Nestlé and Teal

Mit gutem Auge für Farbkomposition und Details stellt Sara Burchia (ebenso für die Kostüme verantwortlich) eine Bühne, die uns in ein britisches Landhaus blicken lässt. Auch die Namen der Figuren Rose (Eleonore Bürcher), Hazel (Verena Plangger) und Robin (Jörg Stelling), sowie jene von Randfiguren, die nicht in Erscheinung treten könnten an Rosamunde Pilcher denken lassen, aber in der Tragikkomödie von Lucy Kirkwood (übersetzt von Corinna Brocher) ist nichts mehr mit heiler Welt.
In einem Atomkraftwerk an der Englischen Küste kam es zum Super-GAU, ausgelöst durch ein Erdbeben und die darauf folgende Flutwelle. Die, die es nicht kommen sahen verstecken sich knapp außerhalb der Sperrzone vor ihrer Verantwortung: das pensionierte Kernphysikerpaar Hazel und Robin. Sie leben recht sparsam und spießig, Robin kümmert sich um seine Kühe und trinkt Selbstgebranntes, Hazel achtet auf ihre Gesundheit und macht Yoga. Die Idylle stören, außer der nahen, aus den Augen, aus dem Sinn verbannten Atomruine nur ein paar Kleinigkeiten: Das wenige, was die beiden an Lebensmitteln im Haus haben ist von Nestlé oder Mondelez, was nie thematisiert wird, aber Scheinheiligkeit verdeutlicht.
In das fragile Alltagsgefüge der beiden platzt Rose, 38 Jahre nach der Katastrophe und nachdem sich die drei zuletzt gesehen haben. Der Grund ihrer Rückkehr aus Amerika bleibt lange unausgesprochen, wie vieles andere im Stück: Man traut offenbar der Intelligenz des Theaterpublikums und gräbt Schicht für Schicht tiefer, dahin wo der Müll begraben ist. Andeutungen und Blicke sprechen dabei auch für die Fähigkeit von Regisseur Fabian Kametz und Regieassistentin Laura Masten Subtext, auszuarbeiten und sichtbar zu platzieren.
Die Hauptfrage, die das Stück aushandelt ist, auch wenn die Katastrophe in diesem Fall nicht der Klimawandel ist, doch die der globalen und Generationen übergreifenden Gerechtigkeit: Hazel ist vierfache Mutter und Oma, Rose blieb kinderlos und dennoch sind die Rollen der beiden vertauscht. Rose ist die, die für ihre Fehler Verantwortung übernehmen will und jüngere Generationen vor deren weitreichenden Folgen abschirmen möchte, so gut sie kann. Hazel hingegen ist diejenige, die sich so weit es geht entzieht, während sie den Klagen von Rose und ihrem Gewissen mit Whataboutism begegnet. Die Fronten scheinen klar, verfestigt und undurchlässig, so dass Streit auf der kleinen Bühne, welche die Figuren nur für kurze Zeit und nur einzeln verlassen können, unabwendbar ist. Für Hazel, Robin und Rose ist immer ein Gegenüber da, welches Handeln und Motive hinterfragt.
Das klingt noch immer recht einfach, aber die Figurenkonstellation wird - auch durch Robins variable Position - verkompliziert. 38 Jahre sind eine lange Zeit, von der Halbwertszeit dessen, was in der Luft liegt, allerdings nur ein Bruchteil. Während auf der Bühne Pastinaken- und Holunderwein fließen, sinken Hemmschwellen und die Streitlust steigt. Masken fallen ab und Vorwände in sich zusammen. Immer gerade dann, wenn intensiv gespielte Zwistigkeiten und die Schwere der Situation einen als Zuseher kurz davor bringen abzublocken und sich zu distanzieren, wird mit schwarzem Humor oder Gesten trotziger Lebensfreude ein Zünglein an die Waage gebracht, welches das prekäres Gleichgewicht wiederherstellt.
„Die Kinder“ ist nicht in erster Linie daran interessiert eine Komödie zu sein, vielmehr geht es darum mit Lachen unangenehme Themen erträglich zu machen, die wir im Alltag gern beiseite schieben. Man sitzt, obwohl es am Anfang und am Ende dank Bühnennebel doch sehr nach Geisterbahn riecht in einem Spiegelkabinett fest, dem man sich nicht entziehen kann und nicht will. Die Schauspieler - allen voran Eleonore Bürcher als Rose - tragen ein Stück, das genau so unbequem ist, wie es sein soll und machen es für den Zuseher mehr als nur erträglich.
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