Rätselhafte Sprünge
„Die Ausstellung war bereits in Linz zu sehen und wurde für diese Räume hier adaptiert“, erzählte Peter Karlhuber, während er die letzte Runde dreht, durch die von ihm gestaltete Ausstellung Rätsel und Sprung. Sie beschäftigt sich mit der 2016 verstorbenen Schriftstellerin Ilse Aichinger und wurde gestern im ersten Stock des Waltherhauses in Bozen eröffnet. Karlhuber sei als „gelernter Bühnenbildner“ dafür bekannt, dass seine Ausstellungsgestaltungen „dramatisch“ daherkommen, erzählte die Kuratorin Christine Frank. Peter Karlhuber sei und das Projekt am Ende der „der richtige Mann“ gewesen, um Leben und Werk der Schriftstellerin Ilse Aichinger anschaulich zu präsentieren. Karlhuber war es übrigens auch, der erst kürzlich mit der Ausstellung über Gerhard Kofler für Aufsehen in der Brixner Stadtbibliothek sorgte.
Ganz neu ist die Bozner Ausstellung zu Ilse Aichinger nicht. Ein Teil – rund die Hälfte der Ausstellungsfläche –, wurde von der bereits 2021 in Linz gezeigten Aichinger-Schau Das grüne Märchenbuch aus Linz – Ilse Aichinger (1921–2016) übernommen. Die andere Hälfte wurde neu gestaltet.
Die Hauptprotagonistin war eine Meisterin der kleinen Form in Prosa und Lyrik und eine bekennende Cineastin, die die letzten Jahrzehnte ihres Lebens am liebsten im Kino verbrachte. 2017, ein Jahr nach ihrem Tod, wurde sogar im Rahmen einer Hommage von Literatur Lana und dem Filmclub Bozen unter dem Titel Was für Sätze ins Capitol-Kino in Bozen geladen. Sechs Jahre später vom Südtiroler Kulturinstitut ins Theaterhaus.
Ein (Über-)Leben für die Literatur. Ilse Aichinger wurde mit ihrer Zwillingsschwester Helga am 1. November 1921 in Wien geboren. Die beiden Mädchen wuchsen in einer gutbürgerlichen Familie in Linz auf, der Vater war Lehrer und Schriftsteller, die Mutter Ärztin. Die Mädchen zogen 1927 mit ihrer Mutter nach Wien, nachdem sie die Eltern getrennt hatten. Während der schrecklichen Zeit des Nationalsozialismus verlor die jüdische Mutter ihre Anstellung als Schulärztin, die Geschwister Helga und Ilse wurden als „Juden“ denunziert und schikaniert. Während Helga 1939 mit einem der letzten Kindertransporte allein nach England gebracht wurde, blieb Ilse mit ihrer Mutter in Wien zurück und wurde zum Arbeitsdienst zwangsverpflichtet. Im Mai 1942 wurde die jüdische Verwandtschaft, die Großmutter und die jüngeren Geschwister der Mutter, nach Belarus deportiert und dort ermordet.
Aichingers Erfahrungen während des Nationalsozialismus bilden ohne Zweifel den Ausgangs- und Bezugspunkt für ihr Schreiben. So publizierte sie bereits am 1. September 1945 ihren ersten (Nachkriegs-)Text. „Es begann mit Ilse Aichinger“, sollte daraufhin Hans Weigel über die „Wiedergeburtsstunde der österreichischen Literatur nach 1945“ zu Aichinger Jahre später kommentieren. Seit diesem ersten publizierten Text 1945 erschien immer wieder etwas von Aichinger, bis zu ihrem letztem Buch im Jahr 2005. „Sie hat 60 Jahre, also zwei Generationen lang, die österreichische Nachkriegsliteratur begleitet“, fasste die Kuratorin Aichingers Schaffen zusammen.
Ilse Aichingers autobiografischer Roman Die größere Hoffnung erschien 1948. Er ist für den "sprunghaften" Titel der Ausstellung in Bozen von Bedeutung, da er sich von Ellen, der jungen Heldin des Romans, herleiten lässt, die „wußte, daß sie bald springen würde. Es war alles ein einziger Anlauf gewesen.“ In ihrem letzten Sprung gehorcht sie ganz ihrem Mut und ihrer „größeren Hoffnung“, findet darin aber auch den Tod. Rätselhaftes ereignet sich hingegen in Aichingers Erzählung Wo ich wohne fünfzehn Jahre später, in der die Erzählerin beim Nachhausekommen feststellt, dass ihre Wohnung allmählich von Stockwerk zu Stockwerk hinabrutscht und schließlich in den Untergrund sinkt, ohne dass die übrigen Hausbewohner etwas davon zu bemerken scheinen. Passieren kann so etwas natürlich nicht während der Ausstellung im ersten Stockwerk des Waltherhauses. Denn zum Glück passiert das nur: in Aichingers Literatur.