Arte | SALTO Gespräch

Am blauen Faden

„Südtirol, du hast die Wahl“ heißt das neue Buch von Elisabeth Frei. Scharfsinnig und pointiert dokumentiert die Künstlerin darin die Südtiroler Politik und Gesellschaft.
Elisabeth Frei
Foto: Seehauserfoto
  • SALTO: Frau Frei, die erste Buchpräsentation haben Sie Ende April in Ihrem Atelier in Lajen gefeiert, die zweite im Upcycling Store in Brixen und seit gestern ist eine Auswahl Ihrer Werke auch in der SALTO-Redaktion zu sehen. Warum drei Eröffnungen?

    Elisabeth Frei: Um den Interessierten die Wahl zu ermöglichen. Dieses Motiv zieht sich durch das gesamte Konzept. 

    Die erste Buchpräsentation stand in Verbindung mit Markus Doggi Dorfmann und seiner Musik, die zweite mit Taschen, die aus einer Ausstellungsplane hergestellt und mit Motiven meiner Bilder bedruckt sind. Und im Rahmen der dritten Eröffnung in der SALTO-Redaktion sind die Original-Bilder unter dem Motto „Bilderbuch“ zu sehen. Auch der Flyer, der in Form eines Wahlzettels gestaltet ist, spiegelt das Motto „Du hast die Wahl“ wieder. Das Thema zieht sich fort im Buch, in dem die jeweiligen Kapitel unter dem Motto „Wahl“ stehen. 

    Weshalb diese – beinahe – Fixierung auf den Begriff „Wahl“? War es der Wahlkampf zur Südtiroler Landtagswahl oder grundsätzlich die politische Situation, die den Auslöser gab?

    Ich habe zwei Bilderserien geschaffen. Zum einen „Frei zur Wahl“ und „Frei nach Wahl“, die im Zuge des Wahlkampfes und der Regierungsbildung entstanden sind. Daraus ist die Sammlung „Südtirol, du hast die Wahl“ entstanden. Darin eingeflossen ist zudem die Serie „Südtirol Verkehr(t)“. Der Fokus liegt immer auf dem Thema Südtirol und darauf, was in unserem Land passiert. Entstanden ist das Buch und die Ausstellung hin zur Serie „Frei zur Wahl“ bzw. aus dem Wortspiel meines Nachnamens „Frei“ und dem Wort „Wahl“.

  • Rechts_Überholen: Eines der Werke aus der Serie #Frei_nach_Wahl. Foto: Elisabeth Frei
  • Als Malerin – welche Bedeutung hat Sprache für Sie?

    Ich integriere in meinen Werken Textfragmente bzw. einige wenige Worte, mit welchen ich meine Bilder, die ich übermale, sozusagen zusätzlich auch mit Worten untermale. 

    Um sie zu vervollständigen? 

    Ja. Mit einem kurzen Text, den ich bei allen politischen und gesellschaftskritischen Bildern hinzufüge, ist das Werk dann komplett. 

    Weshalb haben sie das Thema „Wahl“ und damit auch das politische Geschehen in den Fokus Ihrer Werke gerückt?

    Ich habe seit jeher ein starkes Interesse an der Politik, und ich bin der Meinung, dass die Kunst nicht nur den Auftrag hat, „schön“ zu sein, sondern auch, sich zu Wort zu melden. Begonnen hat eigentlich alles in der Corona-Pandemie und mit dem Lockdown. Nur sehr wenige Künstler haben sich dort zu Wort gemeldet. Im Grunde genommen haben die meisten geschwiegen. 

     

    „Ich bin der Meinung, dass die Kunst nicht nur den Auftrag hat, „schön“ zu sein, sondern auch, sich zu Wort zu melden.“

     

    Corona als Zäsur, die nicht nur Auswirkungen auf die Politik und die Gesellschaft hat bzw. wie letztere die Politik sieht, sondern auch auf die Kunst? 

    Gerade in der Kunst als Spiegel der Zeit, war es für mich schwer möglich, das Zeitgeschehen außer Acht zu lassen. Während sich viele zurückgezogen haben, begann ich durch meine Übermalungen auf alten Buchseiten die verschiedensten Auswüchse der Corona-Maßnahmen zu dokumentieren. Am Ende der Lockdowns sammelte ich meine Arbeiten, die anfangs nur im digitalen Raum veröffentlicht wurden, zu einem Buch, den „Südtiroler Lockdown Variationen“. Meine Übermalungen zogen sich wie ein blauer Faden durch die pandemischen Zeiten. Ich habe dabei nie eine „krasse“ oder polemische Form gewählt, sondern immer eine zwar kritische, aber humorvolle Sprache. 

    Weshalb?

    Man kann die Menschen viel leichter erreichen, Humor schafft eine angenehme Distanz. Befürworter wie auch Gegner der Corona-Politik – jeder konnte meine Bilder auf seine Weise interpretieren. Niemals bin ich böse angefeindet worden.

  • Elisabeth Frei: Die Künstlerin in der SALTO-Redaktion. Foto: Seehauserfoto
  • Im Unterschied zu Politikern oder Wissenschaftlern ist Ihre Kunst nie „missverstanden“ worden?

    Ich habe eigentlich nur das Geschehen übermalt, abgedeckt – und eigentlich aufgedeckt. Dabei habe ich meistens den blauen Schurz als durchgehendes Motiv verwendet, womit sich eigentlich die meisten Südtiroler –  ob nun pro oder contra – identifizieren können. Das war sozusagen schon die halbe Miete. Wenn man sich hineinversetzen kann, dann fällt auch das für sich Interpretieren und Verstehen leichter. 

    Ich stelle mir gerade Landeshauptmann Arno Kompatscher und Philipp Achammer mit blauem Schurz vor: Hätte das einen positiven „Identifikations-Effekt“?

    Ja, möglicherweise. Der blaue Schurz kann verdecken, aber auch schützen, er spiegelt aber auch eine Haltung wieder. Er ist sozusagen die Fahne der Südtiroler. 

    Ist der Politik diese „Fahne“ abhanden gekommen?

    Das mag sein. Mit dem blauen Schurz zeigt man eigentlich, wo man herkommt und was man schützen sollte. Auch die Farbe selbst finde ich sehr schön. Ich habe vor einigen Jahren ein Bild mit dem blauen Schurz gemalt, das den Titel „Südtirol hängt am blauen Faden“ trägt und das ich sogar als mein Schlüsselwerk bezeichnen würde. In dem Sinne hänge ich am blauen Faden.

     

    „Das mag sein. Mit dem blauen Schurz zeigt man eigentlich, wo man herkommt und was man schützen sollte.“

     

    Das Südtiroler Wesen, Gesellschaft und Politik als zentrale Themen in Ihren Werken? 

    Der Ort, in dem man lebt – in dem man vielleicht schon sehr lange lebt – beeinflusst einen natürlich. Jeder Künstler verarbeitet diese Eindrücke. So ist auch meine Bilderserie zu den älteren Leuten meines Dorfes entstanden, die ich in der Rückenansicht dargestellt habe. 

    Für Ihr neues Buch haben namhafte Journalisten wie Florian Kronbichler oder auch der ehemalige Grüne Landtagsabgeordnete Hans Heiss Texte beigesteuert. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?

    Ich war der Meinung, dass bei dieser Serie kurze Textfragmente nicht ausreichen. Ich stand dann vor der Wahl: Soll ich nur eine Person fragen oder mehrere? Ich habe dann eine Auswahl getroffen, bei der ich versucht habe, das gesamte gesellschaftliche Spektrum abzudecken: Mann, Frau, alt, jung – und Personen, die Ahnung von den Themen haben, die ich in den einzelnen Kapiteln aufgegriffen habe. Ich habe den Autoren meine Bilder gezeigt und ihnen völlig frei gestellt, wie sie sie schriftlich aufarbeiten, einzige Vorgabe war der Textumfang von 3.000 Zeichen. 

  • Elisabeth Frei im Künstler-Gespräch: Buchvorstellung und Ausstellungseröffnung in der SALTO-Redaktion Foto: Seehauserfoto
  • Würden Sie sich selbst als politischen Menschen bezeichnen?

    Im Grunde genommen, ja. In dem Moment, wo man sich nicht nur für seine unmittelbare Umgebung interessiert, sondern grundsätzlich für die gesellschaftlichen Veränderungen, ist man bereits ein politischer Mensch. Das, was ich als politisches Geschehen erlebe, drücke ich dann durch meine Kunst aus. 

    Sehen Sie Ihre Aufgabe nicht nur darin, die gesellschaftlichen Spannungsfelder zu dokumentieren, sondern die Politik bzw. Gesellschaft auch damit zu beeinflussen?

    Kunst kann die Gesellschaft und die Politik beeinflussen – oft auch nur auf eine sehr unterschwellige Art und Weise. Ein Bild kann manchmal sehr viel mehr ausdrücken als ein langer Text. Je weniger man sagt, desto besser – deshalb habe ich zu meinen Bildern nicht mehr als ein, zwei Worte hinzugefügt. Es geht darum, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

     

    „Ein Bild kann manchmal sehr viel mehr ausdrücken als ein langer Text.“

     

    Ist schon mal ein Politiker auf Sie zugekommen? Bzw. hat Ihnen sogar ein Bild abgekauft, auf dem er abgebildet war?

    Ich habe gemerkt, dass die Politiker meine Arbeiten wahrnehmen. Abgekauft hat mir noch kein Politiker ein Bild, vielleicht weil ich ihn nicht genau getroffen habe. Das Feedback war dabei durchaus positiv. Bis jetzt habe ich noch keine Klagen darüber gehört, dass sich jemand angegriffen gefühlt hätte. Sozusagen habe ich noch nie die rote Linie überschritten. Ich halte mich lieber an die blaue Linie, die sich durch meine Werke zieht – das ist einfacher.

    Wäre das nicht ein interessantes Thema für Sie? Wo rote Linien gezogen werden und wer sie festmacht?

    Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen. Mittlerweile ist das Thema aber bereits so oft aufgegriffen worden, dass ich die rote Linie lieber ein bisschen verblassen lassen möchte. Manchmal ist es besser, man lässt den Pinsel liegen, andernfalls besteht die Gefahr, dass das Thema zu abgedroschen wird. 

    Was würden Sie sich für Südtirol wünschen? Mehr Wahlfreiheit?

    Der Südtiroler an sich ist sehr traditionsbewusst und braucht scheinbar eine gewisse Struktur. Aber ein bisschen Freiheit zur Auswahl würde wirklich nicht schaden. 

  • Elisabeth und der Wolf: Von einigen Medien, hauptsächlich den Dolomiten, wird das Thema Wolf sehr häufig aufgegriffen – interessant ist dabei, wie politisch so ein Tier werden kann. Foto: Elisabeth Frei
  • Unsere Gesellschaft scheint sich zunehmend in „Blasen-Realiäten“ zu zersplittern. 

    Das beobachte ich besonders in den Städten, aber auch in den Dörfern nimmt man diese Entwicklung wahr. Bewegt man sich in einer Blase und jeder teilt die gleiche Meinung, dann gibt es keinen Rechtfertigungsdruck. Man sucht Bestätigung und wird bestätigt. Wenn ich mich als Vegetarierin mit einem Bauern über Fleischkonsum unterhalte, dann ist das mitunter eine schwierige Herausforderung. Gerade das macht es aber auch spannend. Je weniger man sich in der Horde bewegt, desto mehr muss man sich als Einzelkämpferin bewähren, auch im Kunstbetrieb.  

    Apropos Einzelkämpfer – ein Motiv, das immer wieder in ihren Werken auftaucht, ist der Wolf. Was hat es damit auf sich?

    Von einigen Medien, hauptsächlich den Dolomiten, wird das Thema Wolf sehr häufig aufgegriffen – interessant ist dabei, wie politisch so ein Tier werden kann.

    Ich lebe in einem Dorf, wo das Thema Wolf auch allgegenwärtig ist und völlig gegensätzlich wie in der Stadt behandelt wird. Kann es bei dieser Frage überhaupt eine Lösung geben? Das beschäftigt mich – erst recht, wenn das Thema, wie im Wahlkampf, alle anderen überlagert. Es ist faszinierend, welche Macht diesem Tier zugesprochen wurde.

    Womit wir wieder bei den Blasen wären. Hat man als Künstlerin, insbesondere als Malerin, einen anderen Zugang dazu, weil man es gewohnt ist, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten?

    Das bildnerische Arbeiten bedingt, dass man einen anderen Blick auf die Dinge hat – wir müssen beobachten und dadurch schärfen wir unseren Blick. Im Grunde genommen ist das eine Übungssache. Wenn ich das am Beispiel Akt-Zeichnen festmache, dann muss man das Modell immer in seiner Ganzheit sehen und darf sich nicht gleich am Beginn bereits in die Details versteigen. Das lässt sich auch auf alle anderen Dinge des Lebens übertragen: Fokussiere ich mich nur auf Details, verliere ich den Blick auf das Ganze. 

    Wenn Sie von außen die Südtiroler Politik betrachten, wie lautet Ihr Fazit?

    Es wird nicht mehr auf das Ganze geschaut, sondern jeder Politiker verliert sich nur mehr in seine Details und kümmert sich um seine Agenden. Von einem ganzheitlichen Blick ist die derzeitige Politik weit entfernt. 

  • Südtirol, du hast die Wahl

    Ausstellung in der SALTO-Redaktion, Dr.-Streiter-Gasse 10/A , Bozen

    Öffnungszeiten:
    Mo 10. Juni - Sa. 15. Juni 9:00-12:30 | 14:00 - 17:00 | bzw. Sa. 9:00-12:30 |

    Textbeiträge für das Buch von Elisabeth Frei haben Florian Kronbichler, Anita Rossi, Fabio Gobbato, Hans Heiss, Friedrich Hainz, Johanna Platzgummer, Wolfgang Sebastian Baur, Markus Doggi Dorfmann, Heidy Kessler und Elsbeth Wallnöfer verfasst.

    Foto: Elisabeth Frei