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"Monokulturen widersprechen der Natur"

Myrtha Zierock erhält den Eckart Witzigmann Preis im Bereich "Lebenskultur". Sie ist Impulsgeberin einer neuen, nachhaltigen Landwirtschaft.
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Foto: Myrtha Zierock

Am 6. und 7. September findet die 17. Internationale Eckart Witzigmann Preisverleihung in Bozen* statt. Myrtha Zierock aus Buchholz, einer Fraktion von Salurn, hat mit ihrem Start-Up in den Weinbergen überzeugt.  

Salto.bz: Sie wurden mit dem Eckart Witzigmann Preis im Bereich Lebenskultur ausgezeichnet. Überrascht?

Myrtha Zierock: Die Auszeichnung kam sehr überraschend und ich freue mich darüber. Ich habe gesehen, dass ich als einzige Frau nominiert wurde. Die Gastronomie ist von Männern dominiert, es braucht mehr Weiblichkeit in der Branche.

In Europa musst du als Frau in der Landwirtschaft schon sehr eigenständig sein, um dir deinen Platz zu schaffen.

Wie sieht es diesbezüglich in der Landwirtschaft aus?

In der Landwirtschaft gibt es weltweit mehr Landwirtinnen als Landwirte. Beispielsweise in Afrika oder Asien sind hauptsächlich Frauen auf dem Feld tätig. In Europa musst du als Frau in der Landwirtschaft schon sehr eigenständig sein, um dir deinen Platz zu schaffen. Aber ich habe meine Mama (Elisabetta Foradori, Anm.d.Red.) als Vorbild und sie hat sich 30 Jahre lang als Frau in der männlich dominierten Wein-Welt erfolgreich behauptet. 

Sie sind Miteigentümerin des Weinguts “Azienda Agricola Foradori“.

Genau, gemeinsam mit meiner Mama und meinen Brüdern bewirtschaften wir das Weingut in Mezzolombardo. Mein Projekt ist der Gemüseanbau im Weingut. Wir arbeiten seit 2003 biodynamisch, das heißt wir probieren die Produktion zu vervielfältigen. Der Wein ist unser Haupteinkommen und mit dem finanzieren wir dann alle anderen Projekte am Weingut wie den Gemüse- und Getreideanbau und die Käseproduktion.

Sozusagen eine Monokultur mit anderen Produktionen zu ergänzen oder die Biodiversität zu fördern.

Was macht biodynamische Landwirtschaft aus?

Es geht darum, einen geschlossenen Zyklus zu kreieren. Sozusagen eine Monokultur mit anderen Produktionen zu ergänzen oder die Biodiversität zu fördern. Das könnte beim Weinbau funktionieren, indem man Hecken baut, Bäume pflanzt, Gemüse anbaut oder Kühe durch den Weinbau grasen lässt. Monokulturen widersprechen eigentlich der Natur. Denn diese ist biodivers und vielfältig.

Wollten Sie immer schon in der Landwirtschaft tätig sein?

Meine Eltern haben uns nie in eine Richtung gedrängt. Für mich war es jedoch immer schon klar, dass ich in Richtung nachhaltige Produktion gehen möchte. Ich habe dann Umweltwissenschaften in Freiburg studiert, um zu verstehen wie das gesamte Ökosystem funktioniert. Dann bin ich nach Amerika und Kanada und habe dort Arbeitserfahrungen gesammelt.

Wenn du keine Beziehung zum Kunden aufbaust, gibt es keine Bindung und der Kunde wird dir auch nicht in schwierigen Zeiten weiterhelfen.

Was war das wichtigste, das Sie im Ausland gelernt haben?

Ich habe gelernt, Gemüse in einer Art und Weise anzubauen, dass es möglich ist davon zu leben. Seit zwei Jahren bin ich wieder in Italien und integriere mein Wissen am Weingut. Jetzt baue ich auf einer 1400m2 Fläche Gemüse an und vermarkte es direkt, mit Ab-Hof-Verkauf oder an private Konsumenten und Restaurants.

Was machen die Menschen in Kanada oder Amerika anders, dass sie gut von der Landwirtschaft leben können?

Das liegt an der Direktvermarktung. In Amerika und Kanada wird viel direkt an Restaurants verkauft und CSA (community support and agriculture) hat sich etabliert. Das Konzept ist in Deutschland und Österreich als Solidarische Landwirtschaft bekannt. Die Konsumenten zahlen im Voraus und akzeptieren die Box, die der LandwirtIn saisonabhängig zusammenstellt. Die Bauern arbeiten auf einer kleinen Fläche und strukturieren ihren Verkauf direkt. Denn durch Zwischenhändler geht viel Geld und der Kontakt zum Kunden verloren. Das ist problematisch: Wenn du keine Beziehung zum Kunden aufbaust, gibt es keine Bindung und der Kunde wird dir auch nicht in schwierigen Zeiten weiterhelfen. Das Prinzip bei der Solidarischen Landwirtschaft beruht darauf, dass wenn es beispielsweise hagelt, der Kunde akzeptiert, dass eine Zeit lang keine Zucchini gibt. Die Bauern brauchen auch finanzielle Unterstützung, um zu investieren und sich neue Geräte zu kaufen - Das kostet alles Geld.

Was noch fehlt ist die Akzeptanz der Kunden, dass nicht immer alles verfügbar ist, und der solidarische Teil, den LandwirtIn auch in schlechten Zeiten zu unterstützen.

Wie beurteilen Sie die Situation in Südtirol?

Der Direktverkauf wird immer mehr gefördert, das sehen wir bei den Bauernmärkten. Was noch fehlt ist die Akzeptanz der Kunden, dass nicht immer alles verfügbar ist, und der solidarische Teil, den LandwirtIn auch in schlechten Zeiten zu unterstützen. Zudem ist in Südtirol und Trentino der Preis der regionalen Produkte viel zu tief. Es muss der Wert hinter einem Produkt gesehen werden – Grund, Maschinen, Arbeitskräfte das gehört alles dazu. Bei großen Industrien sind die Kosten oft versteckt. Kaufe ich im Winter eine günstige Tomate aus einem Gewächshaus in Apulien, muss ich mich auch fragen wer die erntet. Wahrscheinlich ein Migrant, der schlecht oder gar nicht bezahlt wird. Wer lokal einkaufen will, muss akzeptieren, dass es ein wenig mehr kostet.

Sehen Sie in der lokalen, regionalen Produktion Zukunft? Konsumieren die Menschen bewusster?

Ja, ich blicke optimistisch in die Zukunft. Ich sehe wie viele junge Menschen sich bei mir melden, weil sie selbst anbauen oder ein Praktikum machen möchten. Es ist mehr Bezug zur Landwirtschaft entstanden. Die Menschen sehen die Arbeit im Freien als Ausgleich zum Büroalltag und schätzen das Lokale und Regionale mehr. In der digitalen Welt, in der wir leben, sehen viele den Gemüseanbau als „praktischen“ Ausgleich. Wer man selbst anbaut, hat einen ganz anderen Bezug zum Gemüse und Obst. Da realisieren die Menschen erst, wie viel es braucht einen Salatkopf zu bekommen. Wenn man das selbst geerntete Gemüse dann isst, ist es fast so als würde man seine eigene Arbeit darin schmecken.

Ich integriere den Gemüseanbau in den Weinbau, indem ich unter den Weinbergen Gemüse anbaue.

Für was wurden Sie genau ausgezeichnet?

Ich integriere den Gemüseanbau in den Weinbau, indem ich unter den Weinbergen Gemüse anbaue. Gerade in Regionen wie Südtirol und Trentino, die sehr vom Wein und Apfel geprägt sind, könnte dies eine neue Möglichkeit sein die Landwirtschaft anders zu gestalten.  Also ein zweites Standbein neben der Monokultur zu haben. Die Innovation liegt darin, dass man mehrere Produktionen kombinieren kann und sich nicht entscheiden muss.

Mit welchem Anbausystem arbeiten Sie?

Ich arbeite mit dem Anbausystem „Market Garden“: Also auf kleiner Fläche mit wenig Input, kleinem Kapital und direkter Vermarktung. Somit habe ich Kundennähe und optimiere den Anbau auf kleiner Fläche. Ich baue verschiedenste Sorten an, von Mangold bis zu Kohl im Winter. Denn in Kanada habe ich gelernt, dass man auch bei tiefen Temperaturen viel produzieren kann. Seitdem bin ich ein Fan von Wintergemüse.

Die Leute müssen lernen sich selbst Grenzen zu setzten, sonst frisst dich irgendwann deine Leidenschaft auf.

Funktioniert der Anbau unter den Weinbergen?

Wir sind erst im zweiten Jahr, aber bis jetzt läufts sehr gut! Die Qualität vom Gemüse ist erstklassig und die Weinberge scheint es auch nicht zu stören. Ich habe aber das Glück sehr weite Weinberge zu haben, wo man trotzdem noch mit den Maschinen durchfahren kann. Es müssen vor der Umsetzung natürlich mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Aber wenn man es sich klug ausrechnet, kann das Konzept funktionieren.

Auch Wissensweitergabe liegt Ihnen am Herzen.

Manchmal bin ich auf Konferenzen. Wichtiger ist mir aber, dass ich PraktikantInnen aufnehme, ihnen viel erkläre und bewusst mein Wissen weitergebe. Dieses Jahr kommen meine PraktikantInnen aus Ligurien und Portugal. Alles sehr motivierte junge Menschen, die daheim neben Apfel- und Weinbau auch Gemüse anbauen möchten.

Wenn ich denke, dass ich mit meiner Arbeit andere Menschen ernähre und meine Leidenschaft teile, dann bin ich sehr glücklich.

Viele Menschen leiden in der Landwirtschaft darunter, dass nicht wie bei einem Bürojob um 18.00 Feierabend ist, sondern die Arbeit „nie“ aufhört. Wie schaut Ihre „Work-Life-Balance“ aus?

Die Leute müssen lernen sich selbst Grenzen zu setzten, sonst frisst dich irgendwann deine Leidenschaft auf. Auch der Austausch mit anderen LandwirtInnen ist hilfreich. Ich habe gelernt die Arbeit zu teilen und besser zu organisieren. Irgendwann zwingen dich auch persönliche Umstände, bei mir die Geburt meines Sohnes, die Leidenschaft in den Griff zu kriegen.

Sind Sie glücklich, diesen Weg gewählt zu haben?

Der Gemüseanbau ist meine Leidenschaft. Ich bin kreativ tätig und kann mich austoben in dem ich zum Beispiel neue Sorten selektioniere. Die Arbeit beruht auf viel Eigenverantwortung und Kontakt mit Kunden. Wenn ich denke, dass ich mit meiner Arbeit andere Menschen ernähre und meine Leidenschaft teile, dann bin ich sehr glücklich.