Cultura | Salto Weekend

Foto mit Bernhard

Ein frühes Dichterfoto mit dem Erfolgsautor Thomas Bernhard hat sich in Bozen erhalten. Eine private Marginalie zu seinem heutigen Todestag.
Wirt des Hotel Sonne im Gespräch mit Toni Bernhard
Foto: Martin Hanni

Auf der Rückseite des Fotos steht Sommer 1959. Auf den Auslöser hatte der Stiefvater von Thomas Bernhard gedrückt, der Friseur Emil Fabjan. Rechts neben Thomas Bernhard lächelt Christine Sartori in die Kamera, die ab Mitte der 1980er Jahre durch ihre Arbeit die literarische Entwicklung Südtirols wesentlich mitgeprägt hat und sich seit der Pensionierung mit anderen Helferinnen und Helfern ehrenamtlich in der Kleiderkammer der Vinzenzgemeinschaft in Bozen engagiert. 
Zum Foto mit dem berühmten Schriftsteller sind Christine Sartori nur wenige Auskünfte zu entlocken: „Er war schon eine Persönlichkeit, eine grantige Persönlichkeit, eine schwierige Persönlichkeit“, sagt sie lächelnd und erinnert an eine frühe Lesung des Dichters im Salzburger Tomaselli-Garten, bei der Bernhard Gedichte vortrug. Seine erste Veröffentlichung Mein Weltenstück – ebenfalls ein Gedicht –, war sieben Jahre vorher gewesen. Seine erste Buchpublikation, der Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle erschien im Jahr 1957, ein Jahr später In hora mortis und Unter dem Eisen des Mondes erschienen gleich zwei Gedichtbände. Für Lyrik – und insbesondere für Bernhards Lyrik – konnte sich Christine Sartori in diesen Jahren noch nicht begeistern, das sollte sich Anfang der 1990er Jahre schlagartig ändern, nachdem sie an der Seite von Alfred Gruber (und später Ferruccio Delle Cave) den Lyrikpreis Meran organisatorisch mitprägte. 
Für die beim Südtiroler Künstlerbund angesiedelte Dokumentationsstelle für Neuere Südtiroler Literatur hat sie zudem über mehrere Jahrzehnte Artikel, Interviews und Rezensionen zur Südtiroler Literatur gesammelt. Viele davon befinden sich mittlerweile im digitalisierten Bestand der Landesbibliothek Dr. Friedrich Tessmann, im sogenannten Literaturarchiv. Darin noch nicht registriert ist Sartoris Foto mit Thomas Bernhard, dabei hätte es – dank beider Protagonisten – durchaus literaturhistorischen Wert.
 


Dass sich Christine Sartoris und Thomas Bernhards Wege im fernen Jahr 1959 in der Salzburger Radetzkystraße 10 überhaupt kreuzten, liegt an Sartoris Freundschaft zu Bernhards Halbgeschwistern Susanne und Peter. Bernhard war in diesen Jahren bereits in Wien, absolvierte eine Gesangsausbildung und wohnte bei seinem Lebensmenschen, der um einige Jahrzehnte älteren Hedwig Stavianicek.
Es mag Zufall sein, dass die Lebenswege von Sartori und Bernhard Anfang der 1970er Jahre nach Südtirol führen, auch wenn sich die beiden hier nicht mehr begegnen sollten. Während Christine Sartori nach Südtirol zog und mit ihrem Mann und bald zwei Kindern eine Familie gründete, kam der mittlerweile mit dem Roman Frost und der Erzählung Amras berühmt gewordene Schriftsteller und angesagte Dramatiker mehrmals ins kleine Dorf Stilfs, raste mit seinem Wagen gerne die Stilfser Jochstraße hoch, oder schrieb im Hotel Sonne, wo er mehrmals abstieg, an den Erzählungen Midland in Stilfs und Nachricht aus Gomagoi, die beide im Februar 1971 bei Suhrkamp erschienen und Bernhard für zwei Lesungen in Bozen und Meran erneut anreisen lassen. 
 

Er hat mich zur Kenntnis genommen...


Zur Lesung im Bozner Waltherhaus am Montag 15. März 1971 im Rahmen des Akademischen Forums hielt der österreichische Kulturredakteur Hans Rochelt einführende Worte. Überliefert ist, dass die Besucheranzahl sehr überschaubar gewesen sein soll und der deshalb enttäuschte Schriftsteller nach seinem literarischen Vortrag im Eilschritt ins Hotel hetzte. „Er war im Hotel Laurin untergebracht“, weiß Christine Sartori von einer ihr zugetragenen Erinnerung, und dass Thomas Bernhard „erbost“ darüber gewesen sein soll, „dass sie im noblen Hotel auch nur Kästen mit Furnierholz gehabt hätten.“
Am 18. März las Bernhard im Meraner Kurhaus, im Lesesaal, und fuhr wenig später erneut nach Stilfs, hinterließ dem Bürgermeister seine Neuerscheinung und der Wirtin vom Hotel Sonne ein angeblich selbst verfasstes Schriftstück. Dieses soll – ob im Original, als Kopie (oder gar als Fälschung?) – im Vinschgau immer wieder auf- und untertauchen. Was es beinhaltet, bleibt – wie viel vom Innenleben des großen Autors –, ein Geheimnis.
Nochmal nachgehakt, worüber sich Christine Sartori damals, im Sommer 1959, wohl mit Bernhard ausgetauscht habe, gibt sich die Literaturliebhaberin zurückhaltend: „Wir haben wenig geredetseine Gedichte habe ich damals nicht wirklich verstanden.“ Als gute Freundin seiner Halbgeschwister, habe er die damals 22-Jährige schlicht und einfach „zur Kenntnis genommen.“ Immerhin, bei Bernhard war das nämlich keineswegs selbstverständlich.
Christine Sartoris Foto belegt jedenfalls, eine – wenn auch flüchtige – Begegnung mit einem der wichtigsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der lieber im kleinen Stilfs, als im großen Bozen oder im mondänen Meran weilte.