„Wir schaffen das“ à la francaise
Die Recherchen und Nachforschungen französischer Biographen besagen, dass der Sohn einer Ärztefamilie in seiner Kindheit und Jugend auffallend geltungs-bedürftig war. Ob in der Schule oder im Freundeskreis soll er gerne die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sich um Lob und Anerkennung bemüht haben. Aber schon damals habe er auch immer sehr zielstrebig und selbstbewusst gehandelt. All das stellte Emmanuel Macron auch gleich nach der siegreich geschlagenen Wahlschlacht unter Beweis.
Symbolkräftige Inszenierung
Die Feier seines Sieges war minutiös geplant und eine Art „remix“ jener von Francois Mitterrand im Jahr 1981. Dieser hatte nach fast 30 Jahren in der Opposition erstmals die Konservativen besiegt. Eine der ersten Gesten war sein legendärer Besuch im Pariser Pantheon, mit einer roten Rose in der Hand und begleitet von Beethovens „Ode an die Freude“, der Europahymne. Auch schon damals war ein halbes Dutzend TV-Kameras so positioniert, dass Mitterrand allein und bedeutungsvollen Schrittes vor dem Pantheon und dann bei seiner Würdigung der Grabstätten berühmter Vorkämpfer gegen die Sklaverei, gegen die Nazibesatzung und für den Sozialismus gezeigt wurde.
Emmanuel Macron wählte ebenso die Europahymne, ebenso den langen einsamen Marsch – allerdings durch die Cour Napoleon im Louvre, über Jahrhunderte Residenz der französischen Könige. Zu den Zehntausenden Anhängern sprach Macron dann vor der – unter Mitterrand erbauten – Glaspyramide im Louvre-Hof, Symbol der Verbindung zwischen der großartigen Geschichte Frankreichs und der Moderne.
Frankreich einen, Europa stärken – wir schaffen das
Den enthusiastischen Anhängern rief Macron nicht zu „Wir haben gewonnen“, sondern „Frankreich hat gewonnen“. Er werde sich immer von den Werten der Aufklärung leiten lassen, alles tun, um die Republik zu verteidigen und die bestehende Spaltung im Land zu überwinden. Seiner Rivalin Marine Le Pen sandte er „republikanische Grüße“, ihre Wähler und Anhänger respektiere er, sagte Macron. Er kenne deren Probleme und Leiden und verstehe ihren Zorn. Deshalb werde er mit aller Energie dafür arbeiten, dass es in fünf Jahren keinen Grund mehr gebe, Extreme zu wählen. Frankreich und Europa reformieren, modernisieren, demokratisieren – es brauche Energie und Mut, dann könnten auch die enormen Herausforderungen der heutigen Welt gemeistert werden. Macrons Rede war eine Mischung aus Euphorie und zugleich Beschwörung des Optimismus, eine französische Variante des Merkel´schen „Wir schaffen das.“
Die ungewisse Regierungsmehrheit
Es war schon gut bedacht, dass Macron nicht von seinem Sieg, sondern von jenem Frankreichs gesprochen hat. Denn die selbst für Optimisten überraschenden 66% der Wählerstimmen waren und sind alles andere als Stimmen für Macron, weder für ihn als Person und schon gar nicht für sein Programm. Weit mehr als die Hälfte dieser 20 Millionen waren Stimmen gegen die rechtsextreme Marine Le Pen. Zudem hat ein Drittel der Wahlberechtigen gar nicht oder weiß gewählt. Die tiefe Spaltung im Land besteht nach wie vor. Noch am Wahlabend haben die verschiedenen politischen Protagonisten, die lediglich aus Abwehr gegen Schlimmeres zur Wahl Macrons aufgerufen hatten, ihren neuen Wahlkampf begonnen – jenen für die Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni.
Die konservativen „Republicains“ verfügen trotz innerer Zerrissenheit nach wie vor über eine bedeutende Parteistruktur in den Städten und Regionen. Sie hoffen auf eine Mehrheit in der Assemblée Nationale, um auf einen Premierminister aus ihren Reihen bestehen zu können. Das würde Macron zur sogenannten „Cohabitation“ zwingen, ein frustrierendes Dauer-Tauziehen, das erstmals Mitterrand, dann Chirac durch die Veränderung der Parlaments- mehrheit während ihrer damals noch siebenjährigen Amtszeit praktizieren mussten. Zum Widerstand mit allen Mitteln gegen Macrons neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik hat der charismatische Linksaußen Jean-Luc Mélenchon seine sieben Millionen Wähler (fast 20%) des 1. Durchgangs aufgerufen.
Der neugewählte Präsident ist trotzdem zuversichtlich, eine Mitte-Links-Mehrheit mit Abgeordneten seiner Bewegung „En marche!“ als Rückgrat auf die Beine stellen zu können. In der Tat haben ihn die Zentrumsdemokraten, die immer Teil der konservativen Familie waren, schon vor dem 1. Wahldurchgang unterstützt. Einzelne prominente Konservative der „Republicains“ haben sich Macron ebenso angeschlossen wie zahlreiche Schwergewichte der nahezu aufgeriebenen sozialistischen Partei. Aber angesichts der vollkommen durch Populismus und Antisystem-Stimmung zerrütteten Parteienlandschaft ist überhaupt nicht abzusehen, wie die nötige politische Neuordnung aussehen wird.
Unpopuläre Reformen: Wirtschaft - Soziales
Und nicht zu vergessen: außer dem linken Mélenchon und den Gewerkschaften hat auch Marine Le Pen angekündigt, dass der Front National die neoliberalen Reformvorhaben Macrons mit allen Mitteln bekämpfen wird. Eine unheilige aber nicht unbedeutende Allianz.
Im Mittelpunkt der zu erwartenden Konflikte steht die von Macron als zentral bezeichnete Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die er schon im Sommer – nötigenfalls per Dekret – umsetzen will. So sollen Fragen der Arbeitszeit, der Überstunden und Urlaubsregelungen, aber auch Löhne nicht mehr national verhandelt werden, sondern möglichst nach Branchen und auf Betriebsebene. Eine Schwächung der Gewerkschaften, wogegen diese Sturm laufen. Das Arbeitslosengeld will Macron zwar auf kleine Selbstständige oder Bauern ausweiten, zugleich sollte jedoch der Anspruch auf dieses Geld eingefroren werden, wenn jemand zwei „zumutbare“ Arbeitsangebote ausschlägt. Opfer sind auch in Macrons Reform des Pensionssystems vorgesehen, während zugleich der Steuersatz für Unternehmen von über 30 auf 25% ebenso gesenkt werden soll, wie der Sozialabgabenanteil für Arbeitgeber. Und zur Verringerung der Staatsverschuldung will Macron 120.000 Beamte abbauen. Für einen heißen Herbst ist gesorgt.
Eine EU der zwei Geschwindigkeiten mit mehr Kompetenzen
Sosehr sämtliche Pro-Eu-Europäer aus Politik und Wirtschaft nach dem Sieg Macrons erleichtert aufgeatmet haben, so skeptisch begegnen die allermeisten von ihnen den EU-Reformplänen des ungestümen 39-Jährigen. Denn geht es nach ihm, so bedarf die Union eines radikalen Umbaus. Innerhalb von sechs Monaten möchte Macron eine großangelegte demokratische Reformdebatte in allen Ländern initiieren, eine Art „Generalstände der EU-Reform“. Zum Menu:
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Die Eurozone sollte ein eigenes Parlament, ein eigenes Budget und einen eigenen Finanzminister erhalten
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Die Bankenunion sollte nicht nur für die gesamte Eurozone eine kollektive Garantie für Spareinlagen beschließen, sondern auch die Einführung der umstrittenen Eurobonds
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Die Staaten der Eurozone sollten beträchtliche Milliarden-Fonds für Investitionen in Infrastruktur und Modernisierung bereitstellen
Radikale Reformideen, mit denen Macron sicher mit der Zustimmung Italiens und südeuropäischer Staaten rechnen kann, aber die bei Herrn Schäuble und Angela Merkel bestenfalls erstauntes Kopfschütteln über so viel Etatismus und Zentralismus ausgelöst haben. Trotzdem weiß man auch in Berlin, dass man Frankreich und Emmanuel Macron entgegen kommen wird müssen, etwa beim so besonders rigoros gehandhabten Sparkurs. Denn sonst könnte den neuen Hoffnungsträger im Elisée-Palast sehr schnell dasselbe Schicksal ereilen wie seinen Vorgänger Francois Hollande. Auch er hatte mit einem dezidiert linken Wahlprogramm große Hoffnung bei den Franzosen geweckt und ist, als er sie nicht erfüllen konnte, zum unpopulärsten Präsidenten aller Zeiten geworden.