Mit Zuckerbrot und Peitsche
Die Sitzung im Landtag am Donnerstag geht an die Substanz. Der Landeshauptmann erläutert minutenlang den falschen Änderungsantrag. Franz Ploner muss die Ausdrucksweise seiner Kollegen korrigieren: “Es heißt nicht sierologische, sondern serologische Tests.”Alessandro Urzì nennt Myriam Atz Tammerle “Tatz Ammerle”. Mehrere Abgeordnete halten den Kopf gesenkt auf ihre Hände gestützt. In den Unterlagen des Landtagspräsidenten fehlen Dokumente. Hektik und Verwirrung nehmen zu.
Am späten Nachmittag haben die 35 Landtagsabgeordneten mehrheitlich beschlossen, das Landesgesetz zum “Südtiroler Sonderweg” aus dem Lockdown in der Nachtsitzung durchzupeitschen. Zu diesem Zeitpunkt ist gerade einmal die Generaldebatte abgeschlossen. Doch das Gesetz soll, wie seit über einer Woche versprochen, am Freitag, 8. Mai unmittelbar nach der Übersetzung des genehmigten Textes, Beurkundung durch den Landeshauptmann und Veröffentlichung im Amtsblatt der Region in Kraft treten. Dazu braucht es eine Zweidrittel-Mehrheit.
Unmittelbar danach darf der Einzelhandel wieder aufsperren – mit verlängerten Öffnungszeiten bis 22 Uhr, sonntags nur mit Ausnahmen – sowie die Produktionstätigkeiten der Industrie, des Handwerks und des Handels wieder anlaufen. Zahlreiche Kaufleute haben die Wiedereröffnung nach fast zwei Monaten Zwangspause bereits vorbereitet – und den Kunden kommuniziert.
Auch Hotels haben ihren (möglichen) Gästen bereits das Datum ihrer Wiedereröffnung mitgeteilt. Nach dem 25. Mai dürfen Beherbergungsbetriebe, ebenso wie Seilbahnanlagen, wieder öffnen. Friseure, Schönheitspfleger, aber auch Museen, Bibliotheken und Jugendzentren können ab 11. Mai wieder aufsperren. Am selben Tag geht es auch für Bars und Restaurants wieder los.
Doch ohne größter Vorsicht kann auch Südtirol – trotz stark gesunkener bzw. stabiler Zahlen bei den Neuinfizierten und Covid-Toten – keine Lockerungen zulassen, wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben wieder ermöglichen. Wie das am besten gelingen kann, darum geht es in der Debatte am Donnerstag im Landtag. Zahlreiche Augen sind auf die 35 Abgeordneten gerichtet.
Um 23 Uhr verfolgen noch über 670 Zuschauer die Wortmeldungen, Schlagabtausche und Abstimmungen, die über den Youtube-Kanal des Landtags gestreamt werden.
Mit Zuckerbrot und Peitsche wollen die SVP und ihr Regierungspartner Lega die Südtiroler aus dem Corona-Stillstand führen. Auf der einen Seite gesteht man den Menschen deutlich mehr Freiheiten als in anderen italienischen Regionen zu. Auf der anderen Seite gelten strenge Sicherheits- und Hygieneauflagen, vor allem für Betriebe, die in drei Anlagen und insgesamt 50 Seiten festgehalten sind. “Die Fortführung der Arbeitstätigkeit kann nur unter Bedingungen erfolgen, die ein angemessenes Schutzniveau für die arbeitenden Menschen gewährleisten”, heißt es in den mit den Sozialpartnern vereinbarten Sicherheitsprotokollen. Falls diese Protokolle nicht eingehalten werden, verfügt der Landeshauptmann die Aussetzung der Tätigkeiten für zehn Tage. Zudem sind die Bürgermeister weiter ermächtigt, für ihrer Gemeinde “weitere und restriktivere Maßnahmen” zu treffen.
Generell gilt für alle im Freien und in Gemeinschaftsräumen, einen Sicherheitsabstand von zwei Metern einzuhalten – außer zwischen Menschen, die im selben Haushalt zusammenleben. Ab einem Abstand von weniger als zwei Metern müssen Erwachsene und Kinder ab sechs Jahren einen Mund-Nasen-Schutz verwenden, der ohnehin immer mitgeführt werden muss, wenn die Möglichkeit besteht, auf andere zu treffen. Auf dem gesamten Landesgebiet darf man sich ohne Eigenerklärung frei bewegen, mit dem Privatauto, Zug oder Bus. Individualsport ist erlaubt, auch das Schwimmen in Badeseen, Mannschaftssport nicht.
Menschenansammlungen müssen vermieden werden, öffentliche Events oder Veranstaltungen bleiben für die gesamte Dauer des Notstandes verboten. Allerdings kann der Landeshauptmann per Verordnung Ausnahmen zulassen. Für die so erlaubten Veranstaltungen gilt das Kontaktverbot zwischen den Besuchern und die die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften.
Ab 18. Mai können Kindergärten und Grundschulen bis Ende des Schuljahrs einen Notdienst einrichten. Die Modalitäten für diesen Dienst legt die Landesregierung per Beschluss fest. Die Kleinkinderbetreuung ist ebenfalls ab 18. Mai möglich – mit strengen Vorgaben. Bei der Zulassung zu den Initiativen wird jenen Kindern der Vorzug gewährt, deren Eltern arbeitsbedingt die Betreuung der eigenen Kinder nicht gewährleisten können.
Über allem wacht eine Expertenkommission, die laut Gesetz “ein konstantes Monitoring des Verlaufs der Infektionskurve” vornimmt und dem Landeshauptmann das Ergreifen von geeigneten Maßnahmen vorschlägt, “falls die Anzahl dieser Infektionen wieder zunimmt oder sich eine Tendenz abzeichnet, die auf eine wahrscheinliche Überschreitung der Kapazitätsgrenzen des Gesundheits- und Pflegesystems zusteuert”.
“Wir haben einen Weg gefunden, der im Rest des Staatsgebiets seit Wochen angekündigt wurde, aber nicht vom Fleck kommt. Mit diesem Gesetz versuchen wir, das, was in den vergangenen Wochen an Spaltung stattgefunden hat, wieder zusammenzuführen. Es ist ein guter Mittelweg, der uns noch immer sicher in die Zukunft geführt hat.” Arno Kompatscher weiß, dass trotzdem viele Menschen enttäuscht sein werden. Die einen, weil sie die Lockerungen als vorschnell empfinden und weiterhin mehr Sicherheit verlangen. Die anderen, weil die Öffnungen nicht weit genug gehen und die Auflagen für viele Wirtschaftstreibende äußerst schwer einzuhalten sein werden.
Doch für den Landeshauptmann gilt die Devise: Einen Schritt nach dem anderen machen, um ja nicht wieder zurückzufallen. Kompatscher versichert: Gewisse Bereiche können per Verordnung nachgebessert werden – falls es die Umstände erlauben. In den Stimmabgabeerklärungen von Opposition und Mehrheit, die kurz nach Mitternacht beginnen, zeigt sich eine ungewohnte Demut. Niemand verfällt in großen Jubel, niemand übt harsche Kritik. Es überwiegt das Wissen, dass Land und Leuten noch harte Zeiten bevorstehen und der Weg in die Zukunft nur gemeinsam beschritten werden kann, um möglichst niemanden zurückzulassen.
Die Abstimmung über das Gesetz erfolgt um 00.42 Uhr. Mit 28 Ja (SVP, Lega, Team K, Freiheitliche, Carlo Vettori, Sven Knoll), 1 Nein (Urzì) und 6 Enthaltungen (Grüne, Atz Tammerle, Sandro Repetto, Diego Nicolini) ist die notwendige Zweidrittel-Mehrheit mehr als erreicht, damit das genehmigte Gesetz (hier der vollständige Text) umgehend den geplanten Weg gehen kann. Nachdem die Verwaltungsarbeiten abgeschlossen sind und das Gesetz seinen Weg ins Amtsblatt der Region gefunden haben wird, tritt es in Kraft. “Vermutlich am späten Freitag Nachmittag” werde es so weit sein, kündigt Landeshauptmann Kompatscher an. Und schließt mit einem Appell an alle im Saal: “Wir müssen dafür sorgen, dass wieder Zuversicht einkehrt.”
Freitag Nachmittag? Also zur
Freitag Nachmittag? Also zur Marende! Ein wirklicher Südtiroler Sonderweg.
Die ganze Sache ist eine
Die ganze Sache ist eine Augenauswischerei. Im Text wird konstant auf die Anlagen bzw. staatliche Bestimmungen verwiesen. Die Anlagen B, C und D sind Übersetzungen von Dokumenten der staatlichen Vorgaben. Gehe mal davon aus, dass viele nicht öffnen werden, vor allen Bar und Restaurants, da die Spesen höher sein werden als die möglichen Einnahmen. Die Kinderbetreuung wird nur wenige zufriedenstellen, da konret von extrem kleinen Gruppen die Rede ist. Hier werden die Räumlichkeiten ein Problem darstellen, wo sollen diese aufgetrueben werden? Viele Familien werden nicht zum Zug kommen. Die Personalfrage ist auch nicht geklärt.
In risposta a Die ganze Sache ist eine di Antonino Zema
Ja. Wir sollten alle halt
Ja. Wir sollten alle halt nicht vergessen, dass die derzeitige - immer noch - eine Ausnahmesituation ist, und die Gefahr eines Rückfalls immer noch hoch. Wunder kann halt immer noch niemand wirken.
Nachdem sich die
Nachdem sich die Wirtschaftslobbys schon pressewirksam in Position gestellt haben, um einen raschen Wiederaufbau zu erreichen und um ja nicht bei der Vergabe öffentlicher Gelder zu kurz zu kommen, scheint mir präventiv das Wichtigste, sofort das Gesundheitswesen in die Lage zu versetzen, bei (hoffentlich nicht eintretendem) Rückfall VOLL zu funktionieren, und zwar nicht nur in Bezug auf Schutzkleidung/ Intensivstationen, sondern auch in Bezug auf jene anderen Dienste die erst langsam wieder anlaufen. Zweitens bei der anlaufenden Hilfsgeldvergabe für volle Transparenz zu sorgen, insbesondere Betriebe mit Angabe der Namen und Geldanträge in voller Höhe & Antragsreihenfolge zu veröffentlichen und last not least: Steuertrickser und Klimasünder von der Liste auszuschließen.
Expertenkommission so nennt
Expertenkommission so nennt man die Leute welche über die Bestimmungen wachen, ich bin der Meinung, dass jeder Bürger soviel Verantwortung hat, dass wir weder Strafen noch Anzeigen brauchen. Die Bürger haben es schon schwer genug und das Land und Staat kommen mit den ganzen Schikanen.
jeder Bürger wird zur Rechenschaft gezogen , macht er einen Fehler. Wieso werden von der Politik begangene Fehler nicht bestraft??
Jeden Tag Pressetermin, jeden Tag die selben Sprüche, jeden tag wird Hilfe versprochen,frage mich nur wo sie bleibt.
Der Spruch des Tages: Bitte wascht euch die Hände.
Das Gehirn waschen wir. Rai, Stoll, Südtirol News und die SVP.
In risposta a Expertenkommission so nennt di Johann Georg B…
... "dass jeder Bürger soviel
... "dass jeder Bürger soviel Verantwortung hat..." Wir waren doch viel zu bequem und haben die Verantwortung immer mehr abgeschoben - sind Eigenverantwortung nicht mehr gewöhnt.
Wenn ich so durch die Straßen ziehe, mir Geschäfte, Betriebe und Menschen ansehe, dann sind wir noch sehr weit von den Auflagen entfernt die im Landesgesetz beschrieben sind. Eigenverantwortung sieht anders aus!
Hier ist nur mehr zu hoffen, dass wir wirklich mit einem blauen Auge davon kommen.
In risposta a ... "dass jeder Bürger soviel di Klemens Riegler
Wie wahr, Klemens!
Wie wahr, Klemens! Eigenverantwortung wahrnehmen (verstehen, umsetzen) wäre wohl eine Voraussetzung für Autonomie, aber deren Begrenztheit zeigt das Naturereignis CV gnadenlos auf - wenn sich dieses "chissenefrega!"- ausdehnt, werden wir selbstverantwortet mit Toten und Strafen rechnen müssen.
PS: Kleines Beispiel Pizzeria-take-away in Bozen: in kleinstem Raum von der Straße einsehbar bereiten 5-6 Pizzabäcker ohne Maske eifrig Pizzas, draußen warten die boys aufs Ausliefern mit Motorrädern am Bürgersteig, ohne Masken u nahe beinander.
Ein Polizeiauto fährt langsam vorbei, beide Beamte ebenso ohne Maske.
In risposta a Wie wahr, Klemens! di Klaus Griesser
Die Polizisten fahren in der
Die Polizisten fahren in der Regel mit Maske; das muss eine Ausnahme sein! Aber es stimmt:
a) Wahrscheinlich nehmen junge menschen die Gefahr nicht so ernst? (Wie man auch aus Bildern gestern in Mailand sehen konnte) und
b) es gibt einfach Situationen wie z. B. beim Einkauf, die schwer kontrollierbar sind: man weiß nicht, wohin und wann sich der/die andere bewegen wird und oft denkt man auch selber nicht ständig an das und ist abgelenkt. Das ist eben das Restrisiko!
Die Krone der Autonomie ...
Die Krone der Autonomie ...