine Lösung sein.
Dieser Fall zeigt wieder
Dieser Fall zeigt wieder einmal, wie problematisch, ja völlig unzeitgemäß das Institut des "Geschlossenen Hofes" ist. Frauen werden auf dieser Grundlage systematisch und schwerwiegend diskriminiert. Es gäbe genügend Möglichkeiten, dafür Sorge zu tragen, dass der Bauer seine Existenzgrundlage behält, aber gleichzeitig die Frau und Kinder ein Auskommen haben.
In erster Linie gehörte der geschlossene Hof bei Talbauern zur Gänze abgeschafft. Da geht es um Millionenwerte, und es ist nicht einzusehen, dass die Frauen und Kinder nach Trennung/Scheidung um ihre wirtschaftliche Existenz bangen müssen.