Cultura | Salto Weekend

Graben, graben und weiter graben

„wir: im berg“ ist, so sehr das geht, eine persönliche Annäherung an den Brenner Basis Tunnel und eine Auseinandersetzung mit essayistischen Zügen zum „graben“ an sich.
wir: im berg
Foto: Andreas Tauber
Ab in den Süden heißt es gleich am Anfang: Mit Loop-Station werden Klänge aufgenommen, die sich nach und nach zu einem Zug aus Klängen zusammenfügen, der mit Stimmen bevölkert wird. Die vier Schauspieler:innen aus Nord- und Südtirol (Daniela Bjelobradić, Sabine Ladurner, Margot Mayrhofer, Philipp Rudig) steuern jeweils das ihre bei. „Marcel, setzt dich bitte richtig hin.“, heißt es dann von Innsbruck Hauptbahnhof bis Brixen. Mit soviel sprachlichem und klanglichem Einsatz für einen Zug hätten Dadaisten oder Futuristen eine Freude.
 

Als wäre in Brixen der Zugang, ein Schlund über den man sich Zugang verschafft, geht es direkt weiter, wir sind „im berg“, er ist ober uns, unter uns, links und rechts von uns. Die Töne wechseln von Klangbildern mit Dada zu einem Aufbau eines Settings durch sakral anmutenden Gesang (besungen werden etwa die Container-Siedlungen der Bergarbeiter) und Beleuchtung. Das Licht untertage ist ein anderes, aufwändig und präzise für eine Kellertheater-Produktion (André Niederkofler, Technik) ausgearbeitet und verbindet sich mit Drone-Klängen von Fabian Lanzmaier, der vom Bühnenrand aus am Laptop orchestriert, zu einer eigenen Atmosphäre.
Sabine Ladurner und Daniela Bjelobradić sind Maulwürfe, die sich, sprachlich an der Sinnigkeit ihrer obsessiven Tätigkeit auseinandersetzen, die eine zweifelnd, die andere mit religiösem Eifer.  Beide schaffen sie „ein bisschen mehr nichts, ein bisschen mehr Loch“, schaffen eines von mehreren Sprachmotiven, die als Mantren immer wiederkehren. Die Spracharbeit - so muss man diese minutiöse Auseinandersetzung wohl bezeichnen, zeigt sich gleich hier zu Beginn als Präzisionsarbeit, auch durch die Wiederaufbereitung der Elemente. Die Schauspieler trugen so viel Sprachakribie Rechnung in ihrem Vortrag, ab und zu entsteht dann das Gefühl eines recht mechanischen Theaterabends. Eine Sprengung führt zur Unterbrechung des Gedankengangs, mehr als gleißendes Licht denn als Ton, die Gewalt einer Detonation vermittelt man so effektvoll aus dem Halbdunkel heraus.
Im Stück von Michaela Senn (Regie, Dramaturgie und Visuals) und Miriam Unterthiner (Stücktext) merkt man schnell, dass Sprache hier einem allem anderen übergeordneten Wert genießt. An der halbovalen Projektionsfläche an der Bühnenrückwand sind nicht nur bewegte Stimmungsbilder oder etwa die heilige Barbara (Schutzpatronin der Bergleute), sondern immer wieder auch Faux-Einträge aus einem Wörterbuch zu sehen, welche die Vielschichtigkeit dieses „Grabens“ offen legen.
Die Arbeit des Stückes, das nicht über eine Handlung im klassischen Sinn, sondern aus Vignetten besteht ist auch eine provokatorische: Das Team des BBT bekommt ebenso sein Fett weg, wie das der Gegendemonstranten. Erstere reden sich hinter dem Rücken des jeweils anderen schlecht, nur um dann in die Kamera zu lächeln und von einem gemeinsamen Projekt zu sprechen. Politische Phrasen werden gedroschen, man will das große Loch symbolträchtig in Szene setzen, dass sich - aus den Augen, aus dem Sinn - von den Bergflanken ins Dunkel und in Vergessenheit gegraben hat. Die Demonstranten gegen den Bau des BBT zeigt man uns bei der Ausarbeitung eines Manifests, dessen Wortlaut von „freien Bürgern“ und mit Ausrufezeichen nach jedem zweiten Satz arbeitet, davon spricht, dass Experten (und Expertinnen!) ihnen recht geben.
Spannende Stimmen im Stück erhalten auch und gerade die Tunnelbohrmaschinen, die in stylisch in Szene gesetzten Monologen zu uns sprechen, vermenschlicht werden, wofür bereits durch ihre Namen (Günther, Flavia, Virginia, etc.) vor der Theaterarbeit ein Grundstein gelegt wurde. Für sie werden Existenzen imaginiert, die es zum Glücksfall machen, dass sie nichts fühlen.
 

Den Ausgleich sucht man im Garten, der andere Lichtverhältnisse und mit dem Froschgequake der Schauspieler leichter wirkt, auch im Humor, der auf niemanden abzielt, hier unverfängliche Situationskomik bietet. Der Humor des Stückes nährt sich durch Absurditäten, aber auch durch Melomanie und ein gewisses Aberwitz dieses einmal größten Tunnels der Welt.
Das Stück ist schwer einzuordnen, das soll wohl so sein: Ob der Tunnel nun zur Entlastung der Umwelt beiträgt, oder ein Verbrechen an dieser ist, kommt auf den Blickpunkt an. Ob das ein zukunftsweisendes Projekt ist, oder ein Milliardengrab, mag sich in Zukunft herausstellen. Ob das Stück beim Publikum auch nach der Premiere gut ankommt, ebenso. In jedem Fall braucht es eine gewisse Offenheit für Theater, das mit der Norm bricht.
Man kommt nicht wirklich narrativ zu einem Ende, aber doch zu einer Form von Ende: Projektionsfläche und die beiden Half-pipe Elemente auf Rollen, welche im reduzierten Bühnenbild (Mirjam Falkensteiner) für veränderliche Begebenheiten für die Schauspieler sorgen, fügen sich zu einem Ganzen, einem Oval, einem negativen Raum, einem Loch. Was tun damit? Erst mal ein bisschen raven, tanzen, Stroboskop-Licht abfeuern. Was kommt als nächstes? Klar: weitergraben.