Cultura | Salto Afternoon

Es war einmal in Saló

Einer der größten Skandale der Filmgeschichte darf in diesen Tagen in restaurierter Fassung noch einmal im Kino bestaunt werden. In Bozen am 5. und 6. Dezember.
Saló
Foto: Pasolini
Vier Männer mit großer Macht schließen sich für vier Monate in ein Schloss ein, gemeinsam mit einer großen Anzahl adoleszenten Frauen und Männern, und vier älteren, edlen Damen. Versteckt vor dem Blick der Welt geben sich die vier Männer allen Gelüsten hin, missbrauchen ihre Gefangenen, vergewaltigen sie, verletzen und verstümmeln sie, quälen sie bis zum Tod. In allen Details schildert der französische Schriftsteller Marquis de Sade die Ereignisse der ersten dreißig Tage in seinem wohl bekanntesten Werk „Die 120 Tage von Sodom“. Die übrigen Geschehnisse existieren nur im Entwurf, nämlich in Form von Listen, die beschreiben, was wem wie angetan wird. Als der „sanfte Radikale“ Pier Paolo Pasolini, dessen 100. Geburtstag wir 2022 feiern würden, den Roman bzw. seine Fragmente im Jahr 1975 als zweistündigen Spielfilm in die Kinos brachte, war der Skandal perfekt. In den meisten Ländern wurde der Film verboten, zensiert, gekürzt, und ist vor allem letzteres vielerorts bis heute. Ausgerechnet in Italien kann man den Film ungeschnitten sehen, so auch in der aktuellen Wiederaufführung. Pasolini selbst erlebte das Beben, das sein Film erzeugte, nicht mehr. Kurz davor wurde er ermordet, in Ostia bei Rom.
 

Pasolini teilt seinen Film in drei Kapitel, die, angelehnt an Dantes Inferno drei „Höllenkreise“, nämlich „der Leidenschaften“, „der Scheiße“, und „des Blutes“, heißen.

Den unaufgeregten Schilderungen de Sades nähert sich Pasolini mit der ihm eigenen Ruhe. Poetisch und bedacht inszeniert er die Geschichte rund um „den Präsidenten“, „den Bischof“, „den Fürsten“, „den Richter“ und ihren Opfern. Pasolini verlegt die Handlung in das faschistische Italien, in den Ort Saló, daher auch der Titel. Während sich das Buch lange Kapitel lang mit den Schilderungen der vier alten Damen beschäftigt, beschränkt sich der Film auf Ausschnitte davon. Angeregt von den erotischen Geschichten, die der geschlossenen Gesellschaft erzählt werden, lassen die vier Männer ihren Lüsten freien Lauf. Sie sind die Mächtigen der faschistischen Gesellschaft, haben Macht und wissen sie zu nutzen. Pasolini teilt seinen Film in drei Kapitel, die angelehnt an Dantes Inferno drei „Höllenkreise“, nämlich „der Leidenschaften“, „der Scheiße“, und „des Blutes“, heißen. Ohne zu detailreich zu beschreiben, was der Film anschaulich zeigt, sei betont, dass Pasolini alle Register zieht, um die Perversionen des ungezügelten Menschen unverblümt, unverhüllt, nackt und wahrhaftig zu zeigen. Es sind Szenen der Abscheu, des Ekels, man möchte wegschauen, sich abwenden, sich übergeben. Wie wichtig es ist, hinzuschauen, nicht jenen, die Macht haben, sie missbrauchen zu lassen, macht der Film eindringlich klar. Seine nüchterne, unaufgeregte Erzählweise, die klaren, unverstellten Bilder, die schön nostalgische Musik von Ennio Morricone, betonen den Schrecken menschlicher Handlungen, erst einmal von der Leine gelassen, wild und unbändig den eigenen Trieben folgend.
 
 
Zugegeben, sich ohne Probleme durch die Laufzeit des Film zu kämpfen, ist nicht einfach. Obwohl andere Film mit mehr Blut, Gedärmen, abgeschnittenen Körperteilen und dergleichen aufwarten können, konnte selten ein Film derart erschreckend verstören. Wenngleich ein solcher Vergleich ohnehin albern ist. Dennoch taucht Saló bis heute in allerlei Listen der brutalsten Filme auf. Das zeigt, Pasolinis Magnus Opus hat nicht von seiner Kraft verloren. Eine Kraft, die warnt, ohne den Zeigefinger zu heben. Saló ist eben kein herkömmlicher Horrorfilm, der um der Schauwerte Willen menschliche Perversion ins Rampenlicht stellt, um wie in einem Museum davor zu stehen und sich diebisch daran zu erfreuen. Saló lässt einem das Lachen im Halse stecken bleiben. Der Film ist ein Mahnmal gegen den Faschismus, oder jegliche andere totalitäre Strömung. Er zeigt auf, wozu der Mensch fähig ist, sobald man ihn lässt. Zu tun, was auch immer er möchte. Dass da einige Kollateralschäden entstehen, ist dem System egal. Hauptsache, die Mächtigen hatten ihren Spaß. Bei de Sade endet die Geschichte mit einer kühlen, tabellarischen Abrechnung. Wie viele sind gestorben, und wann. Pasolini verweigert die Auflösung, verweigert das Ende der Qualen. Drinnen im Schloss tanzen zwei junge Faschisten zur Musik aus dem Radiogerät. Draußen im Hof geht die Folter weiter.