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Western meets Oper

Die junge Opernregisseurin Franziska Guggenbichler Beck holt mit „Amalia!“ die Oper ins 21. Jahrhundert. Was der Westernfilm damit zu tun hat, erzählt sie im Interview.
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Foto: Amalia!

salto.bz: Diesen Samstag ist im Stadttheater Bozen die Premiere von „Amalia! Eine Westernoper“. Was dürfen wir uns unter einer Westernoper vorstellen?
Franziska Guggenbichler Beck: Eine Westernoper ist wie ein Film in der Oper oder eine Oper im Film. Wir gehen ins Kino, haben aber ein Live-Orchester dabei, das den Soundtrack spielt, und im Unterschied zu anderen Projekten treten die Sänger aus der Leinwand heraus, singen live für uns und agieren auf und vor der Leinwand.

Der Stummfilm wurde auch mit Live-Musik untermalt, wobei doch die Handlung im Mittelpunkt stand und die Musik eher den Rahmen bildete. Wie ist es denn hier? Spielt das Filmische oder die Musik die wichtigere Rolle?
Wir versuchen, beide Elemente gleich wichtig zu behandeln, wobei wir in jeder Situation austarieren müssen, welches Element wichtiger ist. Der Unterschied zum Stummfilm ist, dass wir im Stummfilm Lippenbewegungen und Texttafeln sehen, die uns erzählen, worüber die Leute sprechen. Hier gibt es das nicht. Bei uns wird alles, was verhandelt wird, gesungen, wie in der klassischen Oper. Hinten auf der Leinwand sieht man die Handlung – und natürlich das Duell.

Hinter dem Projekt steckt durch den Dreh also eine lange Vorarbeit. Wie sind Sie denn auf den Drehort im Pfossental gekommen?
Ich hatte mit unserer Sopranistin Mirjam Gruber bereits ein Musikvideo im Schnalstal gedreht. Ich fand, dort sieht es aus wie im Western. Da sagte man mir: „Dann musst du erst mal ins Pfossental wandern gehen.“ Ich war dann dort und kam mir vor wie im Film. Auf der Mitterkaser Alm findet man die Jahreszahl ins Holz eingraviert, das war wie eine Zeitreise. Für mich war dann auch ziemlich schnell klar, dass das als Drehort super passt.
Aber die lange Arbeit begann schon vor den Dreharbeiten. Ich arbeite jetzt schon fast zwei Jahre an dem Projekt. Wir mussten erst mal das Konzept finden für ein Format, das es so noch nicht gibt. Das war die größte Arbeit. Die Proben jetzt im Theater und auch der Dreh sind sehr intensiv, aber das Konzept muss wasserdicht sein, sonst geht die Rechnung nicht auf.

Sie haben 2015 das „Cinema Cantabile“ ins Leben gerufen. Ist „Amalia!“ eine Art Weiterentwicklung davon?
Ich würde schon sagen. „Cinema Cantabile“ war die Idee, Stummfilm-Opern zu machen, das heißt, wir sehen die Darsteller auf der Leinwand und gleichzeitig synchronisieren Sänger die Lippenbewegungen gesanglich. Beim Stummfilm waren beide Elemente noch mehr voneinander getrennt, die Musik etwa wurde dazu improvisiert, aber nicht auf die Sekunde genau angelegt, wie es bei unserem Projekt der Fall ist. Bei „Amalia!“ sind die beiden Ebenen viel enger miteinander verbunden. Es wird sehr viel filmischer, mit Stummfilmästhetik hat das überhaupt nichts mehr zu tun.

Und wie ist da jetzt der Western ins Spiel gekommen?
(lacht) Der Western… Ich weiß gar nicht so richtig, woher mein Faible für Western kommt. Seit meiner ersten Inszenierung finde ich egal in welcher Oper immer ein Duell. Es geht doch im Theater immer um den Moment des Konfliktes. Das Duell ist nichts anderes als ein sehr ästhetisierter Konflikt: Zwei Kontrahenten stehen sich gegenüber und da entscheidet sich die ganze Geschichte. Das hat mich am Western immer schon so fasziniert. Der Western ist so stilisiert und ich als Opernfrau habe ihn immer als Oper gesehen: Es wird wenig gesprochen, es gibt großartige Musik und wunderbare Kulissen – also alles, was man in der Oper auch hat. Es war so offensichtlich, dass ich in jeder Inszenierung ein Duell einbaue, dass ich mir irgendwann sagte: Franzi, jetzt musst du mal einen ganzen Western auf die Bühne bringen.

Ist diese Vermischung zwischen Oper und Film auch ein Versuch, die Oper zu verjüngen und attraktiver zu machen?
Während sich der Tanz und die Schauspielkunst sehr oft von tradierten Formen gelöst haben, ist die Oper relativ klassisch geblieben. Es gibt natürlich zeitgenössische Musik, aber der Weg der Oper zu einer neuen Ausdrucksform wird immer noch verhandelt. Wohin es mit der Oper angesichts des Zuschauerverlusts geht, ist natürlich eine große Frage, und die Überlegung, welche Form ich persönlich finden kann, um die Oper wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, ist sehr zentral. Daher auch die Überlegung, sich des Mediums Film zu bedienen, weil wir mit der Bildsprache oder der Verwendung von Musik im Film sehr viel vertrauter sind. Bei „Amalia!“ sind wir nach einem Collagenprinzip vorgegangen: Wir bedienen uns verschiedenster Musiken des 19. Jahrhunderts, verbinden das mit Westernklängen des 20. Jahrhunderts und mit einer ganz zeitgenössischen Komposition. Auch die Geschichte wird collagenartig zusammengesetzt. Im Film stört es uns ja auch nicht, dass wir verschiedenste Musiken hören, und dieses Prinzip wollen wir jetzt auf die Oper übertragen.

Die Partituren von Michael Cohen-Weissert bilden die musikalische Basis von „Amalia!“. Dazu kommen Arien und Duette aus bekannten Opern, u. a. von Puccini, Verdi und Beethoven. Hatten Sie nie die Befürchtung, das Ganze könnte zu einem „Best-of Opernarien“ werden?
Tatsächlich war es meine Absicht, eine Best-of-Auswahl zu treffen. Ich bin sehr stark davon ausgegangen, welche Arien mir auch die Sänger vorschlagen. Sie haben mir eine Idee von ihrem Repertoire gegeben und ich habe dann ausgesucht, was am besten zur Story passte. Wenn ich eine Sängerin wie Mirjam Gruber mit einem dramatischen Sopran habe, dann hat sie ein ganz bestimmtes Repertoire und aus dem muss ich dann wählen. Bei unserem Tenor Matthew Peña war es genauso. Es gibt ja verschiedene Stimmfächer, das heißt, je nach Sänger bin ich auch eingeschränkt. Teilweise kommen in „Amalia!“ sehr berühmte Arien vor, teilweise auch weniger bekannte Duette, insgesamt ist alles sehr eingängig im Guss des 19. Jahrhunderts. Aber es hat mir überhaupt keine Sorge bereitet, das zu kombinieren. Gerade die Kombination zwischen einem Best-of-Titel wie „O soave fanciulla“ von Puccini mit einer absolut zeitgenössischen Komposition, die quasi erst vorgestern komponiert worden ist, war ein großer Reiz.

Sie haben sich bei der Musikauswahl also ziemlich stark darauf gestützt, was die Sänger*innen im Repertoire haben. Heißt das, es war auch relativ früh schon klar, wer welche Rolle singen wird?
Das war wahrscheinlich einer der entscheidenden Schritte. Für mich war sofort klar: Mirjam Gruber muss dabei sein. Mir ist ein starkes Frauenbild sehr wichtig, und sie verkörpert für mich eine unglaubliche Eleganz und Anmut und eine ganz zarte Weiblichkeit, gleichzeitig hat sie eine unglaubliche Stärke und Kraft. Das alles hat sie auch in der Stimme. Von ihr ausgehend wusste ich: Für den Tenor müssen wir jemanden finden, der diese Duette mit ihr singen kann. Ausgehend vom Tenor haben wir dann die dritte Figur besetzt. Da haben wir lange überlegt, ob das ein Schauspieler oder ein Sänger sein soll. Am Ende haben wir uns mit Andrei Zhukov für die gesangliche Version entschieden, ansonsten gäbe es zwei singende Figuren und eine sprechende, das würde irgendwie rausfallen. So ist jetzt alles wie maßgeschneidert.

Sie beschreiben Mirjam Gruber auf Grund ihrer Sinnlichkeit und Stärke als ideale Besetzung für die Frauenrolle, die ja auch titelgebend ist. Kommt denn der Frau eine zentralere Rolle zu als im klassischen Western?
Mir war es wichtig, die Rolle der Frau zu unterstreichen, sie aktiver zu machen, sie nicht immer abhängig vom Ehegatten oder Liebhaber zu machen, sondern sie ihren eigenen Weg gehen zu lassen. Ich kann schon so viel verraten, dass das Duell trotzdem zwischen zwei Männern stattfindet, aber mir war wichtig, dass die Frau nicht nur Opfer oder passive Betrachterin ist.

Erfordert dieses Format von den Sänger*innen auch ein größeres schauspielerisches Talent als es die Oper normalerweise macht?
Es fordert nicht mehr Talent, es ist einfach eine andere Arbeit, vor der Kamera zu agieren, wo der Abstand zur Linse sehr viel geringer ist, als wenn man auf der Opernbühne sendet, wo man große Gesten macht, um überhaupt bis in die letzte Reihe sichtbar zu sein. Die klassische Oper besteht aus einem normierten Gestenkatalog, der für unseren Geschmack heute manchmal unnatürlich wirken mag. Der Film ist genau das Gegenteil: Er will nicht diese übertriebenen Gesten, sondern sucht die Natürlichkeit. Aber in dem Moment, wo ein Mensch anfängt zu singen, hat es etwas Abstraktes, etwas Unnatürliches. Das mit einer filmischen Bildsprache, die natürlich und echt wirken soll, zu kombinieren, ist schon eine Herausforderung. Es erfordert von den Sängern Offenheit und Freude, sich darauf einzulassen, große Flexibilität und schnelles Umdenken.

Nun sind die Filmsequenzen ja auf die Sekunde genau geschnitten, während die Musik live gespielt und gesungen wird und dabei immer um ein paar Sekunden variieren kann. Wie gelingt es, dass am Ende beides zusammenstimmt?
Es ist kein durchlaufender Film, sondern verschiedene Clips, die wir live steuern. Grundlegend ist immer die Partitur und die Musik oder manchmal auch die Aktion der Sänger, und auf die geben wir den Einsatz für die Technik. Das alles steuern wir manuell, deswegen sind auch sehr viele Menschen hinter den Kulissen mit dem technischen Ablauf beschäftigt, damit alles läuft.
Ich wurde auch von vielen Filmschaffenden gefragt: „Franzi, wie willst du denn in fünf Drehtagen siebzig Minuten Filmmaterial zusammenbekommen?“ Man rechnet ja normalerweise im Film mit einem Drehtag pro Minute, wenn man ein gutes Budget hat. Wir hatten fünf Tage für siebzig Minuten. Aber es gibt in „Amalia!“ eben auch manchmal Bilder, die zur Kulisse werden, wenn die Handlung auf der Bühne stattfindet. Das ist wie ein leeres Bild, in dem nichts passiert. Dann schafft man es auch mit den Drehtagen.

Nicht nur die Anzahl der Drehtage sind eine Budgetfrage. Sie hatten einerseits das Preisgeld des „Fringe“-Wettbewerbs für junge Operntalente aus der Region, ein Teil des Projektes wurde aber durch eine Crowdfunding-Kampagne finanziert. Wie viel Geld kam dabei zusammen?
Etwas mehr als 5.000 Euro. Ich fand es toll, dass durch das Crowdfunding auch schon im Vorfeld mehr Leute in das Projekt involviert waren und mir ein Gefühl des Rückhalts gegeben haben. Wir waren auch wirklich auf jeden Cent angewiesen. Natürlich hatte ich das Preisgeld der Stiftung Haydn, aber der Opernfilm ist eines der teuersten Formate überhaupt, weil viel Technik und extrem viel Arbeit erforderlich sind. Deshalb suchten wir händeringend nach Partnern und Sponsoren. Ich bin auch sehr, sehr dankbar. Ohne den Enthusiasmus meines Teams und vieler Idealisten, die das einfach ausprobieren wollten, wäre das Projekt nicht realisierbar gewesen. Und auch nicht ohne das brodelnde Filmwesen in Südtirol. Helios Sustainable Films macht die Co-Produktion für die Umsetzung des Filmparts, und da haben alle mitangepackt, sodass irgendwann nicht mehr die Gage, sondern das Werk an oberster Stelle stand.

Sie haben auch international gearbeitet. Würden Sie sagen, es ist anders, in Südtirol ein Projekt aufzuziehen?
Ich glaube, so ein Projekt hätte ich anderswo nicht machen können, das war schon einmalig, weil alle Komponenten so gut gepasst haben: der Drehort im Pfossental – diese alpine und gleichzeitig Westernstyle-Location –, dann eben die Filmproduktionsfirma und nicht zuletzt die Stiftung Haydn, die mir sehr viel Freiheit darin gelassen hat, wie ich das Preisgeld verwende und wie ich das Projekt auf die Beine stelle. Diese Freiheit habe ich sehr geschätzt. Ich weiß nicht, ob man diese Bedingungen anderswo so leicht findet.

Was passiert nach den beiden Aufführungen in Bozen mit „Amalia!“?
Ich hoffe, dass das erst der Auftakt war. Das Projekt ist – wie Oper generell – international und eignet sich auf jeden Fall, auch an anderen Opernhäusern gezeigt zu werden. Momentan sind wir so mit der Premiere beschäftigt, dass ich nicht weiß, ob und wie es weitergeht. Aber es wäre schon mein Traum, „Amalia!“ nochmal irgendwo zu zeigen.

Möchten Sie nach „Amalia!“ weiter dran bleiben an diesem hybriden Format?
Ja, das möchte ich schon. Ich habe mit „Amalia!“ ziemlich meine Handschrift gefunden. Mir ist die Kombination Oper mit Film sehr wichtig und auch jedes Mal einen Charakter zu finden, der ein breiteres Publikum anspricht. Es muss auf jeden Fall – weil es einfach so viel Arbeit ist – extrem viel Spaß machen. Vielleicht geht es ja nächstes Mal mehr in die Parodie.