Società | Flüchtlinge

"Ein wenig mehr darf's schon sein"

Tirol will neben den derzeit 4.000 untergebrachten Flüchtlingen weitere 2.000 aufnehmen. Mehr Aufnahmefreudigkeit wünschen sich die Grünen auch hierzulande.

Als “eine der größten Herausforderungen seit Jahrzehnten” bezeichnete die Tiroler Landesregierung kürzlich die zahlreichen Flüchtlinge, die derzeit über den See- und Landweg Europa erreichen. Aus diesem Grund  verabschiedete sie auf ihrer Klausurtagung am Dienstag ein Grundsatzpapier, in dem sie eine Integrationsstrategie für die in Tirol ankommenden Menschen auf der Flucht beschloss. “Wir wollen den Menschen in ihrer neuen Heimat Tirol das Rüstzeug mitgeben, dass sie selbstständig leben, Geld verdienen und ein aktiver Teil der Gesellschaft werden können”, teilte die Grüne Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe im Anschluss an die Klausur mit. Darüber hinaus unterstreicht die Tiroler Landesregierung in der Grundsatzerklärung “die Bereitschaft, Verantwortung in Tirol für eine menschenwürdige Unterkunft unter einem festen Dach zu übernehmen”. Derzeit sind im Bundesland Tirol rund 4.000 Asylbewerber in rund 95 Strukturen untergebracht. Zum Vergleich: Südtirol beherbergt derzeit knapp 800 Asylbewerber in Bozen, Meran, Prissian, Vintl und Wiesen/Pfitsch. In Kürze werden auch in Mals die ersten Flüchtlinge erwartet. In Österreich rechnet man unterdessen mit 70.000 Asylbewerbern bis Jahresende. Das Bundesland Tirol muss 8,4 Prozent der Asylsuchenden aufnehmen. Das bedeutet insgesamt 6.000 Plätze für Flüchtlinge – also 2.000 mehr als aktuell.

Tirol muss in der Flüchtlingsfrage, in der keine einfache Lösung möglich ist, seine Handlungsfähigkeit in einer hitzigen Lage beweisen. Wenn Flüchtlinge aus Afrika oder Syrien ihre Zukunftschance bei uns in Europa suchen, dann ist das eine nationale wie europäische Bewährungsprobe. Mit kühlem Kopf und sicherer Hand ist das zu tun, was zu tun ist. (Günther Platter)

Und diese sollen bis Jahresende auch geschaffen werden, bestätigte die Tiroler Landesregierung. Dabei sollen die Gemeinden “aktiv in die Entscheidungsprozesse der Quartiersuche mit eingebunden” werden, unterstrich Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Er bringt die Absicht der Grundsatzerklärung auf den Punkt: “Mit dieser Leitlinie wird insgesamt ein Klima des Miteinanders, der Solidarität und der Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung geschaffen.” Die Ankündigung der Tiroler Landesregierung, zusätzlich zu den bereits 4.000 untergebrachten Flüchtlingen weitere 2.000 aufzunehmen, hat diesseits des Brenners die Grünen auf den Plan gerufen. Für die drei Landtagsabgeordneten Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba darf’s auch in Südtirol “schon ein wenig mehr” sein. Sie fordern die Landesregierung auf, die “humanitären Turnübungen zugunsten verstärkter Aufnahme” zu beenden. Eine Anspielung auf die seit vergangener Woche eingerichteten Notunterkünfte in den Turnhallen von Oberschulen in Brixen, die jedoch von den durchreisenden Menschen auf der Flucht kaum genutzt werden. “Die angekündigte Entlastung Bayerns und Tirols erweist sich so als Alibi-Aktion, mit der Landesregierung und Polizeikräfte vorgeben, die Nachbarn zu unterstützen, während sie tatsächlich heilfroh darüber sind, dass die Flüchtenden das Land schnellstmöglich verlassen”, kritisieren Heiss, Foppa und Dello Sbarba. Sie bezeichnen die Aufnahmefreudigkeit Südtirols als “mehr als bescheiden” und empfehlen der Landesregierung einen Stufenplan, wie künftig mehr Flüchtlinge im Land untergebracht werden könnten:

Eine realistische Prognose der künftigen Flüchtlingszahlen für das kommende Halbjahr vorzunehmen und bekannt zu geben;
Denkbare, weitere Standorte in nächster Zukunft mit den jeweiligen Gemeinden abzusprechen;
Das Aufnahmezentrum am Brenner für die Übernachtung besser zu adaptieren und eine ständige Betreuung einzurichten;
Nach dem Vorbild österreichischer Bundesländer einen eigenen Flüchtlingskoordinator zu ernennen;
Vor allem aber eine größere Zahl Flüchtlinge zu übernehmen, die annähernd der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftskraft Südtirols entspricht.
(Hans Heiss, Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba)

Südtirol brauche dabei nicht die Kraftakte anderer, völlig überlasteter Länder nachzuahmen, aber es dürfe sich nicht vor den Nachbarn im Norden und anderen Regionen im Süden völlig beschämen lassen, schließen die Grünen. Das aufnahmefreudige Deutschland und der zögerende Süden sind auch Thema in Rom. Wie der SEL-Abgeordnete Florian Kronbichler vor Kurzem auf Facebook kund tat:


 

Flüchtlinge! Alles andere ist Ablenkung.Erste Schultage sind nie wirkliche Schultage, und mit dem Parlament ist es...

Posted by Florian Kronbichler on Mercoledì 9 settembre 2015

Aus der Politik sind dieser Tage also ganz ähnliche Töne wie auch von Papst Franziskus zu vernehmen. Auf Twitter meldete sich der Pontifex am Dienstag mit folgendem Appell an die Europäer zu Wort: “Jede Pfarrgemeinde und religiöse Gemeinde in Europa möge eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen.”


Die Katholische Presseagentur Österreichs rechnet vor: “Würden auch nur alle katholischen Gemeinden in Europa dem päpstlichen Aufruf Folge leisten, hätten bald 600.000 Flüchtlinge eine vorübergehende Bleibe. Diese Zahl ergibt sich jedenfalls dann, wenn man für jede der europaweit 142.600 Pfarreien und weiteren Seelsorgeeinheiten die Unterbringung einer mindestens vierköpfigen Familie annimmt.” Wenig Freude mit dem päpstlichen Appell, den Franziskus bereits vergangenen Sonntag Mittag persönlich an die Gläubigen am Petersplatz richtete, dürfte man in Ungarn haben. Der Erzbischof von Budapest hatte vor knapp einer Woche sein Unbehagen über die Aufnahme von Flüchtlingen in kirchlichen Strukturen zum Ausdruck gebracht: “Im Moment sind Kirchen in Ungarn nicht berechtigt, Asylsuchende aufzunehmen. Wenn sie es dennoch täten, wären sie Menschenschlepper”, hatte Kardinal Peter Erdö auf eine Journalistenfrage geantwortet, warum die Kirche in Ungarn keine Flüchtlinge aufnehme. Später hatte Erdö seine Aussage relativiert, er habe auf das rechtliche Umfeld hinweisen wollen, vor welchen rechtlichen Barrieren die Flüchtlingshilfe die Kirche in Ungarn stehe, so der Erzbischof laut Medienberichten.

In Südtirol hat man sich nach dem Appell des Papstes indes bereits auf die Suche begeben. Wie Bischof Ivo Muser in einem Interview mit der Tageszeitung Anfang der Woche durchblicken ließ, denke er bereits an konkrete Strukturen, die die Kirche für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen könnte. Um welche Immobilien es sich genau handelt, wollte Muser nicht verraten, er hoffe aber auf die Unterstützung der öffentlichen Hand. Er ist überzeugt: “Als einzelner ist jeder überfordert, gemeinsam können wir etwas tun.”

wenn ich mir anschaue was in Österreich und Deutschland in den letzten Tagen geleistet wurde, dann kommen mir diese "Überforderungsjammerer" immer erbärmlicher vor. Es ist zum überwiegenden Großteil eine Frage des Willens, ob mich etwas überfordert oder nicht, dass weiß jeder der auf den Berg geht oder sich sonst im Leben einer Herausforderung stellt.

Gio, 09/10/2015 - 09:00 Collegamento permanente