Vor kurzem hat ein anonymer SALTO-Leser (oder war‘s eine Leserin?) eine meiner Glossen für die Rubrik kalashnikov&valeriana (Frauenrechte im Landtag) kommentiert mit der Aussage, dass Frauenrechte beim Gehalt anfangen und bei der Rente aufhören. Dies seien die wirklich wichtigen Themen, der Rest nur Blabla.
Abgesehen davon, dass es neben dem Einkommen noch eine Reihe anderer Rechte gibt (z.B. das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, das Recht auf ein menschenwürdiges Leben usw.), habe ich täglich vor Augen, wie wichtig wirtschaftliche Unabhängigkeit für ein selbstbestimmtes Leben ist. Dazu reicht ein Blick in die Statistiken, zum Beispiel jene zur wirtschaftlichen Gewalt, die als Instrument zur Kontrolle der Frau eingesetzt wird: davon betroffen ist eine Frau von zwei.
Dann fallen mir noch das Recht auf Wohnung und das Recht auf Arbeit ein, sollten eigentlich Grundrechte aller Menschen sein. Solange diese Grundrechte allerdings im generischen Maskulinum festgeschrieben werden, gelten sie vorwiegend für Männer und nur „mitgemeint“ und nicht explizit auch für Frauen. Und in diesem Fall liegt klar auf der Hand, dass Frauen eben nicht mitgedacht sind. Konkret setzt sich das Unrecht in Ungleichgewicht bei den Besitzverhältnissen um, bei der Entlohnung, in ungleiche Karrierechancen, in Altersarmut usw.
Selbst in einem Bereich, der fast ausschließlich weiblich besetzt ist, werden Frauen nur am Rande ausdrücklich erwähnt: beim Arbeitsrecht der Elternzeit! Dekliniert man diese Zeit, wird sie zum Femininum. Knapp 11,9% der Väter unserer Region beanspruchen sie (AFIIPL, 2023). Was jetzt als Privileg klingen könnte und oft auch als solches verkauft wird, ist im Endeffekt eine der größten Frauen-Fallen, denn oft gestaltet sich der Wiedereinstieg in die Berufswelt schwierig. Zahlreiche Mütter kehren, zugunsten des Partners mit höherem Einkommen (überhaupt verdient Mann bei gleicher Arbeit im Schnitt 16,5% mehr als Frau, ASTAT 2023) nur mehr in Teilzeit zurück oder kündigen gar (in Südtirol 600 bis 700 Arbeitnehmerinnen jährlich – 90% aller Kündigungen von Frauen erfolgen unmittelbar nach der Elternzeit, Autonome Provinz Bozen - Abteilung Arbeit, 2020) und übernehmen dafür die bekanntlich unbezahlte und unsichtbare Care-Arbeit in der Familie.
Sowieso ist die Unsichtbarkeit eine weitere stark weiblich besetzte Domäne. Das beginnt bei ihren Nachnamen, die oft und gerne verschwinden (Giorgia versus Conte - Giulia versus Turetta) und setzt sich in zahlreichen Bereichen fort. Etwa in der Autoindustrie, wenn es um Crashtests geht und die entsprechenden Dummies lediglich männliche Anatomie berücksichtigen. Oder in Forschung und Medizin, wo spezifisch weibliche Thematiken bedeutend weniger Aufmerksamkeit und Forschungsgelder erhalten als männliche. Oder in entscheidungstragenden Schlüsselstellen, wo Frauen nach wie vor eine Quote brauchen, um überhaupt präsent zu sein.
Ich habe keine Kristallkugel und weiß nicht mit absoluter Sicherheit, ob Sichtbarkeit in der Sprache auch Sichtbarkeit, Raum und Rechte in den anderen Bereichen des Lebens mit sich bringen würde. Allerdings weiß ich, dass die Frauen in meinem Umfeld sich dann betroffen fühlen, wenn ich sie direkt anspreche. Ich weiß, dass die bestehenden Frauenrechte nicht dank jahrtausendlanger Unsichtbarkeit erreicht wurden. Ich weiß, dass sich der Gender-Gap in Italien in Prognosen des Weltwirtschaftsforums erst in 132 Jahren schließen wird, vorausgesetzt es werden versprochene Schritte überhaupt erst eingeleitet. Dazu müssen wir uns (auch) der Sprache bedienen, die unser Denken prägt.
Wünschenswert wäre es, wenn jeder und jede von uns sich aktiv einsetzen würde für jene Themen, für die er oder sie brennt, statt den Aktivismus der Mitmenschen als Blabla zu bezeichnen. Und ich grinse schon übers ganze Gesicht aus Vorfreude, wenn ich mir all die vielen Männer vorstelle, die sich im Sinne der Gleichberechtigung aktivieren werden, zum Beispiel für eine obligatorische Elternzeit für Väter, wie sie hundertfach auf die Straße gehen, nachdem sie ihren Teil der Care-Arbeit zu Hause erledigt haben.