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“Dieser Weg der SVP ist nicht meiner”

Zeno Christanell tritt als SVP-Bezirksobmann zurück. Er hadert mit seiner Partei und meint: “Aus Werten muss Handfestes entstehen.” Steht die Sammelpartei auf dem Spiel?
Zeno Christanell
Foto: SVP Mediendienst

Er sollte den Generationenwechsel in der SVP Burggrafenamt einläuten. Nach zehn Jahren Karl Zeller wurde Zeno Christanell im März 2017 mit 89 Prozent der Stimmrechte zum neuen Bezirksobmann gewählt. Nun, nicht einmal zwei Jahre später, legt Christanell das Ehrenamt nieder. “Aus Selbstbewusstsein und nicht in erster Linie aus Enttäuschung”, sagt er. Und lässt dennoch durchblicken, dass er mit der SVP hadert.

Sein halbes Leben hat der heute 38-Jährige schon in der Politik verbracht. Mit 19 wird er im Jahr 2000 in seiner Heimatgemeinde Naturns zum Gemeinderat und – als jüngster Gemeindereferent Italiens – in den Ausschuss gewählt. Dort ist er 15 Jahre lang unter anderem für die Bereiche Sport, Energie, Umwelt, Urbanistik und Jugend zuständig. 2015 verbleibt er als einfacher Gemeinderat in der Gemeindepolitik – es zieht ihn nach Bozen. Am 21. Oktober 2018 kandidiert Christanell, der im Landesvorstand der SVP-Arbeitnehmer sitzt, für den Sozialflügel seiner Partei bei den Landtagswahlen. 4.807 Vorzugsstimmen und der 19. Platz auf der SVP-Liste reichen für den Einzug in den Landtag nicht. Auf Bezirksebene muss die SVP im Burggrafenamt einen Verlust von 2.606 Stimmen im Vergleich zu 2013 hinnehmen. Im Parteiausschuss spricht sich Christanell Ende November gegen eine Regierungsbeteiligung der Lega aus. Mit dem “skrupellosen Populismus” und dem “minderheitenfeindlichen, anti-europäischen und zum Teil auch anti-autonomistischen Nationalismus” der Lega kann und will er sich nicht anfreunden. Trotzdem sitzt er in einer der Arbeitsgruppen, die für Lega und SVP das Regierungsprogramm aushandeln.

Noch bevor die Arbeiten abgeschlossen sind, zieht Zeno Christanell, der hauptberuflich als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Geografie am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium in Meran unterrichtet, jetzt Konsequenzen. Er tritt als Bezirksobmann der SVP Burggrafenamt zurück: “In den letzten Wochen hat eine gewisse Entfremdung stattgefunden. Der nun eingeschlagene Weg ist nicht meiner.

salto.bz: Herr Christanell, dass Parteivorsitzende nach Wahlerverlusten zurücktreten, ist keine Seltenheit. Philipp Achammer hat diesen Schritt nicht gesetzt – Sie als SVP-Bezirksobmann im Burggrafenamt schon. Sehen Sie eine Verantwortung bei sich, dass die SVP in Ihrem Bezirk über 2.500 Stimmen im Vergleich zu 2013 verloren hat?

Zeno Christanell: Weder von Parteiobmann Achammer, der ja ein sehr gutes persönliches Ergebnis eingefahren hat, noch von mir hat irgendjemand einen Rücktritt verlangt. Die verlorenen Stimmen lassen sich vor allem auf die geringere Wahlbeteiligung und auch auf das Wahlverhalten vieler Italiener zurückführen, die dieses Mal nicht mehr SVP gewählt haben. Das Interpretieren von Statistiken ist aber immer so eine Sache. Die SVP im Burggrafenamt lag 27,1% oder 14.273 Listenstimmen vor der zweitgewählten Partei. Bei den Landtagswahlen 2013 waren es 24,5% oder eben 13.392 Listenstimmen. So gesehen wurde im Bezirk 2018 ein besseres Ergebnis erzielt als 2013 – aber das ist natürlich zu kurz gedacht. Anderes Beispiel: Ich bin im Bezirk viertgewählter Kandidat – nur Landeshauptmann, Parteiobmann und Landesrat haben mehr Vorzugsstimmen erhalten. Ein Donald Trump würde das wahrscheinlich als großen Erfolg verkaufen. Tatsache ist aber, ich sitze nicht im Landtag – dem trage ich nun Rechnung.

Ob die SVP weiterhin Sammelpartei bleibt, hängt davon ab, ob es gelingt, dem Trend hin zum Ökosozialen gerecht zu werden.

Ist Ihr Rücktritt der Schritt eines enttäuschten Bezirksobmannes, eines enttäuschten Arbeitnehmers oder eines enttäuschten SVP-Mitglieds?

Natürlich war das Resultat bei der Landtagswahl für mich persönlich auch ein Motivationskiller. Aber ich trete in erster Linie nicht aus Enttäuschung zurück, sondern aus Selbstbewusstsein. Wenn man viel Lebensenergie investiert und dann nicht das erhoffte Ziel erreicht, muss man sich doch entscheiden, ob man weiterhin dazu bereit ist, ein solch intensives Ehrenamt auszuüben. Das wird jeder Vereinsobmann nachvollziehen können. Nach 18 Jahren habe ich meinen gesellschaftlichen Beitrag geleistet. Ein Schritt zurück erscheint mir jetzt einfach stimmig. Aber ich bin nicht frustriert oder beleidigt – das politische Engagement war überwiegend erfüllend. Auch fruchtbringend: Ich bin in unterschiedlichsten Funktionen immer hartnäckig für meine humanistischen Ideale eingestanden und konnte sicherlich das ein und andere Gesetz etwas solidarischer gestalten.

Distanzieren Sie sich mit Ihrem Rücktritt von der offiziellen Parteilinie, die die SVP Richtung Koalition mit der Lega führt?

Ich habe gegen diese Koalition gestimmt – dazu stehe ich offen. Der nun eingeschlagene Weg ist nicht meiner, aber auch nicht die Ursache für meinen persönlichen Rückzug. Auch wenn ich ehrlich sagen muss, dass durch den nüchternen Pragmatismus der letzten Wochen eine gewisse Entfremdung stattgefunden hat.

Ich stehe sicher nicht als SVP-Arbeitnehmerchef zur Verfügung.

Dass die Arbeitnehmer keine leichte Stellung in der SVP haben, hat nicht zuletzt die Abstimmung im Parteiausschuss über das Bündnis mit der Lega gezeigt. Sie haben sich dagegen ausgesprochen. Weil Sie davon ausgegangen sind, dass es trotz eines Wertekatalogs, der nun doch nicht vorab unterzeichnet wurde, zu einem Bündnis kommen wird?

Der Wertekatalog war für mich nicht so bedeutend – Papier ist bekanntermaßen geduldig. Es geht um das konkrete Handeln, zum Beispiel mit Blick auf Europa. Hier gibt es bei den Rechtspopulisten eine klare Agenda, die lautet: mehr Nationalismus! Durch die Demontage der Glaubwürdigkeit der EU-Institutionen schwindet das Vertrauen. Das kann nicht gut sein – vor allem nicht für Südtirol. Bei allen Fehlern ist die EU seit Jahrzehnten Garant für Wohlstand, Frieden und Freiheit. Migration, Umweltschutz, Internetsicherheit, offene Bildungs- und Arbeitsmärkte und vieles mehr – das sind alles Zukunftsthemen, die Europa nur gemeinsam meistern kann. Die nationale Antwort ist entsprechend eine total rückwärtsgewandte, die am Ende vor allem den Schwachen schadet und zu Konflikten zwischen den europäischen Staaten führen kann. Gegen diese Haltung habe ich mit Überzeugung gestimmt.

Hans Heiss bezeichnet die Wertediskussion in der SVP als Scheindiskussion. Er sieht die Arbeitnehmer als Kräfte in der SVP, die “Werte und nicht Interessen vertreten” marginalisiert. Stimmt das?

Die Diskussion als solche war sicherlich eine ehrliche – hier liegt Heiss falsch. Ob sie sich im politischen Tun niederschlägt? Daran muss sich die SVP und innerhalb der Sammelpartei vor allem die Bewegung der Arbeitnehmer messen lassen. Vielleicht ist das ja dann wirklich, wie Heiss meint, eine Chance. In den nächsten fünf Jahren muss mehr in die soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit investiert werden. Die Basis dafür sind entsprechende Wertehaltungen, aber daraus muss auch etwas Handfestes entstehen.

Ich sitze nicht im Landtag – dem trage ich nun Rechnung.

Sehen Sie mit dem bevorstehenden Bündnis, das Ihre Partei mit der Lega eingehen wird, die Zeit für eine Abspaltung des Sozialflügels von der SVP gekommen?

Diese Grundsatzfrage steht seit der Gründung immer wieder im Raum. Ich habe im Rahmen des aktuellen Raetia-Buchprojektes “1968 – Südtirol in Bewegung” auch einen Gastbeitrag verfasst und dabei mit den Ur-Arbeitnehmern Rosa Franzelin und Erich Achmüller Interviews geführt. Beide waren damals wie heute der Meinung, dass man innerhalb der Partei mehr erreichen kann als auf der Oppositionsbank. Aber das ist kein Naturgesetz und muss immer wieder evaluiert werden. Es gibt in Deutschland einen deutlichen Trend hin zum Ökosozialen, der natürlich auch zu uns kommen könnte und meiner Meinung nach als Gegenbewegung zum Populismus auch Potenzial hätte. Ob die SVP weiterhin Sammelpartei bleibt, hängt davon ab, ob es gelingt, auch diesem Bedürfnis gerecht zu werden.

In den nächsten fünf Jahren muss mehr in die soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit investiert werden.

Sie haben einen engagierten Wahlkampf betrieben und sind auch nach den Wahlen als soziales Gesicht der SVP in Erscheinung getreten. Wie geht es für Sie weiter? Ziehen Sie sich politisch zurück? Oder streben Sie die Nachfolge von Helmuth Renzler an, der angekündigt hat, im Frühjahr als SVP-Arbeitnehmerchef zurücktreten zu wollen?

Ich habe im Wahlkampf auf Themen gesetzt und konkrete Vorschläge gemacht, wie etwa das Lohnniveau gesteigert oder das Eigenheim wieder leistbarer werden könnte. Leider waren das aber anscheinend nicht relevante Wahlmotive. Trotzdem bleiben es für mich nach wie vor wichtige Anliegen. Ich stehe aber sicher nicht als SVP-Arbeitnehmerchef zur Verfügung. Das kann meines Erachtens nur jemand machen, der durch sein politisches Mandat die zeitlichen Möglichkeiten dazu hat. Es wird ohne Zweifel eine intensive und richtungsweisende Phase für die Bewegung. Dabei helfe ich weiterhin gerne mit. Zudem bin ich Gemeinderat in Naturns und werde mich mehr in der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt engagieren.