Economia | Tourismus

Südtirol auf dem Prüfstand

Wie sicher kann der Tourismus starten? Bei der Frage, die beim heurigen HGV-Forum diskutiert wurde, geht es um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit des Landes.
Liegestühle in den Dolomiten
Foto: Othmar Seehauser

“Ganz Italien, ja, halb Europa schaut auf uns”, sagt der Landeshauptmann. Auch deshalb darf sich das Land auf seinem “Südtiroler Weg” aus der Corona-Krise keinen Fehler leisten. Zu viel steht auf dem Spiel. Nicht zuletzt das Image als Tourismusland. Südtirol ist eine der ersten Regionen in Europa, in der Beherbergungsbetriebe wieder öffnen dürfen. Stichtag ist der 25. Mai.

Am Montag Nachmittag hat der Hoteliers- und Gastwirteverband HGV erstmals zu einer virtuellen Landesversammlung geladen. Zu Ende geht sie mit der Frage, was hat uns diese Krise zu sagen?, die der Zukunftsforscher Matthias Horx zu beantworten versucht. Doch zunächst geht es um ganz konkrete Fragen, die trotz des neuen Landesgesetzes für die Phase 2 immer noch für Ungewissheit und Verunsicherung sorgen.

 

Sicher aus der Krise

 

“Kein Sektor hat eine so lange Durststrecke hinter sich wie der unsrige”, klagt HGV-Präsident Manfred Pinzger in seiner Eröffnungsrede. Er fordert von der Politik ein “kräftiges Maßnahmenpaket” für Gastronomie und Hotellerie und “baldige Erleichterungen durch eine Verordnung des Landeshauptmannes”. Inzwischen aber gelte es, sich so so gut wie möglich auf die Öffnung – Bars und Restaurants können bereits seit 11. Mai, wieder aufsperren – vorzubereiten. Die strengen Sicherheits- und Hygieneauflagen, die das Landesgesetz vorgibt – z.B. Mindestabstand von 2 Metern, Tragen von FFP2-Masken für Mitarbeiter – haben in den eigenen Reihen für Kritik gesorgt, berichtet der HGV-Präsident. Sein eindringlicher Appell geht ebendahin zurück: “Eigenverantwortung unsererseits und vonseiten der Gäste ist unabdingbare Voraussetzung, um eine zweite Welle zu verhindern” Oberstes Ziel sei es: die Gesundheit der eigenen Familie, der Mitarbeiter und der Gäste schützen und Südtirol “als sicheres Urlaubsland positionieren”.

Darin sind sich die übrigen Teilnehmer des Online-Events einig. Ja, es müsse weitere Lockerungen geben, bestätigt Landeshauptmann Arno Kompatscher, der live zugeschaltet ist. “Aber wir tun gut darin, in Sicherheit zu starten und unsere Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen.” Er berichtet von unzähligen Interviewanfragen auch ausländischer Medien, die er seit Verabschiedung des Landesgesetzes erhalten habe und die beweisen: “Südtirol ist weiterhin begehrt als Urlaubsland.”

 

Nach einem Interview mit Kompatscher, das der Bayerische Rundfunk Montag früh sendet, meldet die Deutsche Presseagentur: “In Südtirol bereiten sich die Hotels auf deutsche Touristen vor.”
Zu Pfingsten noch nicht, aber allerspätestens im Juli gehe er davon aus, dass die Reisefreiheit zumindest partiell wieder hergestellt sei “und dass wir dann auch wieder Urlauberinnen und Urlauber aus Deutschland hier haben können”, bestätigt der Landeshauptmann. “Wir werden in unseren Hotels höchste Sicherheitsstandards bieten und dadurch für die Gäste auch eine Garantie abgeben können.” Doch in zumindest einem Punkt darf bezweifelt werden, inwieweit das möglich ist.

 

Alle “protected”?

 

Gäste müssen bei ihrem Südtirol-Sommerurlaub mit Einschränkungen rechnen, etwa geschlossenen Wohlfühloasen. Wie Kompatscher im BR-Interview erwähnt, dürfen Hallenbäder, Saunen und “der gesamte Wellnessbereich” nur geöffnet werden, wenn das Hotel die Voraussetzungen für eine “Covid Protected Area” erfüllt. Unter anderem: “tägliche Laser-Fiebermessung für alle Mitarbeiter und zertifizierte serologische Schnelltests für Mitarbeiter; Gäste und Kunden weisen beim Check-in einen zertifizierten, negativ serologischen Schnelltest vor, dessen Ergebnis nicht älter als vier Tage ist, oder erbringen den zertifizierten Nachweis einer Antikörper-Entwicklung; (…)”. So steht es im Landesgesetz.

Dieser zweite Punkt hat bei der Opposition im Landtag für Stirnrunzeln gesorgt. Denn im Klartext steht hier: Ob mit oder ohne Antikörper – eine “Covid Protected Area” kann jedes Hotel schaffen, dessen Gäste einen entsprechenden Test vorweisen können. “Serologische Schnelltests sollen Antikörper nachweisen, sagen aber – ob positiv oder negativ – gar nichts darüber aus, ob eine Person potentieller Virenträger bzw. ansteckend ist. Sinnvoller wäre es, einen negativen PCR-Test, der nicht älter als vier Tage ist, zu verlangen, also einen Nasen-Rachenabstrich, mit dem eine laufende Virusinfektion ausgeschlossen werden kann”, so die Kritik bei der Behandlung des Gesetzes am vergangenen Donnerstag.

Vorerst genügt den Hotels ein Antikörper-Test der Gäste, um ihre Wellnessanlage zu öffnen – Ergebnis egal. Wer keinen solchen Test im Gepäck mitbringt, soll ihn auch bei der Anreise machen können. Das können sich aber nur die allerwenigsten Betriebe leisten. Denn serologische Schnelltests erfolgen mittels Blutabnahme, die nur medizinisches Personal durchführen darf. Über solches verfügt in Südtirol einzig eine Handvoll Hotels. Der Quellenhof etwa – der 5-Sterne-Betrieb wird am 5. Juni wieder öffnen – wirbt seit einer Woche: “Zuverlässige Corona PCR-Tests und Corona Antikörpertests können unkompliziert und zuverlässig im Medical Center Quellenhof Passeier abgewickelt werden.”

 

Wie hoch ist der Preis?

 

Eines ist klar: Damit die Beherberungsbetriebe das Versprechen des Landeshauptmannes, “den höchsten Sicherheitsstandard” einzuhalten, einlösen können, fallen hohe Kosten an. Wer kann sich das leisten? “Das muss jeder Betrieb für sich beantworten”, meint HGV-Präsident Pinzger. Ums Geld, nämlich die Gefahr des Preisdumpings, um Gäste anzulocken, dreht sich auch eine weitere Frage von Moderatorin Verena Pliger – gerichtet an IDM-Präsident Hansi Pichler. Er gesteht: “Die Angst, dass die Preise gedrückt werden, ist berechtigt, wir beobachten das mit großer Sorge. Preisnachlässe, das kann es nicht sein, das ist nicht Südtirol. Südtirol muss seinen Preis wert sein.” Auch der Tourismusexperte Thomas Bausch hatte im salto-Gespräch am Sonntag gewarnt: “Finger weg vom Preis!”

 

Ebenso Sorge bereitet vielen HGV-Mitgliedern die Frage: Was passiert, wenn in meinem Betrieb jemand positiv auf Covid-19 getestet wird? Muss dann das ganze Hotel schließen? “Dafür gibt es Richtlinien”, erklärt Manfred Pinzger. “Wenn ein Gast positiv getestet wird, muss er isoliert und sofort Meldung an den Amtsarzt bzw. die Sanitätsbehörde erstattet werden. Die Person darf nur mehr mit Schutzkleidung betreut werden. Alle Gäste und Mitarbeiter, die mit dem Positiven in Kontakt waren, werden getestet. Über eine mögliche Schließung wird die Fachkommission, die das Land einsetzt, befinden. Aber ich gehe davon aus, dass wenn der Betrieb frühzeitig alle Maßnahmen im Umgang mit einem Positiven einhält, der Betrieb nicht geschlossen werden müsste.” Doch sicher ist das nicht.

“Wenn ein Gast mit Infektion nach Deutschland zurückkehrt, ist das ein Schaden für die ganze Branche, nicht nur für das Hotel”, stellte Gesundheitslandesrat Thomas Widmann vergangene Woche klar. Das Risiko ist Politik und Tourismustreibenden bewusst. “Sollte es einen Rückfall im Infektionsgeschehen geben, wäre der Tourismus wieder als erster jener Sektor, der darunter leidet. Es ist äußerste Vorsicht geboten, denn wir sind noch weit weg von der Normalität”, warnt Tourismuslandesrat Arnold Schuler am Montag. “Es ist wichtig, gute Daten zu haben, um als ‘sicher’ eingestuft zu werden. Und da wollen wir dabei sein.” Schuler steht in Kontakt mit dem Tourismusbeauftragten der deutschen Bundesregierung Thomas Bareiß und Österreichs Tourismusministerin Elisabeth Köstinger.

 

Image und Europa

 

Deutschland und Österreich gehören mit der Schweiz und Italien zu den touristischen Kernmärkten Südtirols. In diesen vier Ländern wird die IDM massive Kampagnen fahren, bezahlt aus dem Budget von 33,5 Millionen Euro, die das Land zur Verfügung stellt. Die erste – eine “Kundenbetreuungskampagne”, um unter dem Slogan “Alles, was wir lieben” mit den Stammgästen in Kontakt zu bleiben – ist bereits abgeschlossen. “3.500 Betriebe haben mitgemacht und damit 4,5 Millionen Menschen erreicht”, freut sich IDM-Präsident Pichler. Am Freitag (15. Mai) startet die zweite Kampagne, zunächst in Italien. “Eine große Brandkampagne in den Kernmärkten Südtirols, um Awareness der Marke Südtirol und Kundenaktivierung in den wichtigsten Märkten zu stärken” – so die etwas sperrige Umschreibung der Maßnahme, die Pichler als “eine bisher noch nie aufgelegte Imagekampagne” bezeichnet, die über 20 Wochen laufen soll. Über Online, Print und Radio soll “90 bis 95 Prozent Marktdurchdringung erzielt werden”, so das Ziel der IDM. Kommende Woche wird entschieden, wann die Kampagne in Deutschland, Österreich und der Schweiz starten soll. Man will abwarten.

Denn noch steht die allergrößte Frage im Raum, die über die Sommersaison nicht nur in Südtirol entscheiden wird: Wann werden die Grenzen wieder offen und freier Reiseverkehr möglich sein? “Am Mittwoch wird die EU-Kommission einen Vorschlag dazu präsentieren”, verkündet EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann per Live-Schaltung aus Brüssel. Für die EU-Außengrenzen sieht er schwarz: “Es ist so gut wie unmöglich, dass die in den nächsten Monaten geöffnet werden.” Seine Erwartung: “Dass innerhalb Juni der Schengenraum wieder zum größten Teil hergestellt wird.” Es gebe sehr großen Druck in Brüssel, insbesondere weil die Wirtschaft einzelner Mitgliedsstaaten wie Kroatien, Griechenland und Portugal maßgeblich vom Sommertourismus abhängt. “Ich hoffe dass eine europäische Lösung gelingt und es zu keinen bilateralen Abkommen kommt”, betont Dorfmann.

 

Wende wohin?

 

Was die Zukunft bringt, weiß keiner der Teilnehmer des HGV-Forums. Auch der Zukunftsforscher Matthias Horx nicht, der zum Schluss den Anwesenden und knapp 1.000 Zuschauern einen Ratschlag mit auf den Weg gibt. Seine These: “Diese Krise wird die Kultur, die Wertesysteme der westlichen Welt dauerhaft ändern.” “Klassische Exzesse des Tourismus” wie Kreuzfahrten oder Eventtourismus à la Ischgl sieht Horx auf dem Totenbett. “Große Themen” wie ökologisches Leben und Wirtschaften, Nachhaltigkeit, neue Mobilität und das Verhältnis zur Natur “werden an die Oberfläche dringen”. Die Corona-Krise werde diese Trends, die bereits am Laufen waren, einen Schub versetzen, die Frage, was zukunftsweisend und was veraltet sei, immer lauter stellen. “Gerade der Tourismus und die Gastronomie war an einem Punkt, an dem sie sich neu erfinden mussten. Und Südtirol ist da gar nicht so schlecht aufgestellt”, sagt Horx zuversichtlich.

Die Welt nach der Krise werde “keine katastrophale” sein, meint er. Allerdings gelte es die “Ansätze für Innovationen, die der Branche neues Selbstbewusstsein geben können” zu nutzen und “nicht aus Angst zu handeln, dass Altes nicht wiederkommt”. Ob die Tourismustreibenden nach über zwei Monaten Zwangspause dafür bereits die Kraft haben, bleibt abzuwarten. Vorerst wünscht man sich nur eines: dass die Gäste wiederkommen – anders als das Coronavirus.

 

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Schorsch Peter Mar, 05/12/2020 - 07:42

Bitte lieber Landeshauptmann, nicht nur die Grenzen aus Sicht der Touristen betrachten, sondern so schnell wie möglich Möglichkeiten schaffen, dass sich grenzüberschreitende Paare und Familien wieder sehen können, zumindest für Österreich, Schweiz, Deutschland.
Denn diese leiden sehr, und sind inzwischen an ihren persönlichen Grenzen angelangt, diese Situation noch länger auszuhalten!

Mar, 05/12/2020 - 07:42 Collegamento permanente
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Klemens Riegler Mar, 05/12/2020 - 14:03

... “Kein Sektor hat eine so lange Durststrecke hinter sich wie der unsrige”, klagt HGV-Präsident Manfred Pinzger ...
Diese Aussage stimmt natürlich nicht ganz.
Warum?
1. weil zumindest Hotels in höheren Lagen sowieso geschlossen gewesen wären und erst mit Juni wieder geöffnet hätten. Nicht alle aber doch viele.
2. weil auch Gastronomie-Betriebe in TourismusHochburgen (auch Skigebiete) zumindest teilweise geschlossen gewesen wären.
3. weil viele Betriebe nur gleich viel und gleich lange wie andere Sektoren betroffen sind / waren.
4. weil es definitiv Sektoren gibt die noch wesentlich stärker und länger betroffen sind. Schon mal daran gedacht wie es technischen Event-Dienstleistern oder Messebaubetrieben geht? Die haben seit Fasching Null Einkünfte, Spesen wie jeder andere auch ... und das wird wohl noch Monate so bleiben. Dieser Sektor lebt wie kein anderer von „Menschenansammlungen“. Will heißen; die Durststrecke ist in diesem Sektor noch lange nicht vorbei. Wobei freilich auch die Hotellerie nicht so schnell in die Rentabilitätsphase zurückkehren wird.
5. ebenfalls sehr stark betroffen sind: Reisebüros und ab jetzt auch Zeltverleihe und Bühnenbauer usw. Will heißen es gibt selbst jetzt noch welche die NULL haben und nicht wissen wie lange diese sie das monatlich FETTE MINUS dort stehen werden.

Mar, 05/12/2020 - 14:03 Collegamento permanente