Soziale Mitte ohne Macht

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„Ich bedaure die soziale Schieflage“, sagt Oskar Peterlini, und es klingt nicht nach einer bloßen Floskel, sondern nach einer persönlichen Bilanz. Im Rahmen eines Vortrags auf Einladung der Autonomen Gewerkschaftsorganisation der Gebietskörperschaften (AGO) zeichnete der langjährige SVP-Politiker und ehemalige Senator ein düsteres Bild der gesellschaftlichen Entwicklung – global wie lokal. Die soziale Ungleichheit nehme dramatisch zu, warnte Peterlini. Und während Reichtum weltweit wachse, verfestige sich die Armut – auch in Südtirol.
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Soziale Mitte ohne SchlagkraftOskar Peterlini: „Die Sozialverbände halten sich zurück, wenn es Wahlen gibt.“ Foto: Österreichische Parlamentsdirektion/Thomas Topf
Laut Forbes verfügen die reichsten 3.000 Menschen der Welt über 16,1 Billionen US-Dollar. Gleichzeitig hungern 733 Millionen Menschen – ein Achtel der Weltbevölkerung. Der gesellschaftliche Zusammenhalt und die demokratischen Fundamente seien dadurch gefährdet, so Peterlini. In Südtirol gebe es trotz eines der höchsten Pro-Kopf-BIP Italiens (59.800 Euro) einen alarmierenden Widerspruch: Das reale mediane Haushaltseinkommen liege lediglich bei 29.496 Euro. Fast ein Fünftel der Haushalte ist armutsgefährdet – ohne staatliche Transfers wären es ein Viertel.
Peterlini, der sich in seiner politischen Laufbahn für Jugendförderung, Familienpakete und die soziale Absicherung starkgemacht hat, spart in seiner Kritik nicht an seiner eigenen Partei. Die „Soziale Mitte“ innerhalb der SVP habe „keine Schlagkraft“ mehr, konstatiert er. Die Gründe sieht er nicht nur in fehlender politischer Unterstützung, sondern auch in der Schwäche der Arbeitnehmerorganisationen selbst. „Die Sozialverbände halten sich zurück, wenn es Wahlen gibt“, beklagt Peterlini. Viele Verbände würden ihre Mitglieder eher davon abhalten, politisch zu kandidieren, als sie zu unterstützen. Das führe zu einem strukturellen Ungleichgewicht: Während Wirtschaftsverbände wie Bauernbund oder HGV systematisch politische Einflussnahme betreiben – „mit Geld, Organisation und Werbung“ –, bleibe der soziale Sektor außen vor. „Damit vertun sich die Sozialverbände die große Chance, in der Sozialpolitik mitzuwirken.“
Migration als Notwendigkeit – nicht als BedrohungEin zentrale Rolle in der Frage der sozialen Gerechtigkeit spielt laut Peterlini auch die Migration. Diese sei nicht nur Folge globaler Ungleichheit, sondern zunehmend eine ökonomische Notwendigkeit in alternden Gesellschaften wie der Südtirols. „Nur durch gesteuerte, legale Migration können wir dem demografischen Wandel begegnen“, so Peterlini. Die Nettoabwanderung vor allem junger Südtiroler sei dramatisch: Rund 1.000 Personen pro Jahr verlassen dauerhaft das Land. „Das können wir uns nicht leisten“, warnt der Ex-Senator – nicht nur wegen des Fachkräftemangels, sondern auch wegen des drohenden Zusammenbruchs des Sozialsystems. Südtirol sei zwar landschaftlich attraktiv, doch das reiche nicht aus, um junge Menschen zu halten.
„Die Gehälter halten nicht Schritt mit den Lebenshaltungskosten.“
„Die Gehälter halten nicht Schritt mit den Lebenshaltungskosten“, betont Peterlini. Er nennt Beispiele: Eine Lehrperson verdient netto rund 1.700 Euro – ein Bruchteil dessen, was in der Schweiz gezahlt wird. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Familien durch Digitalisierung, Mobilität und Bildungszugang. „Auch der Mittelstand rutscht zunehmend in prekäre Verhältnisse“, so Peterlini. Unerwartete Ausgaben wie Autoreparaturen oder Zahnarztrechnungen könnten selbst „gut organisierte Familien“ an ihre Grenzen bringen.
Peterlini fordert einen Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik – und eine aktivere Rolle der Sozialverbände. Es gehe nicht darum, parteipolitisch zu agieren, sondern innerhalb aller Parteien Kandidaten zu fördern, „die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen“. Denn: „Die Schwäche der sozialen Mitte liegt nicht an den Ideen, sondern daran, dass niemand dahintersteht.“ Er sieht Bewegung, beispielsweise im KVW, wo der Landesvorsitzende Werner Steiner bei der letzten Landesversammlung offen zur Wahl von sozial engagierten Gemeinderäten aufrief. Doch es brauche mehr Mut, mehr Organisation, mehr politischen Willen – auch von Seiten der Zivilgesellschaft.
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Und immer wieder frage ich…
Und immer wieder frage ich mich, wieso treten sie nicht aus und gründen eine eigene politische Bewegung?
Das würde m.E. die Karten richtig neu aufmischen.
...jetzt habe ich den…
...jetzt habe ich den Artikel zweimal durchgelesen! Eine reine Aufzählung von Problemen! Lösungsansätze wie Steuererleichterungen, Lohnanpassungen, Rentenunterstützungen...
Fehlanzeige!
Das, was in diesem Artikel…
Das, was in diesem Artikel steht, wissen wir doch schon längst ...