Cultura | Salto Afternoon

Zorn als Zeitgeist

Ein ungarischer Black Metal Vocalist, kanadischer Death Metal Drummer und deutsch-internationales Ensemble treffen sich in der Bahnhofsremise. Kein Scherz, transart.
Oozing Earth
Foto: Tiberio Sorvillo
Zur Aufführung bringt die ungleiche Zusammenstellung die präpandemische Komposition „Oozing Earth“ von 2019 des Osttiroler Komponisten Bernhard Gander, zu dessen Alleinstellungsmerkmalen das Aufbrechen von Grenzen, sowohl zwischen ernster und Unterhaltungsmusik, wie auch zwischen musikalischen Spielarten, zählt. Müsste man den Abend in einem Wort zusammenfassen, vielleicht wäre es „intensiv“.
Wenn das Stück mit etwa einer Stunde auch nicht Überlänge hatte, so war es doch ein dichtes und verlangte ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Damit folgt transart22 - um den Begriff Tradition  zu vermeiden - der statistischen Häufung, dass bei der Eröffnung Hör-/Sehgewohnheiten des Publikums herausgefordert werden. Der Abend selbst beginnt mit einer Soloperformance von Flo Mounier (eigentlich Technical Death Metal Drummer bei Cryptopsy, da man im Metalbereich Sub-Sub-Genres liebt), die sich brachial ausnahm, aber in dynamischen Tempi-Wechseln und Polyrhythmen auch charakteristische Jazzeinflüsse durchschimmern ließ. Nach Grußworten von Festivaldirektor Peter Paul Kainrath und Vereins Präsidentin Tanja Pichler begann die Show vollumfänglich kurz nach einem Pippi Langstrumpf Zitat „Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.“, damit in den Abend noch ein Kontrast mehr einfließen durfte.
 
 
Mounier, den das 18-köpfige Ensemble Modern (mit dem Zug aus Frankfurt angereist) und der Mayhem Sänger Attila Csihar (samt der für ihn charakteristischen Maske, zu sehen im Titelbild) begleiteten, war dabei unleugbar Protagonist des Abends. Den Anfang machte aber aus der voll elektronischen Streicher-Sektion des zeitgenössischer Musik verschriebenen Ensembles ein kratzender Bass, wie die eine orchestrierte Tonstörung eines Tv-Geräts. Mit dem fortlaufenden Einsetzen der anderen Instrumente wird zunehmend klar, dass auch diese dem Ohr entfremdet sind: Starke, gerade die Streich-Instrumente ihrer Charakteristika annähernd vollständig beraubende Verzerrungen sollten sich durch den Abend ziehen. Man hört auf Sicht, erkennt welche Töne aus einer Geige stammen und welche aus einem Cello, wenn man es sieht. Dabei muss man sich nicht nur an einen fremden Klang gewöhnen, sondern an viele, wechselnde.
Die Norvegian Black Metal Vocals (wieder ein Sub-Sub-Genre), welche von den tiefsten Growls, über Momente des Kehlkopfgesangs zu Shrieks reichen von Csihar beginnen mit wenig Nachdruck und etwas leise auf die anderen Instrumente abgestimmt. Der Sänger mit der Maske wie verrottendes Fleisch und Kabelbündeln anstelle von Haaren tritt mit dem Duktus eines Zeremonienmeisters auf, zelebriert seinen Auftritt mit ritueller Geste. Im Laufe des Abends wird er dabei paradoxerweise lauter, überlässt gleichzeitig aber auch Mounier mehr und mehr das Zentrum der Bühne.
Dieser ist Triebkraft des Abends, nicht nur der lauteste Akteur des Abends, sondern auch jener, mit der pro-aktivsten Rolle. Die beiden Schlagwerker des Ensembles sind ihm hierarchisch untergeordnet, erhalten die größte Hörbarkeit, wenn sie, den martialischen Charakter des Abends unterstreichend im Bassbereich trommeln. Munier peitscht auf, steigert das nur scheinbar chaotische Zusammenspiel bis an den Rand des Erträglichen, bevor der große Klangkörper auf ein, zwei Instrumente reduziert wird. Hierdurch entstehen immer wieder Spitzen höchster Klarheit.
Der Abend ist dabei weniger eine Reise von leise nach laut, zwischen welchen fortgehend gewechselt wird, mehr ein Prozess, der Struktur und Klarheit erarbeitet, auch durch das Wiederaufgreifen von Motiven. Von den Vocals bleibt kein identifizierbares Wort zurück und lediglich die Silhouette von Sprache, was für Black Metal typisch ist, doch diese zeichnet sich fortwährend klarer. Die Streichinstrumente gehen zu einem strukturierten Frage-Antwort-Spiel mit den Drums über und dürfen ab und an aus den Tiefen der Verzerrung auftauchen, nach Geige und Cello klingen, wenngleich mit verstimmten Klangbild. Die Bläser, im Klang nach dem gleichbleibenden Schlagwerk am wenigsten variabel, erhalten Klarheit auch und vor allem durch ihnen eingerichtete Räume, in denen ihr Klang nicht von anderen Instrumenten überlagert wird.
 
 
Ein zweites Mal darf Mounier als Solist auftreten, er ist dabei leicht gemäßigter als bei seinem Eingangssolo, aber auch rhythmisch ein wenig vielfältiger und überlässt mit präzisem händischen Stoppen der Becken dem Ensemble den Klangraum, ohne dass eine Lücke entstünde.
Die den Abend hindurch treibenden Rhythmen werden am Ende von exzesshaften Blast Beats (man imitiert dabei an Becken, kleiner und großer Trommel den Klang eines Maschinengewehrs) abgelöst, die sich weiter steigern, erneut ein Grenzgang, keine Überschreitung. „Oozing Earth“ flirtet mit dem Extrem, ohne es zu erreichen. Man bleibt immer kurz zuvor stehen. Das Ende kommt, wie auch im Metal üblich, als Sudden Death, ein Absterben nach einem letzten Aufbäumen. Die Stunde Musik mag den anwesenden Metalheads etwas knapp erschienen sein, die Mehrheit des Kulturpublikums hat man stark gefordert. Am Ende konnte man den Abend weniger als eine klare Botschaft zu Endzeitstimmung oder Klimawandel und mehr als Ausdruck des Zeitgeists erleben: Wut und Druck wurden hörbar und fühlbar gemacht Der Schlussapplaus klang, wohl auch ein wenig wegen des konstant hohen - aber noch verträglichen - Lautstärkepegels an den man sich gewöhnt hatte, leicht verhalten.