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Brixner Zufälle
Foto: Privat
Erst im Pharmaziemuseum, dann in der StadtGalerie Brixen wurde am Freitagabend feierlich das Ausstellungsjahr des Südtiroler Künstlerbunds eröffnet. Gerd Bergmeister (Architekt) und Josef Rainer (Künstler) hatten als Kuratoren das Konzept „Zwischenraum“ gewählt.
In die historische Sammlung des Pharmaziemuseums gliedern sich temporär je zwei ausgewählte Werke von Christian Piffrader und Michael Fliri ein. Der normalerweise bereits ausgeschöpfte Raum des in drei Zimmern eingerichteten Pharmaziemusums war bereits vor den Interventionen der Künstler denkbar weit von einem Whitecube entfernt, so mussten sich ihre Werke in einen vorgegebenen Kontext einfügen.
Piffrader tat dies mit versilberten und verkupferten Miniatur-Totenköpfen, welche aus der Brotkrume, die er am Frühstückstisch sonst zu entfernen pflegte modellierte und trocknen ließ, wodurch „die Zeit seine Arbeit vollendete“. Sie stehen in einem Fall neben versilberten und vergoldeten Pillen, ein Verfahren, durch welches im 19. Jahrhundert wohlhabende Patienten ihre Pillen veredelten und - unwissentlich - unwirksam machten. Auf lange Stangen montiert wackeln sie, auf eine Weise, die an Vergänglichkeit erinnern soll. Hier merkte Rainer an, dass sich der Zufall, im Erkennen und Arbeiten mit ihm, als roter Faden durch beide Ausstellungen zöge.
Fliris Zufall ist subtiler: Gleich Eingangs begrüßt den Galeriebesucher die Ansicht eines überlebensgroßen, kopflosen Körpers, scheinbar in Röntgenansicht. Das Verfahren und Sujet des auf Stoff gedruckten Werks trügen jedoch: Fliri nahm Gipsknochen als Formvorgabe, um welche er transparentes Kunstharz goss, so dass ein negativ des „Skeletts“ entstand, welches auf einem halbtransparenten Tisch mit Hilfe von Licht und in Bewegung gebrachten Flüssigkeiten als Fotografie die Illusion erzeugte. Kleiner eine ganze Reihe von zehn gleichartigen Betrachtungen von Schädeln, im Hauptraum des Museums. Für Fliri hatte der, in Pandemie-Zeiten experimentell erarbeitete Prozess etwas Alchemistisches und irgendwo zwischen einem solchen und moderner Medizin sind sie wohl anzusiedeln, also genau dort, wo sie dann gelandet sind.
Hatte man sich durch die engen Räume und vielen Menschen nach draußen gekämpft, so ging es in der StadtGalerie gleich weiter. Hier hätte man - im Zwischenraum mit Großen Lauben auf einer und Domplatz auf der anderen Seite - eigentlich (fast) einen Whitecube vorgefunden, hinterfragte ihn aber: Direkter war darin sicherlich Peter Sandbichler, die jüngere Marlies Baumgartner dagegen subtiler. Nach oder noch vor dem Eintreten fällt der Blick wohl zuerst auf den durchgängig mit Fahrradkartons ausgelegten Boden. Eine Installation Sandbichlers welche neben einer Aneignung der sterilen Räumlichkeit eine weitere Funktion erfüllt. Sieht man nämlich über den Boden hinweg, so fallen drei große Holzskulpturen des Künstlers „Knochen“ tituliert als erstes in den Blick. Auch diese, in gewisser Weise, ein Werk des Zufalls. „Der eigentliche Künstler ist mein Metzger“, bekennt der Künstler zu seinem Werk. „Aber das sage ich ihm nicht, sonst macht er nicht gscheites mehr.“ Es handelt sich, im Maßstab eins zu zehn, um Nachbildungen von Suppenknochen, gewissermaßen ist jedes Stück damit ein Objet trouve. Durch das Zerteilen in der Metzgerei entstehen gerade Schnittflächen neben organischen Formen und die Figur erhält durch diese verschiedene Standflächen, kann mit der nötigen Vorsicht, gekippt und neu ausgerichtet werden. Ein weiteres Werk des Zufalls der von Sandbichler beigesteuerten Werke ist ein Austapezieren des kleinen Schaufensterraums, der seitlich an der Laubenseite gelegen ist. Hierfür teilte der aus Kufstein stammende Künstler sein Atelier in Wien mit einigen Sprayern, welche ihm die Kartone, die sie als Unterlage für ihre Schablonen-Arbeiten verwendeten übergaben. Das Beiwerk eines Künstlers wird somit zum Werkstoff eines anderen.
Baumgartners Werke, an den Wänden zu finden, nach Rastern, Schriften und Geometrischen Formen gemalt und aus mehreren Glas- oder Spiegelschichten bestehend haben keinen organischen Zufall in sich. Wohl aber führt ihn der Betrachter ein, da dieser durch Veränderung seiner Position im Raum (wie auch durch sein eigenes Abbild) die Werke variiert. Für die Künstlerin sind sie Ausdruck eines Zwischenraums zwischen Digitalem und Realem. Auf den ersten Blick einfach kann man sich doch in den Bildern verlieren, auch wenn sie im Vergleich zu Sandbichlers Werk etwas zu wenig raumgreifend, fast schüchtern sind.
Die Brixner Komponistin hingegen war in keinem der beiden Ausstellungen zu hören. Ihr kurzes „studio assurdo II“ (für Glockenspiel im öffentlichen Raum) erklang wenig nach dem offiziellen Teil der zweiten Eröffnung auf halber Strecke, vom weißen Turm. Die Verknüpfung verschiedener Stadtorte und die Wirkung gerade in den öffentlichen Raum hinein war dabei ausgesprochener Teil des kuratorischen Jahreskonzepts und wird auch in den Folgeausstellungen des SKB in Brixen maßgeblich sein. Im Stück brach Manuela Kerer mit Konventionen, welche man mit einem Glockenspiel assoziieren mag. „Musik ist für mich niemals absurd, sie kann es niemals sein. Deshalb war das Absurdeste, was ich tun konnte, zu versuchen, Musik zu schreiben, die versucht, das Absurde einzufangen.“, formulierte es Kerer in ihrem Statement vernünftig. Um nicht zu viel zu verraten, da das Stück in etwa acht Wochen erneut zu hören sein soll, hier noch zwei Wortmeldungen von Passantinnen, die nicht bei der Vernissage dabei waren: „I konn des net heren, de Mehrstimmigkeit, wenn die Musik net in oaner Tonart bleibt.“, oder: Mammi, was isch des?“ „Des isch a Stickl von der Kerer, des isch schian.“
Im Anschluss ließ Arno Dejaco noch die Platten tanzen.
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