Economia | Interview

„Halb Wissenschaft, halb Kunst“

Vor allem in Sachen Informations- und Datenbeschaffung spielt KI heute schon eine große Rolle auf dem Finanzmarkt. Die Analyse eines Menschen könne sie dem Aktienexperten Christof von Wenzl zufolge aber nicht ersetzen.
Christof von Wenzl
Foto: Privat/Andy Odierno
  • SALTO: Herr von Wenzl, wie verändert Künstliche Intelligenz (KI) derzeit die Art und Weise, wie Finanzmärkte analysiert und vorhergesagt werden?

    Christof von Wenzl: Mir persönlich hilft KI bereits bei meiner täglichen Arbeit als Aktienanalyst und das schon seit Jahren. KI ist dabei mein persönlicher Assistent, der mir Daten, Unterlagen und Informationen beschafft und Recherche in unzähligen Dokumenten von Firmen betreibt. Somit bin ich bei meiner Nachforschungsarbeit einfach schneller. Diese Informationen auswerten und in einen Kontext setzen, muss ich aber letzten Endes immer noch selbst. Diese Arbeit kann mir KI nicht abnehmen. Natürlich wünscht sich jeder Privatanleger ein KI-Modell, das Millionen von Datenpunkten auswertet und dann den Verlauf einer Aktie vorhersagt. Das ist aber eine Illusion und in keiner Weise realistisch. Die Börse wird heute von so vielen Gesichtspunkten beeinflusst, dass weder ein Mensch noch Künstliche Intelligenz den Verlauf der Aktien vorhersagen kann. Die Analyse der Märkte und Aktien ist zur Hälfte Wissenschaft und zur anderen Hälfte Kunst. Um hier den Durchblick zu behalten, braucht es ab einem gewissen Punkt menschliche Erfahrungswerte, die ein Computersystem nicht aufweisen kann. 

     

    „Trotzdem brauchen Finanzexperten auch weiterhin Vorstellungskraft, Kreativität und Geduld.“

     

    Welche spezifischen KI-Technologien haben den größten Einfluss auf den Handel und die Marktprognosen?

    In den meisten Fällen bauen die Systeme auf Large Language Models (LLM) auf. Diese Sprachmodelle sind darauf trainiert, unzählige Informationen auszuwerten. Beispielsweise kann ich die KI damit beauftragen, mir alle Firmensitze eines Unternehmens herauszusuchen. Man kann das Ganze mit einem Büro vergleichen, in dem fünf Angestellte beschäftigt sind, die diese Arbeit verrichten. Für mich macht die KI diesen Job. Auch ChatGPT ist ein solches LLM, es greift auf unterschiedliche Daten, Unterlagen und Artikel zu und gibt dann eine Antwort auf die gestellte Frage.

    Welche Vorteile bietet der Einsatz von KI im Vergleich zu traditionellen Finanzanalyse-Methoden?

    Im Grunde ist es wirklich die Datensammlung. Bei der traditionellen Datenauswertung verändert sich durch KI nicht viel. Es braucht immer Menschen, die die erlangten Informationen analysieren und in einen Kontext setzen. Die Grundprinzipien des Aktienmarktes bleiben dieselben, deshalb ändert sich der Finanzmarkt nicht wirklich durch die Implementierung von KI. Es ist auch möglich, dass KI künftig in automatische Handelsprogramme eingebaut wird. Derzeit arbeiten diese Programme stumpfsinnig Spielregeln ab und treffen dann einen Handelsentschluss, sprich Kaufen oder Verkaufen. Ob eine Erweiterung dieser Systeme durch KI funktionieren kann und ob es der Heilige Gral sein wird, weiß ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht.

  • Finanzanalyse: Von Wenzl zufolge ist menschliche Bewertung der Daten unabdingbar. Foto: Pexels/Anna Nekrashevich
  • Gibt es Risiken, die durch den verstärkten Einsatz von KI im Finanzsektor entstehen könnten? 

    Ja, vor allem im Hinblick auf die gerade angesprochenen Systeme. Falls die automatischen Handelsprogramme stark mit KI gefüttert werden, besteht das Risiko, dass die Systeme so komplex werden, dass kein Mensch mehr durchblicken kann und die KI massive Handelsentscheidungen trifft. Eine Gefahr besteht meiner Ansicht nach, wenn wir die KI eigenständig arbeiten und entscheiden lassen. 

    Wie sehen Sie die Rolle von menschlichen Analysten und Händlern in einer zunehmend automatisierten Finanzwelt?

    Im Grunde ist es wie in anderen Bereichen auch. Wenn die KI als Assistent heute die Arbeit von drei bis fünf Analysten übernimmt, sinkt natürlich die Nachfrage nach menschlichem Personal. Diese Entwicklungen betrifft aber auch andere Bereiche und Branchen. Grafikbetriebe, die die Technologie von Adobe benutzen, die durch KI ganze Grafiken auf Basis von Text erstellen kann, benötigen natürlicherweise weniger Mitarbeiter. Deshalb müssen Arbeitnehmer heute in ihre Bildung investieren, damit sie in einer von Künstlicher Intelligenz geprägten Zukunft noch sattelfest sind. 

  • Christof von Wenzl: „Regulierung ist gut und wichtig, jedoch muss sie in einen Rahmen gesetzt werden.“ Foto: Privat

    Welche ethischen Überlegungen sollten bei der Entwicklung und Implementierung von KI im Finanzsektor berücksichtigt werden?

    Ethik ist eine persönliche Angelegenheit, bei einem Anleger beginnt und endet sie an einem anderen Punkt als bei einem anderen Anleger. Mit der ethischen Frage sollte sich deshalb mehr derjenige beschäftigen, der die KI entwickelt. Hier spielt auch der Aspekt eine Rolle, welche Ziele der Entwickler mit seinem Produkt verfolgt.

    Wie sehen Sie die Zukunft der Regulierung im Hinblick auf den Einsatz von KI in den Finanzmärkten?

    Regulierung ist gut und wichtig, jedoch muss sie in einen Rahmen gesetzt werden. Hier ein Beispiel: Die EU versucht, den KI-Markt durch politische Maßnahmen und Gesetze zu kontrollieren. Das hat jedoch zur Folge, dass europäische Unternehmen so sehr in Ketten gelegt werden, dass sie nicht mehr konkurrenzfähig sind mit Firmen aus anderen Ländern, wo es keine so starken Reglementierungen gibt. Früher oder später finden die neuen Systeme sowieso ihren Weg auf den freien Markt, das kann man nicht verhindern.

     

    „Als Experte im Finanzsektor reicht es nicht, wenn man die gewonnenen Informationen wiedergeben kann.“

     

    Welche neuen Fähigkeiten und Kenntnisse werden von Fachleuten im Finanzsektor erwartet, um in einer von KI geprägten Landschaft erfolgreich zu sein? 

    Klarerweise muss man wissen, wie man mit der KI umgeht. Wenn ich nicht weiß, wie ich meinen Assistenten einsetze, kann ich diesen Trumpf auch nicht ausspielen. Zusätzlich muss man wissen, wie man die erhaltenen Infos gegen kontrolliert. Trotzdem brauchen Finanzexperten auch weiterhin Vorstellungskraft, Kreativität und Geduld. So schlau die KI-Modelle auch werden, am Ende des Tages bleibt die Verantwortung und die Bewertung bei uns selbst. Als Experte im Finanzsektor reicht es nicht, wenn man die gewonnenen Informationen wiedergeben kann, das kann jede KI, es geht darum, das Ganze in einen Kontext zu setzen und es zu verstehen.

    Welche Erwartungen stellt die Finanzwelt an künftige KI-Modelle?

    Privatanleger wünschen sich sicherlich eine Technologie, bei der man selbst weder denken noch etwas tun muss. Die KI soll einfach im Hintergrund Geld verdienen. Ich glaube aber nicht, dass das so funktionieren wird. Denn auch die beste KI wird niemals Kursbewegungen vorhersagen können. Meine persönliche Erwartung an KI ist, dass die Qualität der Informationen und der Systeme generell laufend besser wird. Heute kommt es nämlich noch oft vor, dass mir die KI Ergebnisse ausspuckt, die nicht der Wahrheit entsprechen. Hier braucht es einen wachen Geist, um eventuelle Falschinformationen zu erkennen und quer zu checken. Ich rechne auch damit, dass es viel mehr spezialisierte Modelle für bestimmte Fachbereiche und Branchen geben wird.

  • Veranstaltung für junge Erwachsene

    Am kommenden Dienstag, 10. September 2024 veranstaltet der Raiffeisen InvestmentClub einen Infoabend für Mitglieder des Raiffeisenverbandes. Rahmen des Abend wird Christof von Wenzl zusammen mit einem weiteren Experten, Collin Croome, einen Einblick in die Welt der Künstlichen Intelligenz und ihre Auswirkung auf die Finanzmärkte geben. 
    Das Event findet im Auditorium der EURAC in Bozen (Beginn um 19.00 Uhr) statt und ist jungen Erwachsenen vorbehalten.

    Anmeldung:
    0471 945 371 
    [email protected]