Società | Interview

„Eine Lobby für Kinder und Familien“

Mehr Unterstützung für Alleinerziehende und alle Familienformen, fordert Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter.
foto_dr.in_paula_maria_ladstatter.jpg
Foto: Foto: Privat

salto.bz: Frau Ladstätter, die Plattform für Alleinerziehende hat in ihrer Vollversammlung Anfang April eine besser finanzielle Unterstützung für diese Familienform gefordert. Fehlt es an Hilfen für Alleinerziehende?

Paula Maria Ladstätter: Ja. Untersuchungen zeigen, dass Alleinerziehende armutsgefährdet sind und besonders unter Faktoren wie der Wirtschaftskrise leiden und dementsprechende Hilfen benötigen. In Südtirol ist jede vierte Familie eine Ein-Eltern-Familie, das ist sehr viel. 

Die Präsidentin der Plattform Ida Lanbacher schlägt eine allgemeine monatliche Kindergrundsicherung von 450-500 Euro für alle Kinder bis zum Ende der ersten Ausbildung vor?

Ich habe von dem Vorschlag der Präsidentin gehört und finde ihn sinnvoll. 

Die Kindergrundsicherung wäre eine Möglichkeit, die finanzielle Situation für Kinder, besonders in Ein-Eltern-Familien, zu stabilisieren?

Alleinerziehende haben auch Spesen wenn sie arbeiten, zum Beispiel für die Kinderbetreuung. Wenn sie nicht arbeiten können, kommen andere finanzielle Probleme hinzu. Die Grundsicherung wäre sicher eine Entlastung und ein Projekt, dem nachgegangen werden sollte.

In Südtirol ist jede vierte Familie eine Ein-Eltern-Familie, das ist sehr viel. 

Wenn von Familienbeiträgen gesprochen wird, dann immer in Verbindung mit der klassischen „Kernfamilie“, also Vater, Mutter, Kind/er. Ist das nicht diskriminierend?

Kernfamilie muss in all ihren Formen und Varianten verstanden werden. Die Verfassung spricht zwar von Familie, aber es gibt keine genaue Definition. Auch die UN Kinderrechtskonvention von 1989 besagt, dass kein Kind aufgrund seiner Herkunft diskriminiert oder benachteiligt werden darf, also auch nicht wenn es aus einer Ein-Eltern-Familie kommt. Alle Kinder müssen die gleichen Startmöglichkeiten haben. Auch unabhängig vom Einkommen der Eltern. Natürlich ist zu schauen wie jede einzelne Situation ist. Es kann sein, dass der Vater Unterhalt bezahlt, aber nicht in die Erziehung involviert sein möchte. Die Ein-Eltern-Familie heißt nicht, dass es nur einen Elternteil gibt. 

Also muss der Familienbegriff komplexer verstanden werden?

Ich denke der Familienbegriff ist sehr dehnbar und darunter fallen eben viele verschiedene Formen, die es alle gilt zu unterstützen.

Kinder und Familien haben eben nicht diese Lobby. Es ist wirklich wichtig, dass Familien in all ihren Formen unterstützt werden und Bürokratie abgebaut wird.

Durch das „Harmonisierungsdekret“ wird bei der Ermittlung der finanziellen Situation immer auf die Ursprungsfamilie der Antragsteller/innen zurückgegriffen. Was für Alleinerziehende, die um Familienbeiträge ansuchen, zum Problem werden kann, weil viele dadurch die Vermögensgrenze überschreiten.

Ja da wäre es sinnvoll zu entkoppeln!

Gerade wenn das Verhältnis zur sogenannten Ursprungsfamilie schwierig ist?

Natürlich werden dadurch auch Probleme befeuert und ich sehe da großes Konfliktpotential. Wenn ich mit meinen Eltern nicht kann und deren Besitz und Vermögen wird mir mit einberechnet, wird es schwierig. Das bedeutet mehr Stress für die Alleinerziehenden und wiederum auch mehr Stress für die Kinder. Alleinerziehende haben ja sowieso schon mehr Belastungen und ihr Tagesablauf ist meistens voll durchgeplant. Wenn zum Beispiel die Kinder krank werden oder die Kinderbetreuung ausfällt, müssen sie sich schnell organisieren. Viele haben auch nicht das soziale Netz an Verwandtschaft und Freunden.

Das heißt, Alleinerziehende sind auf mehrfache Weise eingeschränkt?

Ja. Es gibt Untersuchungen die besagen, dass Alleinerziehende immer in einem Zwiespalt sind. Wenn sie wirklich Vollzeit oder auch nur 45 Prozent arbeiten gehen, dann steht natürlich immer die Berufstätigkeit im Widerspruch mit dem Zeit haben für das Kind/die Kinder. Nicht zu vergessen sind Probleme mit dem Arbeitgeber, wenn das Kind krank wird und auf die Väter nicht zurückgegriffen werden kann. Alleinerziehende sind Mehrfachbelastungen ausgesetzt. Und wie gesagt: in Südtirol ist jede vierte Familie eine Ein-Eltern-Familie. Der Wert ist sogar höher als in Deutschland, dort ist es jede fünfte.

Und Tendenz weiter steigend?

Ja, jede dritte Ehe in Südtirol wird geschieden.

Alleinerziehende sind Mehrfachbelastungen ausgesetzt

Die Plattform für Alleinerziehende appelliert auch an die sogenannten „falschen Alleinerziehenden“... 

Ich denke es wird immer solche Situationen geben, in denen Leute die gegebenen Vorteile ausnutzen, in diesem Falle zum Schaden der Alleinerziehenden. Aber da muss man an jeden einzelnen appellieren, einfach verantwortlich und aufrichtig zu handeln.

Was wünschen sie sich für die Zukunft aller „Familien“ in Südtirol?

Die Kinderarmut steigt, laut dem Landesinstitut für Statistik ASTAT auch in Südtirol. Wenn wir jetzt nicht in die Familie und die Kinder investieren, dann hat die gesamte Gesellschaft die Folgen zu tragen und muss Jahrzehnte danach noch draufzahlen. Kinder und Familien haben eben nicht diese Lobby. Es ist wirklich wichtig, dass Familien in all ihren Formen unterstützt werden und Bürokratie abgebaut wird. Damit sie wirklich ein menschenwürdiges Dasein haben. Alles, was nicht für Familien gemacht wird, fällt immer auf die Kinder zurück, das muss uns klar sein. Und die Probleme kommen erst dann mit der Zeit.