Società | Kommentar

Götter in Weiß

Die Ärzte machen gegen eine Broschüre der Volksanwaltschaft zu den Patientenrechten mobil. Hier gibt es nur eine Diagnose: Arroganz und Hybris.
Arzt, Symbol
Foto: upi
Krankt Südtirols Sanität an unfähigen Politikern und Verwaltern? 
Oder sind manche Standesvertreter der Ärzte und ihr Auftreten ein gewichtiger Teil des Problems?
Spätestens seit dieser Woche dürfte klar sein, dass diese „Götter in Weiß“ nicht nur am Operationstisch das alleinige Sagen haben wollen, sondern sich wie Fürsten benehmen, die argwöhnisch über ihre Pfründe wachen und den absolutistischen Anspruch vertreten, bei allem was in der Südtiroler Sanität passiert ein exklusives Mitsprache- oder Vorsprachrecht zu haben.
Es wäre eigentlich eine 1.-April-Geschichte. Ein Aprilscherz. Doch in Wirklichkeit ist, das was sich die Südtiroler Ärztekammer und die beiden Gewerkschaften Anaoo und BSK/VSK Anfang August 2018 leisten, nicht nur ein Ausdruck mangelnder Bürgerkunde und fehlender Kritikfähigkeit, sondern auch eine Demonstration von Hybris und Arroganz.
 
Vergangene Woche hat Volksanwältin Gabriele Morandell eine Informationsbroschüre zu den Patientenrechten vorgestellt. „Leider gibt es bei vielen Bürgern wenig Wissen in diesem Bereich. Welche Rechte habe ich, was ist überhaupt ein Schaden, und was kann ich dann tun?“, sagte die Volksanwältin bei der Vorstellung der Informationsbroschüre im Landtag. „In der Informationsbroschüre für Patienten sind alle Informationen zu den rechtlichen Möglichkeiten für Patienten und Patientinnen bei Behandlungsfehlern erstmals gebündelt verfügbar, bisher musste man sie sich an vielen Stellen zusammensuchen.
 
Die Broschüre bietet Ratschläge und Vorschläge wie nach einem Zwischenfall kommuniziert werden sollte und welche Schritte zu setzen sind. „Dank einer richtigen Kommunikation können viele Fragen und Zweifel geklärt werden und anhand richtiger Informationen können teure Zivilklagen und Anwaltsspesen oft vermieden werden“, erklärte Morandell. Ein Schadenersatzanspruch kann auch  außergerichtlich über eine direkte Verhandlung mit dem Sanitätsbetrieb und der Haftpflichtversicherung oder durch Intervention bei der Schlichtungsstelle in Haftungsfragen im Gesundheitsbereich geltend gemacht werden. Die Volksanwaltschaft bietet hierzu Hilfestellung: „Die Südtiroler Volksanwältin ist Ansprechpartnerin bei Beschwerden gegenüber dem Südtiroler Sanitätsbetrieb, dessen Ärzten und dem Pflegepersonal“, sagt Morandell.
Die Broschüre gibt auf 26 Seiten in einer einfachen Sprache Tipps rund um Patientenrechte. Sie wurde mit Unterstützung von mehreren Einrichtungen, darunter dem Ressort für Gesundheit des Landes Südtirol, dem Südtiroler Sanitätsbetrieb und dem Dachverband für Soziales und Gesundheit erstellt. Die Bilder im Text haben Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse der Grundschule Milland gezeichnet und zur Verfügung gestellt. Auf der Titelseite findet sich eine Karikatur des bekannten Meraner Zeichners Peppi Tischler.
 
„Questo scritto ci riporta al Medioevo e ci indebolisce“, polterte fünf Tage nach der Vorstellung Monica Oberrauch, Präsidentin der Südtiroler Ärztekammer im Alto Adige. Und weiter: „Fuorviante il titolo. "Sono stato curato adeguatamente?", si dà per scontato che non sia successo. E poi come al solito non siamo stati coinvolti nell'operazione...“ Vielleicht sollte sich die Südtiroler Ärztekammer fragen, warum sie es bisher nicht für nötig hielt, einen solchen Ratgeber selbst zu verfassen.
Noch deutlicher wird im selben Artikel die Ärztegewerkschaft ANAOO: „Quel libretto è inaccettabile, oltre che gravemente lesivo della professionalità medica, sopratutto quando afferma che possa servire a chiarire in modo semplice i dubbi in merito agli errori terapeutici. Ma a quale titolo e con quali basi scientifiche si può affermare che è semplice stabilire se si tratta o meno di errore? Un'iniziativa mal posta che peggiora il rapporto di fiducia medico-paziente.“
Die Gewerkschaft ANAOO, die es gewohnt ist seit Jahren in der Südtiroler Sanität das gute und schlechte Wetter zu machen, verlangt eine Dringlichkeitssitzung mit dem Land und dem Sanitätsbetrieb, um die Vorgänge rund um diese Broschüre zu klären. „A breve partirà una diffida legale per impedirne la distribuzione dentro l'Asl“, kündigt man zudem rechtliche Schritte an.
Einen Tag später legt dann noch die Gewerkschaft der Krankenhausärzte BSK/VSK nach. Laut dem Vorsitzenden und Arzt Ivan Simioni hätte sich der Sanitätsbetrieb nicht an der Broschüre beteiligen dürfen, ohne die Ärzte mit einzubeziehen: „Hier sollte auch mit Unterstützung des Betriebes der Bürger auf uns gehetzt werden“, so Simioni gegenüber RAI Südtirol, „und das akzeptieren wir so nicht“. Auch er verlangt, dass die Broschüre in den Krankenhäusern nicht verteilt und überarbeitet wird.
 
A breve partirà una diffida legale per impedirne la distribuzione dentro l'Asl“
 
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Die Volksanwaltschaft ist eine unabhängige Einrichtung, die zwar beim Südtiroler Landtag angesiedelt, aber weder dem Land noch dem Landtag weisungsgebunden ist.
Die Volksanwaltschaft entwirft eine Broschüre in der sie die Rechtsvorschriften erklärt, wie sich ein Bürger bei Kunstfehlern wehren kann oder an wen sich eine Bürgerin wenden kann, wenn sie sich im Krankenhaus unsachgemäß behandelt fühlt.
 
Die Broschüre ist ein Vademekum durch bestehende EU-Vorschriften, Staats- und Landesgesetze. Nicht mehr und nicht weniger. Trocken geschrieben, ohne Wertung und durch wirklich nette Kinderzeichnungen garniert. Die Tischler-Karikatur ist eigentlich ein Kompliment, wenn man bedenkt, was auch in Südtirols Krankenhäusern notgedrungen immer wieder einmal passiert.
Allein der Hinweis auf bestehende Gesetze scheint den Herren und Damen im weißen Kittel aber zu viel zu sein. Sie bestehen darauf mitreden und mitschreiben zu dürfen. Und sie verlangen, dass die Broschüre eingezogen wird.
Für wen ist der Südtiroler Sanitätsbetrieb eigentlich da? Für die Bürger oder für die Ärzte?
Der schwerste Vorwurf der Ärztekammer und der Gewerkschaften richtet sich dabei gegen den Sanitätsbetrieb. Wie kann der Betrieb bei einer solchen Lynch-Operation mitwirken und dann diese unsägliche Broschüre auch noch verteilen lassen?
Es ist eine verräterische Argumentation. Macht sie doch deutlich, welches Selbstverständnis bei manchem und mancher unterm Stethoskop zum Vorschein kommt.
Denn für wen ist der Südtiroler Sanitätsbetrieb eigentlich da? Für die Bürger oder für die Ärzte? Wer zahlt da wen?
Natürlich muss ein Betrieb seine Angestellten vor unrechtmäßigen Angriffen schützen und hinter ihnen stehen. Dieser Schutz kann aber doch nicht vor der Volksanwältin gelten. Vor allem aber ist die Broschüre in keinem Wort ein Angriff auf die Ärzte.
Kann deshalb ein hochbezahlter Angestellter von seinem Dienstherrn verlangen, dass er rechtliche Informationen seinen Kunden vorenthält? Wohl kaum. Denn das wäre eindeutig eine Straftat.
Die Vorgangsweise der Ärzte ist skandalös. Man will nicht nur die Bürgerinnen und Bürger einschüchtern, sondern auch unabhängige autonome Institutionen wie die Volksanwaltschaft. 
Kaum weniger skandalös ist aber die Reaktion des Sanitätsbetriebes. Laut RAI Südtirol hält es der Sanitätsbetrieb für sinnvoll, dass sich Volksanwaltschaft und Ärzte zusammensetzen. Die umstrittene Broschüre könnte dann eventuell überarbeitet werden.
Passiert das, so kann man gleich die Programmierung, Leitung und Verwaltung der gesamten Südtiroler Sanität in die Hände der Ärztekammer und der Gewerkschaften übertragen.
Denn sie sind anscheinend die Einzigen, die sagen dürfen, was der Bürger und die Bürgerinnen zu tun und lassen haben.
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Pietro Fischer Lun, 08/06/2018 - 19:52

Der Missmut der Ärzteschaft ist berechtigt. Sie sind zusammen mit den Patienten die Leidtragenden von 20 Jahren Stillstand in der Südtiroler Sanität. Computersysteme die untereinander nicht komunizieren, reduzierte Untersuchungszeiten, Personalmangel und die ständige Angst auf Schadenersatz verklagt zu werden (es gibt ja mittlerweile spezialisierte Kanzleien die darauf aus sind das Sanitätssystem auf jeglicher Art und Weise zu schröpfen). Nicht zu vergessen die steigende verbale wenn nicht sogar physische Gewalt von Seiten der Patienten oder derer Verwandten, die ja dank Dr. Google alles besser wissen und genau so wollen...
Kritik ist ja schön und gut, aber man sollte sich ein bisschen mit dem Thema auseinandersetzt bevor man ein Urteil fällt...

Lun, 08/06/2018 - 19:52 Collegamento permanente
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Salto User
Sepp.Bacher Lun, 08/06/2018 - 20:54

Danke Christoph Franceschini für diese klaren Worte! Besser hätte man das nicht formulieren können. Der mündige Patient ist in Südtirol wohl noch ein Fremdwort. Man hat schon einmal die Initiative für eine Patientenanwaltschaft verhindert und eine Minimallösung gefunden, indem der Volksanwaltschaft einen begrenzten Zusatz-Auftrag erteilt wurde.
Als vor ca sechs Wochen die Ärzte ihren Dienst verweigern wollten, weil sie riskierten für fahrlässige Fehler nicht mehr versichert zu sein, da dachte ich mir: ja sind denn fahrlässige Fehler so etwas Alltägliches, dass man nicht ein paar Tage oder eine Woche unversichert arbeiten könnte?! Warum hat die Presse und die Politik nicht die Veröffentlichung einer Statistik gefordert, wo aufgelistet wird, um welche Fehler es sich handelt? wer einen Schadenersatz eingeklagt hat und in wie vielen Fällen, die Versicherung hat bezahlen müssen?
Welche andere Berufsgruppe ist vom Arbeitgeber gegen Schadensersatz bei fahrlässigen Fehlern versichert?

Lun, 08/06/2018 - 20:54 Collegamento permanente
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Adalbert Stifter Lun, 08/06/2018 - 23:13

Selbige Ärzteschaft hat es auch verbrochen, einen Generaldirektor, der auch für mehr Korrektheit und Transparenz sorgen wollte, mittels eines Alibiaufruhrs wegen einer Versicherung zu Fall zu bringen. Wer ist denn nun die Zielscheibe der ehrenwerten Ärztegesellschaft, nachdem man einen Sündenbock bereits aus dem Weg geräumt hat?

Lun, 08/06/2018 - 23:13 Collegamento permanente
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rotaderga Mar, 08/07/2018 - 07:55

Sehr gute Darstellungen.
Ich selbst wurde von Ärzten behandelt, schon die Diagnose war schwierig und der Eingriff brachte neue Überraschungen.

Irgendwann traten Probleme auf; du musst mental mitarbeiten und gesund werden wollen sonst helfen unsere gesamten Bemühungen nichts. Ich entgegnete, mein lieber Primar, am Ende der eigenen Fähigkeiten könnte man auch Größe dadurch zeigen, fähigere Kapazitäten mit meinem Fall zu beauftragen. Wenn du hier kein Vertrauen hast wende dich an Ärzte deines Vertrauens , hier trage ich die Verantwortung und bestimme ich das Tun. Na dann mach mal und sollte ich wegen dir jetzt gleich sterben, ich werde jede Nacht zurückkommen und deine Zehen zwicken.
Nach unzähligen Untersuchungen und Hinzuziehen von anderen Ärzten wurde das Problem erkannt und durch Noteingriff korrigiert.
Nach einigen Monaten erfuhr ich auf Umwegen, dass es sich um einen ärztlichen Fehler handelte der beim ersten Eingriff geschah. Ich habe mir die gesamten Aufzeichnungen angesehen und hab es dabei belassen. Ich bin nochmals gut davongekommen, man lebt nur einmal.
Und die Ärzte , die arbeiten weiter.

( bei mir giggern sie aber nimmer auf)

Mar, 08/07/2018 - 07:55 Collegamento permanente