Politica | Die Senatsreform

Weniger Spesen, wenig Einfluss der Regionen

Die Abschaffung des perfekten Bikameralismus war zwar überfällig, doch die Regionen gewinnen nicht wirklich an Macht im politischen System mit einem neuartigen Organ.
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Der neue Senat vertritt die Regionen und Lokalkörperschaften, d.h. vor allem die Gemeinden. In der vagen Formulierung des Art.1 der Reform trägt der Senat zur Bildung der Gesetze und EU-Normen, sowie zur Bewertung der Politik und Verwaltung des Staats bei. Die Mitglieder des künftigen Senats werden, laut Art. 2 des Entwurfs der Verfassungsreform, direkt von den Regionalräten bestimmt. In Südtirol wird diese Aufgabe der Landtag (für das Landtagsmitglied) und der Rat der Gemeinden (für den Bürgermeister) übernehmen. Ihre Senatsmitgliedschaft fällt zeitlich mit jenem ihres eigentlichen Mandats zusammen. Das Landtagswahlgesetz wird die Modalitäten festlegen, wie der Südtiroler Senator bestimmt wird. Der vom Landtag zu nominierende Senator – ein Landtagsabgeordneter – könnte für diese Funktion auch einen speziellen Wählerauftrag erhalten, indem die wahlwerbenden Listen unter ihren Kandidaten einen als künftigen Senator zur Wahl stellen. Damit erhielte er oder sie eine gewisse demokratische Legitimation für dieses Amt. Da der Rat der Gemeinden als zweiten Senator einen Bürgermeister der italienischen Sprachgruppe benennen muss, wird es voraussichtlich der Bozner Bürgermeister sein.

Der neue 100-köpfige Senat wird aus 74 Regionalrats- bzw. Landtagsabgeordneten, 21 Bürgermeistern und 5 vom Staatspräsidenten ernannten Personen zusammengesetzt sein. Letzteres ein überholtes Relikt aus der Zeit der Honoratiorenparlamente. 21 Bürgermeister sind es, damit auch das Trentino und Südtirol getrennt ihren „wichtigsten“ Bürgermeister platzieren können.

Die Doppelrolle der neuen Senatoren drückt gleichzeitig die stark geschrumpfte Bedeutung des Senats aus: da sie eigentlich vielbeschäftigte Stadt-Bürgermeister und Regionalpolitikerinnen sein werden, werden sie wohl nur einige Tage im Monat in Rom nach dem Rechten sehen können. Das spart zwar Politikerdiäten, reduziert aber sowohl die demokratische Legitimation des Amts wie die konkrete Möglichkeit, eine Kontrollfunktion der parlamentarischen Arbeit aus regional-kommunaler Perspektive auszuüben. Das wäre ohne Zweifel eine Vollzeitaufgabe.

Die regionalistische Alternative wäre es gewesen, die Senatoren bescheiden zu honorieren, sie von der Wählerschaft in Region oder Land direkt wählen zu lassen (relative Mehrheit entscheidet) und ihnen konkrete Aufgaben zuzuteilen, vergleichbar mit jenen einer echten Regionenvertretung oer Länderkammer wie dem deutschen Bundesrat. Der indirekte Wahlmodus entspricht aber der Ausrichtung der jetzigen Verfassungsreform, die die Bedeutung der Normalregionen insgesamt abwertet. In Südtirol hilft die Aufteilung der Rollen zwischen einem „Landtags-Senator“ und einem „Bürgermeister-Senator“ auch elegant aus dem Proporzdilemma. Indirekt hat der Bozner Bürgermeister stets ein Votum des größeren Teils der italienischen Sprachgruppe, während der „Landtags-Senator“ die stets deutschsprachige Mehrheit des Landtags hinter sich haben muss.

Der Senat wird durch diese Reform schon fast zum bloß beratenden Organ degradiert. Vom Vertrauensvotum gegenüber der Regierung wird er entbunden, echt mitbestimmen kann er nur mehr bei Verfassungsreformen, der Regelung der Referenden (das macht Italien alle 40 Jahre), Wahlgesetzen der Gebietskörperschaften, dem Familienrecht, Gesundheitswesen und internationalen Abkommen. Auf Antrag von mindestens einem Drittel der Senatoren kann er Abänderungsanträge auch zu anderen Gesetzen vorlegen, die im Parlament behandelt werden. Nur bei der Regelung der Zuständigkeiten der Regionen und Lokalkörperschaften hat der zukünftige Senat mehr Gewicht. Entsprechende Abänderungsanträge des Senats können nur mit absoluter Mehrheit der Parlamentsmitglieder abgelehnt werden.

Eine proportional stärkere Vertretung Südtirols im Senat ist zwar gesichert, wie Karl Zeller unterstreicht, aber in einem insgesamt wesentlich schwächeren Organ. Von einer echten Regionenkammer ist dieser Senat weit entfernt. Für Südtirol insofern weniger tragisch, als die Beziehungen Rom-Bozen im Weg des „metodo pattizio“ ohnehin stark bilateral gestaltet werden. Doch die mit der gesamten Verfassungsreform einhergehende Schwächung der Regionen ist für Italien insgesamt ein gewaltiger Rückschritt, auch in demokratischer Hinsicht.

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Benno Kusstatscher Ven, 10/09/2015 - 19:26

Wir kennen das Spiel mit den Doppelrollen ja bereits aus den nicht-autonomen Provinzen, wo die Bürgermeister unter ihresgleichen einen Bürgermeister auswählen, der dann als Doppellast auch noch den Landeshauptmann spielen darf. Das Ergebnis - trotz redlichen Bemühens so mancher Akteure - Scherben, wohin das Auge auch reicht.

Ven, 10/09/2015 - 19:26 Collegamento permanente
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Stephan Kerschbaumer Sab, 10/10/2015 - 12:04

Ich gebe ehrlich gesagt zu, dass ich mich dem derzeitigen Entwurf zur Verfassungsänderung nicht, bzw. nur oberflächlich auseinandergesetzt habe. Die Kritik an der Zusammensetzung des "neuen" Senats verstehe ich aber nicht ganz. Die Zahl von 100 Senatoren erscheint mir willkürlich und die Möglichkeit des Staatspräsidenten Senatoren zu benennen historisch überkommen, aber entspricht das Modell, nach dem die Mitglieder der höheren Kammer (hier der Senat) aus Vertretern der kleineren Gebietskörperschaften bestehen, nicht dem deutschen Modell des Bundesrates? Auch dieser besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen (Ministerpräsidenten und Minister, bzw., für die Stadtstaaten, regierende Bürgermeister und Senatoren), die somit Träger einer Doppelfunktion sind.
Über die Zuständigkeiten der "Länderkammer" ließe sich diskutieren. Persönlich hätte ich es besser gefunden den Länderkammern eine breitere Befugnis zuzugestehen, v.a. in den Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung, in der der Staat lediglich Rahmengesetze erlassen darf und die Regionen/autonomen Provinzen die eigentlich Gesetzgebung innehat (auf Südtiroler Deutsch: sekundäre Gesetzgebung des Landes), wodurch ein Konsens und ein Ausgleich zwischen staatlichen und regionalen/provinziellen Interessen ermöglicht würde. Aber, und mea culpa, ich habe mich nicht ausreichend mit der Reform auseinandergesetzt, um zu verstehen, wie die Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Staat auf der einen, Regionen und autonome Provinzen auf der anderen, verteilt und geregelt werden. Vielleicht kann jemand hierzu mehr Informationen liefern.

Sab, 10/10/2015 - 12:04 Collegamento permanente
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Thomas Benedikter Lun, 10/12/2015 - 22:28

Der Senat der Regionen, wie er morgen endgültig verabschiedet wird, ist keine Länderkammer wie der Bundesrat, genausowenig wie Italien ein Bundesstaat ist. Im deutschen Bundesrat sind übrigens nur Mitglieder der Landesregierungen vertreten, während sich zu einer Pseudo-Länderkammer wie eben dem neuen Senat ein Eiertanz zur direkt-indirekten Bestellung der Senatoren ergeben hat.
Der Bundesrat hat das Recht auf Gesetzesinitiative, Gesetzentwürfe der Bundesregierung müssen zuerst vor den Bundesrat, bevor sie in den Bundestag kommen. Viele Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrats, ansonsten gibt es ein Vermittlungsverfahren. Z.B. müssen alle Gesetze, die Auswirkungen auf die Finanzen der Ländern haben, zwingend durch den Bundesrat. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie gering im Vergleich die Macht des neuen Senats der Regionen sein wird. Er kann nämlich in allen Fällen vom Parlament überstimmt werden, sogar, wenn es um Zuständigkeiten und Finanzen der Regionen geht. Nicht einmal, wenn die Macht der Regionen weiter eingeschränkt wird, kann der Senat der Regionen ein echtes (also defintives) Veto einlegen, sondern kann in einer zweiten Runde vom Parlament mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder überstimmt werden. Das ist Renzis neue "governabilità".

Lun, 10/12/2015 - 22:28 Collegamento permanente