Cultura | Salto Afternoon
Klar und deutlich zu hören
Foto: Tiberio Sorvillo
Das 2021er Stück des Kanadiers Jordan Tannahill inszenieren Regisseurin Eva Kuen, mit dramaturgischer Mitarbeit von Peter Schorn, geradlinig und beinah schonungslos direkt. Doch zuerst ging es raus in den Regen (beim jetzigen Wetter empfiehlt sich: Schirm mitbringen), wo man mit einem Klimaprotestschild einer Barbershop Quartet Version (zu fünft) von „Alles renkt sich wieder ein“ folgte, quasi als „Prolog auf dem Theater“, da man die Treppe über dem Eingang der Bozner Carambolage mit bespielte. Es musizieren und spielen Victoria Angerer, René Dalla Costa, Laura Masten, Julian Pichler und Katrin Rabensteiner, alle in ihren 20ern. Sie verkörpern dabei verschiedene Standpunkte der Generation Z (1995-2010), samt jugendlicher Sprachmarker wie einem zustimmenden „same“, obligatorischen „Shoutouts“ von Mama bis Greta, bis hin zum ungläubigen „echt jetzt?“. Ihre Emotionen, eine Mischung aus Zorn und Resignation, aber auch Empathie kommunizieren die Schauspieler:innen inner- und außerhalb des Jugendslangs klar, deutlich und glaubhaft. Auch ohne - oder gerade ohne - Mikro, welches im Stück häufig symbolisch dafür steht, welche Stimmen denn nun Gehör finden und welche nicht, sind ihre Stimmen zu hören.
Musik sollte ein Gegenpol für die Mischung aus Klimafakten und Klimaverzweiflung, sowie Schuldfragen sein, weitere folgten später. Zuerst ging es aber wieder ins Trockene, wo man begann, mit einem eigentlich gefährlichen, hier aber reflektiert und kritisch hinterfragtem „Othering“. Durch die Frage, nach den Generationen, welche im Publikum saßen - auf welche sich die wenigsten „Baby Boomer“ meldeten, klärte man die Fronten fürs erste. Aus Schauspielern und Publikum wurden plakativ „Wir“ und „ihr“. Immer wieder schlug auch die Trommel im martialischen Rhythmus, „mindestens 150 Mal“, was dem durchschnittlichen täglichen Aussterben von Spezies auf unserem Planeten entspräche. Verzweifelt man auf der Bühne, so stürzt man sich in den Tanz zu Trommel und Stroboskop, mit manischer Hingabe und Ausklammerung der Welt ringsum.
„Ihr habt versagt.“, war die erste Provokation, welche man sich auf Seiten des „ihr“ im Publikum gefallen lassen musste und damit dieses Scheitern nicht eine bloße Idee bleibt, sprach man die Folgen für Folgegenerationen, abgebrannte Waldflächen, Murenabgänge und Klimatote direkt an. „Ich meine das nicht abstrakt“, wurde in Hinblick auf die Klimakatastrophe betont, da sich deren schlimmste Auswirkungen zwar momentan wo anders abspielen würden, es aber nur eine Frage der Zeit sei, bis sie ihren Weg nach Südtirol fänden.
Auf der Suche nach Gesprächskanälen sprach man die Boomer mit einer Variation eines Lieds von ’84 auch direkt an: „Tausendmal gehört / Tausendmal ist nix passiert / Tausend und eine Nacht / Und es hat „Boom“ gemacht“. Die Hauptfrustration, welche weniger aus der eigenen Ohnmacht angesichts eines Menschheitsproblems und mehr aus der Untätigkeit der Generationen Eltern und Großeltern resultierte, wird auf Kommunikationsebene durchleuchtet: „Wie können wir reden?“, „Soll ich lauter sprechen?“ oder aber auch: „Soll ich mich an Landesrat Vettorato kleben?“. Verzweiflung war immer wieder übermächtig und erfuhr einen Bruch durch Musik, hoffnungsvolle Anekdoten aus der Erinnerung oder durch Stimmen aus dem Off und der Zukunft.
In diesen Interviews erzählten Frauen aller Welt (die Zukunft ist weiblich), welche 2020 geboren wurden 2100, wie wir es am Ende der 20er Jahre gerade noch schafften die Kurve zu kriegen und die Welt dadurch nicht nur klimafreundlicher, sondern auch menschlicher zu gestalten. Die Frage nach Klimagerechtigkeit ist global gesehen auch eine soziale, da die andauernde Katastrophe die Ärmsten im globalen Süden am härtesten trifft. Eine Prise Utopie für ein Stück, das den Zucker gut gebrauchen kann. Es spenden ihre Stimmen dafür Omoreze Adeyemi, Mousami Das und Valentina Bruccoleri, sowie Alexa Brunner, Margot Mayrhofer und Eva Kuen im Voice-Over, welches das gesagte übersetzt.
Kritisch zur Generation Z gestellt sind etwa die Uneinigkeiten, die bei der Frage wer denn nun die anderen sind aufkommen: Mit einem Seil um die Hüfte und Augen auf den Händen wird ein Amalgam geschaffen, welches an den bleichen Mann aus Guillermo del Toros düsterem Fantasy-Drama „Pans Labyrinth“ erinnert und allerhand Schwurblerisches von sich gibt. Eine der fünf Darsteller:innen bleibt außen vor und hinterfragt die Darstellung kritisch - wer oder was dieses Feindbild sein soll, das sich in viele Richtungen verläuft. Wer ist denn nun das Problem? Die Alten oder die Reichen? Ist Gewalt tatsächlich - und wenn ja, in welcher Form - ein legitimes Mittel für Klimaprotest? Jedenfalls setzt man sich hier Komplexitäten aus, ohne den Anspruch zu erheben, die Welt zu retten. Man will nur Teil der Lösung statt Teil des Problems sein, um bei den Postersprüchen zu verweilen.
Antworten liefert das Stück in konkreter Form keine, bringt uns aber dazu, uns in unserem eigenen Klimahandeln zu hinterfragen und verhindert, dass wir es uns im Theater bequem machen. Was dabei die Raumfahrt Metaphorik mit einem Astronauten im Publikumsraum und den Darsteller:innen im Kostüm (Bühne und Kostüm: Sara Burchia; Bühnenbau: Robert Reinstadler), wie auch als Programmmotiv soll, bleibt deutungsoffen. Macht hier ihre Generation einen für einen Menschen kleinen Schritt, der aber ein großer Sprung für die Menschheit ist? Oder macht man sich bereit für das Schlimmste und dafür das sinkende Schiff Erde zu verlassen? Trost spendet man mit einer poetischen Erinnerung an Kindertage (die Klarinette von Katrin Rabensteiner darf diese gelungen lautmalerisch einleiten) und die verlorene Unschuld, sowie mit einem Schlusssong von Buntspecht. Beklemmend schön wie ein durch Smog eingefärbter Sonnenaufgang.
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