Economia | Apfelwirtschaft

Das ist die Berliner Luft

Gerhard Dichgans, Congress Coordinator der Interpoma 2020, im Gespräch über Trends und neue Herausforderungen in der Apfelwirtschaft.
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Gerhard Dichgans bei der Fruit Logistica Berlin
Foto: Maximilian Alber

Heute (5. Februar) wird bei der Messe Fruit Logistica in Berlin der internationalen Presse auch die Interpoma 2020 in Bozen vorgestellt. Die Interpoma ist die einzige Messe der Welt rund um den Apfel und bringt alle zwei Jahre die internationale Apfelwelt nach Bozen. Am 19.-21. November 2020 ist es wieder soweit. Gerhard Dichgans, der neue Koordinator des international renommierten Interpoma Congress spricht mit uns über Trends und Herausforderungen in der Apfelwirtschaft.

salto.bz: Herr Dichgans, was genau machen Sie bei der Messe Fruit Logistica in Berlin?
Gerhard Dichgans: Wir präsentieren hier auf der Fruit Logistica den neuen Interpoma Congress und die heurige Auflage der Fachmesse Interpoma, die beide im November in der Messe Bozen stattfinden. Außerdem pflege ich hier die Kontakte mit einem internationalen Netz von Partnern auf allen fünf Kontinenten.

Das heißt Messen sind auch im Jahr 2020 noch wichtig?
Ja, denn es ist auch heute noch so, dass man auf der Messe die Welt trifft und die Gelegenheit hat sich auszutauschen. Nicht nur mit der Kundenseite, sondern auch mit den Produzenten, Vermarktern und allen, die am Markt beteiligt sind. Man hat also die Möglichkeit in kürzester Zeit in vielen interessanten Gesprächen neue Dinge zu erfahren und man trifft auf Fachleute aus der ganzen Welt. Dafür müsste man sonst wochenlang in der Welt herumreisen.

Was ist der Unterschied zwischen der Fruit Logistica Berlin und Interpoma Bozen?
Fruit Logistica in Berlin ist die Weltmesse für Obst und Gemüse, die Interpoma hingegen ist heute die weltweit führende Messe rund um den Apfel. Die Interpoma beschäftigt sich also mit der kompletten Kette der Apfelwirtschaft: vom Anbau, Baumschulwesen, Apfelsorten, maschinelle Sortierung und Verarbeitung, bis hin zur Vermarktung. Es ist eine hochspezialisierte Messe und bei den Ausstellern sehr begehrt, die gesamten Hallen sind auch heuer wieder ausgebucht.

Und was machen Sie in Ihrer neuen Rolle als Congress Coordinator für die Interpoma?
Der Kongress hieß ja bislang „Der Apfel in der Welt“. Es ist also mein Job interessante Themen rund um den Apfel zu finden, entsprechende Vorträge zu organisieren, Referenten einzuladen und den Kongress zu koordinieren.  Es geht darum, zu erkennen welche Trends und Herausforderungen heute die Apfelwirtschaft hat und diese beim Kongress zu thematisieren.

Was sind in Ihren Augen heute die größten Herausforderungen für die Südtiroler Apfelwirtschaft?
Die größte Herausforderung ist das komplexe Verhältnis zwischen der Landwirtschaft generell – in Südtirol insbesondere der Obstwirtschaft - und der Gesellschaft. Es gibt viele Missverständnisse und Erwartungen an das jeweils andere Gegenüber. In Deutschland haben zum Beispiel auch anlässlich der Fruit Logistica große Bauerndemonstrationen stattgefunden. Dabei sind bei der Fruit Logistica zwei große Themen vorherrschend: die Nachhaltigkeit im landwirtschaftlichen Anbau und die Nachhaltigkeit in der darauffolgenden Verarbeitungskette. Dazu zählen natürlich auch neue Verpackungen, um Plastikmüll zu vermeiden und es gibt bei der Fruitlogistica eine Abteilung, die sich ausschließlich damit beschäftigt. Hier werden innovative Verpackungen wie etwa abbaubare „no-Plastic“-Tüten oder Schalenverpackungen aus Karton und Gras vorgestellt. Die Südtiroler Genossenschaften VIP und VOG sind auch bei der Fruit Logistica in Berlin anwesend und nehmen an den Gesprächen zum Thema abbaubare Verpackungen teil.

 

Wo liegen die Schwerpunkte des Interpoma Congress 2020 im November?
Eine zentrale Frage des Kongresses ist: Wie können sich die Gesellschaft und die Landwirtschaft in Zukunft verständigen? Es ist mir gelungen einen sehr interessanten Referenten einzuladen: Willi Kremer-Schillings, der in den sozialen Medien als Bauer Willi bekannt ist. Er kommt aus der Landwirtschaft und versucht mit seinem Blog und seiner Öffentlichkeitsarbeit die Bedürfnisse und Erwartungen der Landwirtschaft gegenüber den Verbrauchern zu erklären. Ein weiterer Schwerpunkt der Interpoma ist der Klimawandel und die Herausforderungen, die sich daraus für den Obstanbau ergeben. Und ein drittes wichtiges Thema beim Kongress ist der Markt der USA. Dieser Markt ist oft symptomatisch und zeigt Tendenzen an, die dann später auch nach Europa überschwappen.

Was ist ein Beispiel für solche Tendenzen?
Der dramatische Sortenwandel in den letzten 15-20 Jahren ist ein gutes Beispiel. In der Apfelwirtschaft zeigen sich Trends immer erst über einen längeren Zeitraum. So machte zum Beispiel der Red Delicious noch im Jahr 2000 über 2/3 des Anbaus in den USA aus, heute kommt er nur mehr auf 20%. Das passierte durch neue Sorten, die den Anforderungen der Konsumenten besser entsprachen. Um solche Entwicklungen besser zu verstehen, haben wir Sortenzüchter und Vermarkter zum Interpoma Congress eingeladen, die solche Trends aus verschiedenen Perspektiven erklären können.

Kann man solche Trends vorhersehen?
Diese großen Sortenwechsel finden generell alle 20-25 Jahre statt. Als ich damals zur VOG kam, war die zweitwichtigste Sorte der „Morgenduft“-Apfel, der inzwischen überhaupt keine Rolle mehr spielt, weil er einfach nicht mehr den Erwartungen der Verbraucher entspricht. Wenn wir beim Beispiel USA bleiben, wurde der „Abstieg“ des Red Delicious bereits 1999, also Jahre im Voraus, vorhergesagt. Da diese Sorte schnell mehlig wurde, sah man voraus, dass die Konsumenten sich irgendwann abwenden würden. Aber es hat trotzdem noch sehr lange gebraucht, bis neue Sorten präsentiert wurden und die Trendsorte Honey Crisp in den USA den Red Delicious letztendlich verdrängte. Das ist ein Lehrbeispiel einer Entwicklung, die sich in anderer Form auch bei uns abspielt. Auch hier bei uns kommen wir immer mehr von den älteren Sorten ab und entwickeln uns zu neuen Sorten hin. Aber das ist eine Entwicklung, die Jahrzehnte dauert.

Ist schon einmal passiert, dass man sich mit der Vorhersage eines Trends getäuscht hat?
Als ich vor 30 Jahren nach Südtirol kam, wurde gerade den Bauern die Sorten Gloucester und Jonagold empfohlen. Gloucester ist aber ganz von der Bildfläche verschwunden, denn die Sorte kam aus Nordeuropa und hier bei uns haben die Klimaverhältnisse einfach nicht gestimmt. Der Jonagold ist zwar in Nordeuropa, Belgien, Holland, Deutschland sicher noch eine wichtige Sorte, ist aber bei uns ebenfalls aus dem Anbau verschwunden, weil er nicht für unser Mikroklima geeignet ist. Es ist also auch schon passiert, dass falsche Empfehlungen ausgesprochen wurden. Darauf kommt es bei der Arbeit des Sortenkonsortiums an: die Testung der Sorten unter unseren eigenen Anbaubedingungen hier in Südtirol, damit man falsche Sortenempfehlungen vermeidet.

 

Wird sich in Zukunft bei der Entwicklung neuer Sorten nur der Geschmack oder auch das Aussehen der Äpfel verändern?
Der eigentliche Trend ist der globale Wandel hin zu neuen Geschmacksorten. Aber: auf einem Markt, der sich gerade verändert, gibt es sicherlich auch bessere Chancen für besondere Nischenprodukte, also für Äpfel, die auch strukturell anders sind. Ein solches Nischenprodukt sind in etwa die Äpfel mit rotem oder gelbem Fruchtfleisch, aber das ist alles noch in der allerersten Phase, dementsprechend ist das Angebot noch recht knapp. Aber es ist gerade auch ein neues Projekt in Arbeit, das versucht neue Sorten von Snack-Äpfeln zu entwickeln, die insbesondere für den Verzehr außer Haus gedacht sind.

Können Sie einem Apfel-Laien erklären, warum es auch die sogenannten Clubsorten braucht?
Club- oder Vertragssorten sind Apfelsorten, die patentrechtlich geschützt sind. Die alten Sorten sind alle frei verfügbar, die neuen Sorten kommen alle aus Züchtungsprogrammen, die meistens privat finanziert werden, weil sich die staatlichen Institute aus den Programmen zur Sortenzüchtung zurückgezogen haben. Die Laimburg ist da eine Ausnahme, sie führt auch heute noch ein kleines Züchtungsprogramm aus öffentlicher Hand. Aber die großen Züchtungsinstitute in der Welt arbeiten mit privaten Geldern und wenn dann eine neue Sorte mit den gewünschten Eigenschaften entwickelt wird, wird sie zum Sortenschutz angemeldet, um sie gegen nicht autorisierte Vervielfältigung zu schützen. Durch die geschützte Vermarktung kann man die privaten Gelder, die man investiert hat, wieder einspielen.

Und wie steht es um den BIO-Markt?
Der Markt für Bio-Äpfel wächst allgemein und auch die Flächen, die biologisch bewirtschaftet werden, wachsen in Südtirol stetig. Viele Obstwirte sind in der Umstellungsphase und beide Verbände VIP und VOG rechnen mit einem Zuwachs von 1000 Hektar, die in Zukunft biologisch bewirtschaftet werden. Damit ist Südtirol in Europa ganz vorne mit dabei, wenn es um den Anbau von Bio-Äpfeln geht.