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Zu den Sternen

Der Konzertverein Carpaccio bricht auf zu Sternen und Planeten und führt heute und morgen erstmals „Astronomic Poem“ von Simon Stampfer auf. Probenbesuch mit Interview.
Konzertverein Carpaccio
Foto: Privat
Ich darf bei den Proben in Oberbozen dabei sein, nachdem zuerst die vorher am Abend-Programm stehende Carmen-Suite von Georges Bizet geübt wurde und begegne den OrchestermusikerInnen, die mehrheitlich zwischen 16 und 26 Jahre alt sind, aber auch Ausreißer aus dieser Schätzung einen Platz bieten, in der Pause. Im heterogenen Orchesterkorpus wird gelacht, gescherzt, Panettone gegessen und mit Prosecco angestoßen. Der Konzertverein besteht offiziell seit 2021, inoffiziell einige Jahre mehr und, dass hier Musik aus Freude gemacht wird, ist offensichtlich. Während man bereits auf historischen Instrumenten Kammermusik mit dem Anspruch „alte Musik in der Gegenwart so historisch korrekt wie möglich wiederzugeben“ gemacht hat, ist das anstehende Konzert eine gänzlich andere Herausforderung. Es ist die Uraufführung eines lebenden und zum Orchester zählenden Komponisten, der bei den Proben selbst den Takt angibt.
 
 
Der etwas chaotische „Haufen“ braucht einen kurzen Moment um seine Position einzunehmen, dann ist man allerdings sofort bei der Sache und eingestimmt. Der Rittner Simon Stampfer, Jahrgang ’99, der „Astronomic Poem“ geschrieben hat, leitet die Proben selbst, hat Wünsche und Anregungen für einzelne Musiker oder Instrumentengruppen. Als Abschnitt B der Partitur gespielt wurde will er von den Bläsern wissen: „War das euer fortissimo? Da steht B, B wie Bower!“ Man scherzt und auch im Umgang mit dem Gong in einer anderen Passage wünscht sich Stampfer mehr Wumms: „Da kann man nichts kaputt machen.“ Allein-Entscheider ist Stampfer aber keiner und immer wieder streut auch Lorenz Bozzetta, der das Konzert am Abend als Dirigent leiten wird und ein aufmerksames Auge auf die Partitur wirft, Ratschläge und Beobachtungen mit ein. Die beiden sind einer Meinung, was die Intentionen Stampfers anbelangt, die das Orchester nun umsetzt.
Aber nicht nur laut kann der junge Konzertverein, auch Solopassagen und der delikate Einsatz von Glockenspiel, welches der Schlagwerker ebenso beherrscht wie den irregulären Takt mit Nachdruck auf der Pauke. Das Stück verspricht, in der achronoglischen Darbietung einzelner Bestandteile fordernd zu werden, für Musiker und Publikum. Als das Orchester sich eine weitere Pause gönnt und einige der Mitglieder nebenan Yoga-Übungen zur Lockerung und Entspannung machen, nehme ich mir Simon Stampfer für einige Fragen zur Seite.
 
Salto.bz: Herr Stampfer, sind Sie mit „Astronomic Poem“ an den Konzertverein Capriccio herangetreten oder hat man Sie gebeten ein Stück zu schreiben?
 
Simon Stampfer: Ich bin schon lange Mitglied dieses Orchesters, noch bevor es zum Verein wurde. Lorenz ist auch ein guter Freund, also hatten wir die Idee bereits vor recht langer Zeit. Ich habe mich an das Projekt anfangs nicht herangewagt, da ich noch Student bin und es recht viel Arbeit bedeutet, ein längeres Werk für Orchester zu schreiben. Letzten Sommer sind wir die Idee dann angegangen. Es ist also kein Auftrag in dem Sinne, dass ich dafür bezahlt würde, aber für mich ist es eine wertvolle und vielleicht auch für das Orchester eine interessante Erfahrung.
 
 
Sie haben die Länge angesprochen. Kann man etwas zur Aufführungsdauer sagen?
 
Das Werk dauert etwa 20 Minuten, was für ein symphonisches Werk nicht zwingend „lang“ ist. Für zeitgenössische Musik ist es aber eine gute Länge, sonst könnte das für das Publikum happig sein. Deshalb haben wir auch beschlossen ein recht konsonantes Werk zu schaffen. Es gibt keine Tonart, aber die Intervalle sind immer konsonant, wodurch keine schrägen oder schrillen, unangenehme Klänge vorkommen. Diese sind zwar für viele Werke gut, teilweise auch zwingend, aber bei diesem Werk habe ich mich gegen solche Klänge entschieden.
 
Es wird während des Werkes „Das Nachtlied“ aus Nietzsches „Zarathusta“ vorgelesen. War der Textbaustein anfangs schon da, oder haben Sie im Laufe der Arbeit festgestellt, dass eine Vorleserin für das Stück spannend wäre?
 
Der Text kam dazu, als ich bereits begonnen hatte das Werk zu schreiben. Im Laufe der Arbeit bemerkte ich, dass die Astronomie eine große Rolle spielt und habe, als ich mir Gedanken zur Form machte festgestellt, dass nach der Klimax das Stück nicht sofort zu Ende ist. Nicht als Erklärung des Stückes, sondern als Fortführung, der Text als subjektives Nachwort gut funktioniert.
 
Die Tempi-Wechsel sind die Hauptschwierigkeit des Werks.
 
Für wie anspruchsvoll halten sie das Stück mit seinen Tempi-Wechseln und den präzisen Dynamiken der Lautstärke, die Sie zum Teil humorvoll, aber doch bestimmt den Musikern mitteilen? Haben Sie das Niveau an Professionalität der Musiker beim Schreiben mitbedacht?
 
Obwohl das allgemeine Tempo recht langsam ist, ist das Stück nicht einfach zu spielen. Den Vergleich der verschiedenen Instrumente vergisst man manchmal und es gibt Elemente, die auf einigen Instrumenten viel schwerer sind als auf anderen: Hier sind es die langen Noten, welche auf Geigen etwa einfach sind, auf Bläsern schwieriger. Abgesehen davon, dass letztere durch den Atem begrenzt sind ist es schwerer, als es vielleicht wirkt eine Note lange und sauber intoniert zu halten. Es ist aber nicht so schwierig wie andere zeitgenössische Musik. Die Schwierigkeit des Werkes habe ich aber weniger beim Orchester bedacht und mehr beim Publikum. Die Tempi-Wechsel sind die Hauptschwierigkeit des Werks. Die Musiker haben die Noten vorab erhalten, konnten das Zusammenspiel aber etwas weniger üben.
 
 
An welche Motive haben Sie beim Titel gedacht? Zum Teil wirkt das Stück wie ein Swing-By-Manöver, bei welchem sich durch Annäherung etwa einer Raumsonde an ein Gravitation-Feld eine scheinbare Verlangsamung stattfindet, die aber in Wahrheit ein Schwungholen, die Vorbereitung einer Beschleunigung und eines Richtungswechsels ist.
 
Sie sprechen die Ritardandi an. Die Himmelskörper, die ich in erster Linie beschreibe sind jene, die Nietzsche im Nachtlied, in Allegorie zum Menschen beschreibt. Es geht um leuchtende und nicht-leuchtende Himmelskörper, die der Autor mit leuchtenden und nicht-leuchtenden Menschen vergleicht. Man muss sehr aufpassen, wenn man dieses Thema angeht, um eine Zweiklassengesellschaft zu vermeiden und Menschen nicht in Schubladen zu stecken. Es ist aber Tatsache, dass Personen wie Nietzsche durch ihre Eigenarten ein furchtbares Leben hatten. Man könnte die einzelnen Linien, auf welchen die Instrumente „einsam“ spielen als die leuchtenden Himmelskörper sehen und dagegen im ersten Teil, der in Richtung Spektralmusik die nicht-leuchtenden Himmelskörper sehen. Von den nicht-leuchtenden, den Planeten gibt es viele und sie stehen näher zu einander, als die leuchtenden, die Sterne, unter sich. Das ist Nietzsches Allegorie im „Nachtlied“, die ich als Symphonische Dichtung versuche wiederzugeben.
 
Von den nicht-leuchtenden, den Planeten gibt es viele und sie stehen näher zu einander, als die leuchtenden, die Sterne, unter sich. Das ist Nietzsches Allegorie im „Nachtlied“, die ich als Symphonische Dichtung versuche wiederzugeben.
 
Bei der Zuschreibung menschlicher Eigenschaften zu Himmelskörpern bewegen wir uns fast in der Astrologie. Wie halten Sie’s mit der Astrologie? Sind Sie dort gläubig oder ungläubig?
 
Ich halte nicht viel von Astrologie, finde es aber faszinierend, wie viel auf Sternzeichen zuzutreffen scheint, beziehungsweise wie stark man sich diese Verbindung zwischen Sternzeichen und Charakter einbilden kann. Vielleicht gibt es dazu auch Studien, die wären sicher interessant. Mit der gewöhnlichen Astronomie hat das Stück sicher nichts zu tun. Wenn man das als Astrologie bezeichnen möchte, geht das für mich auch in Ordnung. Aber wenn wir auf die Ritardandi zurück kommen, so gibt es im Weltall, ja auch eine Wechselwirkung zwischen Zeit und Gravitation. Das habe ich auch versucht darzustellen und in diesem Sinne ist das Stück sicher mehr Astronomie als Astrologie.