Società | unsichtbar

Prostitution in der Krise

Das Kontaktverbot hat die Prostitution gestoppt. Ein Blick auf die „Unsichtbaren“ unserer Gesellschaft.
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Foto: upi

Die Corona-Krise hat Italiens Prostituierte gleich mehrfach getroffen: Sie waren vor dem Lockdown einem großen Ansteckungsrisiko ausgesetzt, dann blieben sämtliche Einkünfte aus und oft gab es, wegen fehlender Papiere, auch keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat.

„Viele der Prostituierten befinden sich in sehr kritischen Situationen: Außerhalb ihres Wohnortes, ohne Möglichkeit Geld für Miete, Schuldrückzahlungen und lebensnotwendige Einkäufe zu verdienen!“, berichtet Gina Quiroz, Mitarbeiterin des Projekts Alba. Gina und ihre Kollegen haben auch während des Lockdowns die abendlichen Fahrten mit dem Camper fortgeführt. Wie verordnet, waren die Straßen leer. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der letzten Monate hat auch dazu beigetragen, dass sich das Geschäft mit dem Sex teilweise nach Drinnen verlagert hat, also Indoor oder im Internet durch diverse Onlineplattformen stattfindet. Prostituierte werden oft als „unsichtbar“ bezeichnet, vergessen von der Gesellschaft, der Aspekt der „Unsichtbarkeit“ wurde durch die Pandemie weiter verstärkt.

Die Frage nach den Lebensumständen der Prostituierten in der Quarantänezeit kann nicht allgemein beantwortet werden. Wie überall prägen verschiedene Biographien und Gegebenheiten die aktuellen Lebensumstände. Einige hatten Anspruch auf staatliche Unterstützungsmaßnahmen. Andere wiederum konnten von den Mitarbeitern des Projekts Alba kontaktiert, mit Informationen zu Sicherheitsvorkehrungen versorgt, sowie mit einem Zugang zu Nothilfemaßnahmen, Lebensmittelpakete und Einkaufsgutscheine unterstützt werden.

 

Die Situation in Italien

 

Laut amtlichen Schätzungen prostituieren sich in Italien bis zu 120.000 Menschen. 65% der Prostitution findet als Straßenprostitution statt. 55% der Prostituierten kommen aus dem Ausland, hauptsächlich aus Osteuropa (Rumänien, Bulgarien, Ukraine, Albanien) und Afrika (Nigeria). Aber auch immer mehr Menschen aus China sind gezwungen Dienste anzubieten, meist spielt es sich im Verborgenen unter dem Deckmantel von Massagestudios ab. Auch das Internet wird als Plattform sexueller Dienste immer bedeutender. Viele der Prostituierten halten sich ohne gültigen Papiere in Italien auf, die meisten befinden sich in Abhängigkeiten von der Mafia oder anderen Ausbeutern. Der monatliche Umsatz der Prostitution wird auf 90 Millionen geschätzt.

In Südtirol konzentriert sich die aktive Straßen-Prostitution auf die Landeshauptstadt Bozen. Die Indoor-Sexarbeit verteilt sich auf das ganze Land. Bei den Betroffenen handelt es sich großteils um volljährige Frauen und einige wenige transsexuelle Personen. Viele kommen aus anderen Städten Italiens wie Verona, Brescia nach Bozen. Die Herkunftsländer sind Nigeria, Rumänien, Albanien und Kolumbien. Im Jahr 2019 wurden durchschnittlich 28 Personen auf den Straßen Bozens angetroffen.

 

Ein Leben ohne Dokumente

 

Anders als in vielen anderen italienischen Städten verfügen die meisten Prostituierten in Südtirol über die notwendigen Dokumente. Gina Quiroz vermutet, dass dies auf die intensive Arbeit der Ordnungskräfte zurück zu führen ist. Dennoch sei auch hierzulande die Figur des Zuhälters schwer identifizierbar, es könne auch gut sein, dass die Prostituierten mit ihren Ausbeutern in prekären Wohnsituationen zusammenleben müssen. Außerdem seien jene Personen, die keine Dokumente haben, noch unsichtbarer, verletzlicher und erpressbarer. Das führt wiederum zu mehr Isolation, fördert die Verstrickung in kriminelle Ausbeutungs-Netzwerke und erschwert den Zugang zu Hilfsprojekten.

Gina Quiroz macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: Die Begegnung einer Gesellschaft mit Opfern von Menschenhandel. „Je stärker die Vorurteile, desto stärker die Stigmatisierung als "Prostituierte", desto stärker die Abhängigkeit der Betroffenen von Ausbeutungs-Netzwerken“, erklärt Gina Quiroz. Deshalb ist Aufklärungsarbeit Teil vom Projekt Alba.

 

Ansteckungsgefahr durch Prostitution?

 

Wie die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen beüglich des Corona-Virus und die Ausführung von Sexarbeit vereinbart werden können, sorgt zur Zeit auch in Deutschland und Österreich für viel Diskussionsstoff. Gina Quiroz vom Projekt Alba schätzt die Situation folgendermaßen ein: „Die Prostituierten sind sich der verschiedenen Ansteckungs-Risiken bewusst. Der Virus verbreitet sich nicht über sexuelle Kontakte und bereits vor Corona haben viele die nötigen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten. Die Maske würde keinen Mehraufwand darstellen. Viel bedenklicher ist es, wenn Kunden Leistungen ohne Kondome verlangen!“ „Die Frauen haben die sich anbahnende Pandemie schon von Anfang an ernst genommen und alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten. Viele haben bereits in ihren Herkunftsländern Erfahrungen mit Epidemien gemacht“, erzählt Marina Bruccoleri, Verantwortliche für den Bereich „Prävention und Beratung“ sowie „Frau und Chancengleichheit“ bei „la strada – der weg“.

Die Mitarbeiter des Projektes Alba stellen sich darauf ein, dass die Folgewirkungen der Krise in den kommenden Monaten verstärkt spürbar werden: Viele mussten sich weiter verschulden, waren verstärkt körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt oder erleben die Zeit als Rückkehr in überwunden geglaubte Lebenslagen.

 

Projekt Alba

 

Das Projekt Alba setzt sich für die Bekämpfung von Menschenhandel und die moderne Sklaverei ein. Die Mitarbeiter vom Projekt Alba bekämpfen nicht die Prostitution per se, sondern die sehr oft damit verbundene, menschenrechtswidrige Ausbeutung, auf den Straßen und im privaten Bereich.

In den letzten Monaten hat sich das Projekt Alba darauf konzentriert Informationen zu Gesundheitshinweisen und Service-Diensten in verschiedenen Sprachen in Umlauf zu bringen. Durch die Verteilung von Paketen, gefüllt mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, konnten Kontakte aufrecht erhalten und hergestellt werden. Zudem konnte der Verein „sichtbar“ in Erscheinung treten.

In den letzten Jahrzehnten haben sich öfters Betroffene von Menschenhandel an das Projekt Alba gewandt, nachdem bereits ein Vertrauensverhältnis mit Vorgängern oder Mitarbeitern anderer Netzwerke in Italien aufgebaut wurde. Deshalb ist die Kooperation mit anderen Netzwerken Italiens sehr wichtig, aber auch mit anderen Diensten in Südtirol und den Ordnungskräften ist von enormer Bedeutung: Ein Hilferuf kann auf allen Kanälen eintreffen.

Denn schlussendlich tritt immer wieder die selbe Frage auf, deren Beantwortung viele Geister scheidet: Kann Prostitution frei sein?