The French Dispatch
The New Yorker auf Französisch
The French Dispatch ist die französische Ausgabe der fiktiven amerikanischen Zeitschrift Liberty, Kansas Evening Sun. Sie erscheint nun zum letzten Mal, denn ihr Verleger, der ehrenwerte Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) ist verstorben. Es wird im Folgenden durch die letzte Ausgabe der verspielten Zeitschrift geblättert. Zwischen und auf den Seiten finden sich Kritiken, Essays, Kurzgeschichten, Gedichte und nicht zuletzt Comic-Strips. Wem dies selten bekannt erscheint, der fühlt sich vermutlich an einen der letzten Vertreter dieser größtenteils ausgestorbenen Gattung erinnert. The New Yorker, eine sehr real, nämlich wöchentlich erscheinende Zeitschrift gibt es noch heute, und sie stand ohne Zweifel Pate für das illustre Heft, welches der ebenso exzentrische Filmemacher Wes Anderson in seinem neuen Werk filmisch präsentiert. Dies geschieht anhand eines Prologs, in dem die kleine Stadt Ennui-sur-Blasé, irgendwo in der französischen Provinz, vorgestellt wird. Welche Orte gibt es dort, wie ist das Wetter und wie hat sich die Stadt im Laufe der Zeit verändert. Es zeigt sich: So gut wie gar nicht. Als dann weiter durch die letzte je zu erscheinende Ausgabe des French Dispatch geblättert wird, kommen drei renommierte Autor:innen des Blatts zu Wort.
Story #1: The Concrete Masterpiece
Das Porträt einer zweifelhaften Persönlichkeit. Der Maler Moses Rosenthal (Benicio del Toro) sitzt im Gefängnis und malt liebend gern die Gefängniswärterin Simone (Léa Seydoux). Als die Kunstwelt auf ihn aufmerksam wird, spürt Rosenthal eine große Abneigung ihr gegenüber, verwehrt sich dem auf Kommerz ausgelegten Kunstmarkt und rebelliert. Sehr begeistert von ihm und seinem Werk, und deshalb bestrebt, einen Artikel über den Künstler und seine Muse zu schreiben, ist die French Dispatch-Autorin JKL Berensen (Tilda Swinton). Dass sich die Kunst, vor allem aber die bildende weiterentwickelt, sich dem Abstrakten annähert, und dass ein talentierter Maler wie Rosenthal lieber einen kaum als solchen zu erkennenden Akt malt, als die klassisch schöne Zeichnung eines Vogels, wirkt im Euvre Andersons beinahe widersprüchlich, orientiert und bekennt sich der Filmemacher ja nur allzu oft zum Altmodischen, er ist, wie manche dies nennen würden, retro, und mit seinem klaren Stil der wahrscheinlich größte Hipster der Filmgeschichte.
Story #2: Revisions to a manifesto
Klar im Jahr 1968 angesiedelt erzählt die Autorin Lucinda Krementz (Frances McDormand) vom jungen Revolutionären Zeffirelli (Timothée Chalamet). Der spielt Schach, um die Konflikte in der Welt zu lösen und schreibt ganz nebenbei an einem Manifest. Dies braucht in den Augen der Autorin jedoch einiges an Überarbeitung, und ganz unattraktiv findet sie den jungen Mann auch nicht. Pate standen in dieser Episode sicherlich die Filme der Nouvelle Vague, ganz besonders jedoch die Werke Godards aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Nicht nur musikalisch wird etwa Masculin Feminin zitiert, auch in ästhetischer Hinsicht glaubt man mit Chalamet eine Inkarnation des klassischen Godard-Protagonisten Marke Jean-Pierre Léaud vor sich zu haben. Inhaltlich parodiert die Episode die oftmals als überidealistisch zu bezeichnenden Unternehmungen der französischen (und weltweiten) Jugend jener Zeit, die Gesellschaft zu verändern.
Story #3: The Private Dining Room of the Police Commissioner
Der Autor Roebuck Wright (Jeffrey Wright) hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, einen Bericht über den berühmten Koch Nescaffier (Steve Park) zu schreiben. Doch als der Sohn des Kommissars (Mathieu Amalric), bei dem der Koch anstellig ist, entführt wird, ändern sich die Pläne. Wright jagt ebenso wie die Polizei den Entführern hinterher. Es ist eine Hetzjagd und erinnert am ehesten an die actionreicheren Szenen aus Andersons The Grand Budapest Hotel. Gleichzeitig ist diese Geschichte auch am meisten verschachtelt und wirft mit Figuren nur so um sich, ein Umstand, der sich jedoch durch den ganzen Film zieht.
Conclusio
The French Dispatch erzählt so in drei Episoden von den Geschehnissen in und um Ennui-sur-Blasé. Er tut dies, Anderson-typisch in strenger visueller Komposition, bunt und prächtig ausgestattet. Jedes Bild trotzt nur so vor Details und lädt zum wiederholten Ansehen ein. Es ist der definitive Anderson, für manche, so hört man, zu viel des Guten, denn ohne Scham suhlt sich der Auteur in seinem fantasievollen Universum, in dem Klischees ihr Wesen vollkommen zelebrieren, der Realismus einer stilisierten Darstellung weichen muss, und stilistische Elemente wild durcheinandergewirbelt werden. Unterschiedliche Seitenverhältnisse, Farbe und Schwarz-Weiß, Real-Film und Animation wechseln sich manchmal willkürlich, manchmal scheinbar unwillkürlich ab. Schauspielgrößen tauchen auf und verschwinden im Sekundentakt, manchmal bleibt der Eindruck zurück, beinahe verschwenderisch mit großem Talent umzugehen. So erscheint Christoph Waltz für eine kurze Szene, darf zwei Sätze sprechen und verschwindet anschließend wieder. Anderson besitzt den Namen, sich so etwas zu leisten, und in der Fülle an Figuren, Namen, Orten, und Geschehnissen ist es kaum verwunderlich, dass kaum Raum zum Atmen bleibt. Der Film ist atemlos, dabei manchmal atemberaubend, ohne jedoch allzu laut zu sein. Endet er nach knapp zwei Stunden, hat er seine Geschichte(n) erzählt, doch es bleibt nichts für die Gegenwart. Anderson präsentiert mit The French Dispatch ein faszinierendes Kaleidoskop, jedoch eines, welches lediglich in die Vergangenheit blickt. Was man dort sieht, ist Wes Andersons Vision seiner eigenen, verspielten Welt. In Reinform, und nur manchmal am schmalen Grad der Selbstparodie tanzend.