Cultura | Salto Gespräch
Die Bretter, die den Ritten bedeuten
Foto: Rittner Sommerspiele
Nachdem man letztes Jahr im Wieser Steinbruch nicht viele Worte darüber verloren hat, dass es die langlebigsten Freilichtspiele Südtirols bereits seit einem halben Jahrhundert gibt, beschloss man die 51. Premiere kurzerhand zur 50. zu erklären. Von 1973 bis 2023 wurden Volksstücke, aber auch Bearbeitungen großer Klassiker gezeigt. Klar, dass es für die Jubiläumsfeierlichkeiten eine Komödie sein musste, mit der Posse „Pension Schöller“ von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs entschied man sich für ein Stück Theaterliteratur, welches seit 1890 von unzähligen Profi- und Laienbühnen im deutschsprachigen Raum quasi in den Kanon der Volksschauspielbühnen gespielt wurde. Es handelt sich um eine Verwechslungskomödie in welcher die exzentrischen Gäste einer Pension für Patienten in einer Anstalt gehalten werden. Premiere ist, wenn das Wetter mitspielt, am 21. Juli.
Zum Stück und der kulturellen Instanz Sommerspiele haben wir mit Regisseur Alexander Kratzer und Andreas Baumgartner gesprochen. Für Kratzer, der sein Sommerspiel-Debüt 2016 mit einer Inszenierung von Nestroys „Talisman“ gab, wird es die 6. Regiearbeit sein. Andreas Baumgartner, der das Amt vom einstiegen Obmann (heute Ehrenobmann) Klaus Profunser übernommen hat, welcher über 30 Jahre die Rittner Sommerspiele geleitet und diese durch schwierige Zeiten geführt hat. Baumgartner hatte sein Debüt 1995, damals als Schlagzeuger in der „bairischen Komödie“ „Astutuli“ von Carl Orff, bevor er in den Bühnenbau wechselte. Dann, als neuer Obmann, erweiterte er die Bretter, die den Ritten bedeuten im Corona-Jahr 2020 um eine neue Spielstätte.
Salto.bz: Wie wurde die Auswahl des Jubiläumsstückes getroffen?
Alexander Kratzer: Das ist kein Zufall, dass es dieses Stück geworden ist. Andreas und ich haben gemeinsam mit dem Vorstand überlegt, was wir zu dieser 50-Jahr-Feier machen wollen. Es ist natürlich eine der klassischen, bekannten und beliebten Komödien. Das wollen wir natürlich auch bedienen, dass man zur Feierlichkeit auch gerne hingeht. Das ist ein Grund. Der zweite ist der, dass es in der „Pension Schöller“ sehr um schräge Figuren geht… Ich habe daraus eine Fassung gemacht, die sehr vom Original ausgeht, aber versuche da einen Bogen zu spannen auch ins heute und durch die vielen schrägen Vögel, die da vorkommen ist es auch möglich, dass man den einen oder die andere einbauen kann. Es wird damit auch kleine Gastauftritte geben bei denen wir uns gedacht haben, das ist vielleicht charmant, wenn so etwas zu 50 Jahren Rittner Sommerspiele vorkommt.
Sie haben die Stückfassung angesprochen. Wie war diese Arbeit für Sie? In einem Stück von 1890 wurde ganz anders als heute mit dem Thema psychische Gesundheit umgegangen. War da manches nicht mehr zeitgemäß?
Kratzer: Im Grunde ist es ein Stück, das mit politischer Unkorrektheit spielt. Das ist völlig klar. So funktioniert natürlich auch diese Komödie und es ist richtig, dass man gewisse Dinge schlichtweg so nicht mehr machen kann, die habe ich versucht zu vermeiden und auch weg zu lassen. Dennoch ist es auch so ein Stück, das sehr bekannt ist und fast den Hauch von einem Klassiker hat. Mir ist aufgefallen, dass, wenn ich sage ich inszeniere die „Pension Schöller“, dann haben Leute meistens sogar ein Zitat parat und deshalb gibt es klassische Figuren, die etwas aus der Zeit gefallen sind. Es gibt so Figuren wie den Bernhardy, einen Weltreisenden und Großwildjäger, oder auch den Major, wo man sich wünscht, dass es heute solche Menschen nicht mehr gibt. Ich habe sie aber dennoch belassen und habe versucht da so eine Art Klammer zu machen, bei diesen traditionellen Figuren. Ich denke, das würde nicht funktionieren, wenn man sie komplett wegstreicht, die erwartet sich das Publikum fast. Auf der anderen Seite habe ich neuere Deutungen von anderen Figuren gewagt, so dass diese etwa weiblich sind, wodurch sich andere Paarkonstellationen ergeben, sodass man das Alte noch spürt, aber neuere Deutungen durchspürt. Ich denke aber, das war dieses Stück nie - und das ist es bei uns schon gar nicht - dass man da mit Häme über bestimmte Menschen spricht. Es geht vielmehr darum, was passiert, wenn man mit einem Vorurteil auf andere Menschen zugeht. Das ist in der heutigen Zeit aktuell, denn das müssen nicht psychisch kranke Menschen sein, Vorurteile gibt es heute genug.
Herr Baumgartner, es ließe sich argumentieren, dass das Jubiläum im letzten Jahr war. Wie kam es da überhaupt zu einer Diskussion?
Andreas Baumgartner: Wir feiern die 50. Produktion heuer. Nimmt man das Gründungsjahr 1973 und 2023 dann ergibt das ja grafisch 50. Das wurde vielleicht etwas einseitig gesehen, beziehungsweise ist recht stark aus einer Richtung gekommen, wurde aber bald geklärt, dass das eigentlich so richtig ist, wie wir das heuer feiern wollen.
Gab es für euch einen besonderen Moment, als euch die Rittner Sommerspiele erreicht haben? Ich erinnere mich, dass, als ich 15 war, beim „Besuch der alten Dame“ bei einer Vorführung um das Wetter gebangt wurde und immer wieder wenn Liz Marmsoler als Claire einen Auftritt hatte, Donner zu hören war, was einen besonderen Effekt gab.
Baumgartner: Aus meiner Zeit, als ich ab 2006 als Neueinsteiger bei Technik und Bühnenbau dabei war, war das mit dem Wetter auch oft so, aber das war nur der eine Teil. Jetzt, wo ich mehr Verantwortung habe, da ist es natürlich viel intensiver geworden. Besondere Momente hatte eigentlich jedes Stück. Sicher war es auch als 2019 die Naturgewalt eines Sturms, der den Birnbaum in der Kommende gefällt hat ein besonderer Moment der Traurigkeit, der Herausforderung auch, wie man damit umgeht. Gerade in der letzten Zeit, wo ich intensiv mit Alexander Kratzer gearbeitet habe war auch besonders, dass wir den Rittner Sommerspielen auch künstlerisch eine neue Sprache gegeben haben.
Kratzer: Die Rittner Sommerspiele habe ich ja schon lange bevor ich am Ritten inszeniert habe kennengelernt. Das erste Mal, das mir vollkommen in Erinnerung geblieben ist, war „Die Frau im Auto“ mit Julia Gschnitzer, was 2005 war. Da war ich mit meiner Frau Irene Girkinger, zum ersten Mal auf Südtirol Ausflug und wir sind da hin, weil wir beide Julia Gschnitzer gut kennen. Das war einer der ersten Kontakte und mir ist die Arbeit sehr wichtig, weil ich merke, dass das für mich immer mehr zu einer Heimat wird.
Ein weiteres Highlight war für mich beim „Talisman“, meiner ersten Inszenierung, mit den Homies 4 Life zusammen zu arbeiten, weil mir das gefiel, dass man so lokal sein kann und trotzdem nach außen denkt und die Welt so mit nimmt. Aber auch letztes Jahr zählt dazu, im Steinbruch, am neuen Spielort, der ganz andere Möglichkeiten bietet, etwa für die Auftritte. Das ist dann so, wie im großen Haus zu inszenieren.
Wie geht es Ihnen dagegen mit der Kommende?
Kratzer: Ich freue mich heuer auch wieder auf den Raum. Das möchte ich auch sagen, es ist ja jetzt mein fünftes Mal in der Kommende, dass es dort immer ein wenig anders ist, obwohl die Kommende einen total starken Charakter hat und einem Stück auch von sich aus etwas gibt. Aber wie geht man damit um?
In der Kommende werden Regisseur und Kompanie vor bestimmte Herausforderungen gestellt: Der Platz ist, was er ist und es braucht kreative Lösungen für den Bühnenraum, wie auch für auf und Abtritte. Was hat Sie bei der Arbeit dort am meisten herausgefordert?
Kratzer: Es ist eigentlich ein sehr guter Theaterraum, was ich mir jedes Mal denke, wenn ich dort sitze. Mittlerweile gibt es auch gute Lösungen für die Beleuchtung, auch wenn es etwas schwierig ist, da man in die Luft kein Licht hängen kann. Man kann nur von der Seite, von hinten und von vorne beleuchten. Die größte Herausforderung ist aber - und ich denke, das merkt man nicht so - dass die Bühne eine große Breite hat, aber keine große Tiefe. Es ist recht schmal auf dieser Bühne und das ist nicht so einfach.
Das Stück heuer spielt in drei verschiedenen Innenräumen und da braucht es kreative Lösungen. Wir haben dieses Mal ja ein Zweierteam, das an der Bühne arbeitet, zum einen Zita Pichler, die dort schon viel gemacht hat und zum anderen Mirjam Falkensteiner, die letztes Jahr mit mir erstmals am Ritten gearbeitet hat, das finde ich eine spannende Mischung. Die haben da, mit einer Art Klappsystem eine gute Lösung gefunden, mit der sich die Räume darstellen lassen, aber wir haben uns auch für eine sehr offene Form entschieden, was die Auf- und Abtritte betrifft. Ich denke, die Kommende wird in diesem Stück sichtbarer sein, als sie es in anderen Stücken war, wir werden sie nicht so verbauen.
Wurde das Zusammenspiel von Laiendarstellern und Berufsschauspielern schwieriger, von dem was Sie beide beobachten konnten? Die Freilichttheater im Land haben ja doch mittlerweile eine gewisse Schnittmenge etwa zu den VBB…
Kratzer: Ich habe mich ja in letzter Zeit recht intensiv mit den Sommerspielen befasst, habe Interviews geführt mit Gründungsmitgliedern und Wegbegleiter:innen und irgendwo stellt sich mir ein Bild dar, dass die Geschichte der Rittner Sommerspiele fast parallel abläuft zur Professionalisierung des Theaters hierzulande im Allgemeinen. Man hat Anfang der 70er Jahre da recht schnell eine Mischung von Laien und Profis aufgebaut und man bedenke: Die Rittner Sommerspiele gibt es 50 Jahre, die VBB 30. Einer der Regisseure, Erich Innerebner, der hat das entschieden geprägt und 13 Mal dort inszeniert und war auch beteiligt an der Gründung der VBB. In dieser Zeit gab’s viele bei der Rai, bald entstand der Kontakt zum Tiroler Landestheater, dem Bayerischen Rundfunk und so weiter… Dass man immer wieder professionelle Kräfte dazu geholt hat, hat denke ich auch ausgestrahlt. Nicht nur nach Bozen, sondern ich denke auch in Richtung der anderen Stadttheater, die auch etwas jünger sind.
Das ist vielleicht im professionellen Theater nicht immer ganz so leicht, dass man Spaß bei der Arbeit hat, obwohl ich das für mich immer wieder versuche.
Deswegen gibt es diese Verbindung ja schon immer. Ich finde sie überhaupt nicht schwierig, sondern befruchtend. Wir haben Spielerinnen aus dem Laienbereich, die sehr viel und, finde ich, sehr gut spielen.
Ich erinnere mich, dass ich einmal eine Kollegin aus Deutschland engagiert habe, die ich sehr schätze. Sie war dann da in dieser für sie neuen Truppe und ich habe sie vorgestellt und wir kamen darauf, dass die Laien zum Teil mehr Stück gespielt haben als sie als professionelle Spielerin. Die haben eine wahnsinnige Erfahrung, auch wenn es nicht ihr Beruf ist und sie nicht diese Ausbildung haben. Ich habe das Gefühl, dass man sich da gegenseitig befruchtet. Für die Profis ist das schön: Da ist immer wieder diese Lust, die man spürt und deshalb ist das am Ritten denke ich so etwas besonderes, auch für mich. Es macht einfach Spaß und das ist schön. Das ist vielleicht im professionellen Theater nicht immer ganz so leicht, dass man Spaß bei der Arbeit hat, obwohl ich das für mich immer wieder versuche. Es gelingt vielleicht leichter mit Menschen, die mit einer wirklichen Lust zur Probe gehen.
Herr Baumgartner, wird man in den kommenden Jahren zwischen Kommende und Steinbruch pendeln, oder liebäugelt man vielleicht schon mit einer dritten Spielstätte?
Baumgartner: Ich kann von meiner Seite aus sagen, dass uns das in Sachen Marketing, aber auch für die künstlerische Entwicklung viel gebracht hat. Wir werden auch in Zukunft „Rittner Sommerspiele“ heißen und vielleicht noch andere Spielstätten am Ritten ins Auge fassen. Das kann ich mir gut vorstellen. Das hängt aber auch von der Weiterentwicklung im Vorstand und von der Führung ab, welche Richtung wir da in Zukunft gehen werden.
Sie kennen das Damoklesschwert Steuergesetzgebung und dritter Sektor...
Ist diese Führung aktuell im Wandel?
Baumgartner: Sie haben zuvor die Zusammenarbeit von Profis und Laien angesprochen und da haben wir im Vorstand aktuell ein ähnliches Phänomen. Sie kennen das Damoklesschwert Steuergesetzgebung und dritter Sektor, das ist ein Riesenproblem. Einen Verein führt man mittlerweile wie ein Unternehmen. Man braucht einen Steuerberater, braucht Berater für Sicherheitsfragen und Versicherungsthemen… Jemanden zu finden, der seiner Arbeit nachgeht und dann noch am Abend für zwei Stunden Buchhaltung für die Rittner Sommerspiele macht, das ist schon schwierig. Wir sind am überlegen, ob es ein anderes Modell als das Vereinsmodell gibt, mit dem man das semiprofessionell weiter führen kann. So ist es gar nicht mehr möglich, und sie werden das Thema auch kennen: Eine faire Bezahlung der Künstler:innen, beziehungsweise nicht bezahlbares Ehrenamt, was das schwierig macht. Der derzeitige Vorstand ist aber nicht im Umbruch, er etabliert sich als gutes Team und es gibt Neueinsteiger, die sich immer weiter einlesen in ihre Materie. Ich kann also schon versichern, dass es weiter gehen wird.
Was kann für Sie beide in der Vergangenheit bleiben? Was kann, nach 50 Jahren Rittner Sommerspiele verschwinden? Für mich persönlich ist es, dass immer wieder Figuren mit Sprachfehler für einen Lacher gut sein müssen…
Kratzer: Ich muss Sie warnen. Wenn ich in den nächsten Jahren noch da bin, dann nehme ich mir das zu Herzen. Sie wissen vielleicht…
Ich habe gesehen, dass uns ein „Nied von der Gnocke“ erwartet.
Kratzer: Das ist der berühmte Sprachfehler einer der Figuren, den kann ich leider nicht rausstreichen. Sie müssen das bitte mit Wohlwollen sehen. Was mich stört? Etwas, das man nicht verändern kann. Mitunter kann es sein, dass, wenn man nachts Lichtstimmungen programmiert, es sehr kalt wird. Ich denke, mein persönlicher Rekord waren vier Grad. Wenn ich dann im Sommer, bei vier Grad bei der Arbeit sitze, dann habe ich mich schon mal gefragt: „Warum macht man es dann nicht unten im Tal?“ (lacht)
Baumgartner: Bei mir geht es mehr in die organisatorische Richtung und da gibt es natürlich einiges, bei dem ich mir sage, das bräuchte es nicht mehr. Man wünscht sich, dass die Rahmenbedingungen ideal wären, dass man von Seiten der Öffentlichkeit und der Gastronomie mit uns zieht und das auch in der Kommende drin gut funktioniert. Alexander Kratzer hat mir aber auch gesagt: Jede Produktion hat ein Problem. Eine Krise kommt immer. Ganz große Probleme haben wir aber nicht. Wir sind da als Unternehmer in unseren Hauptjobs aber auch nicht so verwöhnt. Das nehmen wir schon auf uns, bevor wir starten. Was wir aber, wie gesagt nicht ändern können ist das Wetter. Dass wir, wie beim „Braven Soldaten Schwejk“ nur drei Aufführungen machen können, kann uns jedes Jahr passieren.
Theaterarbeit ist zu einem guten Teil unsichtbare Arbeit, was auf der Bühne davon zu sehen ist, ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Wenn Sie jemanden erwähnen müssten, dessen Beitrag in besonderer Weise unterschätzt wird, wer wäre das?
Kratzer: Da gäbe es natürlich viele, aber ich erwähne es jetzt mal, weil es ein wesentlicher Teil für mich persönlich, wie auch für die Gruppe ist: Die Regieassistenz. Ich bin als Regisseur bei jeder Probe anwesend, so auch die Regieassistenz, die Schauspielerinnen und Schauspieler sind nicht immer anwesend. Auch die ganzen Probenpläne und deren Kommunikation. Dann heißt Regieassistenz auch oft Ansprechpartner zu sein, bei Sorgen mit denen man nicht gleich zur Regie gehen möchte. Das wird, denke ich oft unterschätzt.
Baumgartner: Ich kann dem nur zustimmen, dass sie auch mir, als Produktionsleiter und Obmann viel Arbeit abnimmt, die größtenteils gar nicht an mich herankommt. Ich habe auch einige Mitarbeiterinnen, die das ganze Jahr an den Sommerspielen arbeiten. Blickt man auf die Proben, dann haben die Ende Mai begonnen und gehen durch bis zur Prämiere, natürlich mit kleinen Pausen. Aber der ganze Vorstand - Buchhaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Obmannschaft - die arbeiten das ganze Jahr. Für uns ist die Spielzeit vorbei, wenn die letzte Requisite an ihrem Platz ist. Und dann beginnt die ganze Bürokratie und die Abrechnung. Wir arbeiten dann durch bis Oktober und sind froh, ein paar Wochen nichts zu hören, man ist überlastet. Ende Oktober treffen wir schon die Stückauswahl und dann geht es los, erst mit ein, zwei Stunden die Woche und dann schaukelt es sich hoch. Aber der Vorstand macht es ja deshalb, weil wir brennen dafür und das geben wir weiter.
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