E-Voting: Chancen und Risiken
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Am 11. Februar 2025 stimmte der Südtiroler Landtag einstimmig einem Begehrensantrag der Südtiroler Freiheit zu, der elektronische Landtags- und Gemeindewahlen (E-Voting) ermöglichen soll. Die Einführung der elektronischen Stimmabgabe wirft jedoch zentrale Fragen bezüglich demokratischer Prinzipien, institutioneller Kontrollmechanismen und technologischer Machbarkeit auf. Befürworter sehen in E-Voting eine Modernisierung und Vereinfachung des Wahlprozesses, während Kritiker die potenziellen Risiken für Transparenz, Sicherheit und das Vertrauen in demokratische Prozesse betonen.
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Demokratische Grundprinzipien und E-Voting
Freie, geheime und faire Wahlen sind fundamentale Prinzipien in unseren Demokratien. Die Einführung von E-Voting berührt diese Prinzipien, was nicht leichtfertig ignoriert werden sollte. Ein zentraler Konflikt entsteht im Hinblick auf das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit. In der Wahlkabine kann jeder Mensch in Ruhe und ohne fremde Einflussnahme seine Stimme abgeben. Wenn jedoch die Stimmabgabe zuhause, etwa neben einem Partner, erfolgt, kann die Geheimhaltung und die Freiheit der Wahl nicht garantiert werden.
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Transparenz und Kontrolle
Bei analogen Wahlverfahren ist eine öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe und -auszählung möglich. So kann jeder nach der Wahl den Auszählungsprozess beobachten und gegebenenfalls hinterfragen. Dies ist bei E-Voting nicht der Fall. Der digitale Wahlprozess bleibt für die meisten Bürgerinnen und selbst für unabhängige Wahlbeobachter weitgehend intransparent. Während man bei einer Papierwahl vor Ort anwesend sein und den Prozess überwachen kann, ist es kaum möglich, ein digitales Wahlsystem angemessen zu kontrollieren. Ebenso ist eine wiederholte Auszählung bei einem digitalen System nicht möglich. Diese Intransparenz könnte das Vertrauen in den demokratischen Prozess erheblich beeinträchtigen, da Vertrauen eng mit der Nachvollziehbarkeit von Wahlen verknüpft ist. Ein System, das für die Mehrheit der Wähler*innen nicht nachvollziehbar ist, verliert das Vertrauen der Bevölkerung. Wir sahen in der Coronapandemie wie schnell Vertrauen in politische Institutionen verloren gehen oder auch bewusst zerstört werden kann.
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Steigerung der Wahlbeteiligung?
Befürworter von E-Voting argumentieren, dass digitale Wahlen die Wahlbeteiligung, besonders unter jungen Menschen und im Ausland lebenden Wählern, steigern könnten. Empirische Studien zeigen jedoch, dass E-Voting oft bestehende Wahlgewohnheiten verlagern, anstatt neue Wählergruppen zu mobilisieren. In der Landtagsdiskussion wurde die Briefwahl kritisiert, insbesondere vor dem Hintergrund von rund 1.500 Briefwahlstimmen, die erst nach der Wahl ankamen, sowie 8.000 Briefen, die gar nicht an die wahlberechtigten Personen zugestellt wurden, z.B. aufgrund veralteter Adressen. Eine Optimierung der bestehenden Wahlverfahren könnte hier eine bessere Lösung darstellen.
Ein weiteres Problem könnte entstehen, wenn aufgrund der Einführung von E-Voting Wahllokale geschlossen oder deren Öffnungszeiten verkürzt werden. Dies würde die Teilnahme an Wahlen von den technischen Fähigkeiten der Bürger*innen abhängig machen und könnte so neue Formen der Exklusion schaffen. -
Die Bedeutung der physischen Wahlteilnahme
Wählen ist nicht nur ein individueller Akt, sondern auch ein kollektives Ritual demokratischer Praxis. Der Gang zur Wahlurne und die physische Teilnahme am Wahlprozess stärken das Bewusstsein für politische Verantwortung und gesellschaftliche Teilhabe. E-Voting hingegen reduziert den Wahlakt auf eine rein technologische Interaktion, ähnlich dem Online-Banking oder dem Einkauf im Internet. Dies könnte langfristig das Verständnis von Wahlen als gesellschaftlichem Ereignis schwächen und die Bedeutung der Wahl vermindern. Zudem entfällt der soziale Druck, der in Wahllokalen dazu beiträgt, dass Bürger*innen ihr Wahlrecht tatsächlich wahrnehmen. Ohne diesen äußeren Anreiz könnte die Wahlbeteiligung sogar sinken.
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Fazit
Die Einführung von E-Voting ist mehr als eine technische Frage – sie betrifft grundlegende Prinzipien demokratischer Ordnung. Zwar bieten technologische Fortschritte neue Möglichkeiten, doch müssen diese mit den Prinzipien politischer Teilhabe und institutioneller Kontrolle in Einklang stehen. Angesichts der bestehenden Risiken stellt sich die Frage, ob die potenziellen Vorteile von E-Voting die strukturellen Gefahren überwiegen. Eine Einführung ohne umfassende Sicherheitsgarantien und institutionelle Kontrollmechanismen könnte das Vertrauen in demokratische Prozesse nachhaltig erschüttern. Statt voreilig digitale Wahlverfahren zu implementieren, sollte der Fokus darauf liegen, bestehende Wahlsysteme sicherer, transparenter und inklusiver zu gestalten. Nur so kann gewährleistet werden, dass technologische Innovation nicht auf Kosten demokratischer Prinzipien geht – besonders vor dem Hintergrund der digitalen Kompetenzen in unserer Landesverwaltung.