Politica | Interview
„Politik fast wie Religion“
Foto: Privat
salto.bz: Frau Hawlin, wie beurteilen Sie die vorläufigen Ergebnisse der Zwischenwahlen in den USA für die zukünftige Regierungsarbeit unter US-Präsident Joe Biden von den Demokraten?
Alexandra Hawlin: Im Moment ist noch alles offen, man kann noch nicht sagen, wer die Kontrolle im US-Kongress erlangt. Was man aber sagen kann, ist, dass die ‚rote Welle‘, also ein überragender Sieg der Republikaner, unerwartet ausgeblieben ist. Die Zwischenwahlen werden als Zeugnis für den amtierenden Präsidenten in der Halbzeit seiner Legislaturperiode gewertet und traditionell gewinnt immer die Partei, die nicht in der Regierung ist, Sitze in den beiden Kammern dazu. Im Moment ist das Rennen um den Senat aber noch sehr knapp. Im Repräsentantenhaus (neben dem Senat die zweite Kammer des Kongresses, Anmerkung d. R.) haben die Republikaner im Moment einen Vorsprung, aber auch da ist noch alles möglich.Was man über Joe Biden sagen kann, ist, dass sich viele US-Amerikanerinnen und Amerikaner laut Umfragen wünschen, dass Joe Biden 2024 nicht mehr als Präsidentschaftskandidat antritt.
Ron DeSantis könnte 2024 der größte Konkurrent für Trump in den Vorwahlen der Republikaner für die Präsidentschaftswahl sein.
Also konnten die Prognosen für die Zwischenwahlen nicht bestätigt werden.
Genau, in den USA hat sich mit dieser Wahl wieder gezeigt, dass man sich nicht ganz auf die Prognosen verlassen kann. Ein Grund dafür ist, dass es dieses Mal viele Neuwählerinnen und -wähler gibt, deren Abstimmungsverhalten noch unbekannt war.
Was sagen die vorläufigen Wahlergebnisse über die Beliebtheitswerte von Ex-US-Präsident Donald Trump von den Republikanern aus?
Zahlreiche Kandidat:innen der Republikaner wurden von Donald Trump unterstützt und man fragte sich vor der Wahl, ob seine Unterstützung den Republikanern mehr nützen oder schaden wird. Nun haben viele dieser Kandidat:innen ihre Rennen verloren, zum Beispiel in Michigan und Pennsylvania. Laut Medienberichten ist Trump gerade über das Ergebnis außer sich. Vor allem die sensationelle Wiederwahl des republikanischen Gouverneurs von Florida, Ron DeSantis, spielt Trump nicht unbedingt in die Karten. Denn er könnte 2024 der größte Konkurrent für Trump in den Vorwahlen der Republikaner für die Präsidentschaftswahl sein. Sollte Trump überhaupt kandidieren. Diesen Dienstag, am 15. November, soll es von ihm eine große Ankündigung geben. Man hat vermutet, dass er seine Präsidentschaftskandidatur verkündet, aber nach diesem Ergebnis ist alles offen und ich bin sehr gespannt.
Man hat so starke Ansichten, dass man dem, der anders denkt, gar nicht mehr zuhört und nicht mehr mit ihm spricht.
Wieso dauert die Auszählung der Stimmen für die Zwischenwahlen so lange?
Dass die Auszählung der Stimmen für die Zwischenwahlen so lange dauert, bringt immer wieder Misstrauen, vor allem bei denen, die die Lüge von Trump glauben, dass die Wahl 2020 manipuliert wurde. Wofür es übrigens bis heute keine Beweise gibt.
Es gibt viele, ganz plausible Gründe, warum die Auszählung so lange dauert. Ein Grund dafür ist, dass die Rennen teils sehr, sehr knapp sind. Man kann also keine Prognose machen und muss warten, bis wirklich jede einzelne Stimme gezählt ist. Das ist zum Beispiel in Arizona und Nevada der Fall. Ein anderer Grund ist, wenn wir beim Beispiel Arizona bleiben, dass dort erst nach dem 8. November mit der Auszählung der Briefwahl begonnen wird. Dabei müssen Unterschriften und Identität kontrolliert werden. Und: Wer seinen Ausweis zur Stimmabgabe nicht mitgebracht hat, hat in Arizona fünf Tage Zeit, das nachzuholen. In anderen Bundesstaaten können Briefwahlstimmen auch noch Tage nach dem Wahltag eintreffen, weil dort der Poststempel gilt. Allein aufgrund dieser Regelungen kann man nicht erwarten, dass schon am Wahlabend Ergebnisse vorliegen.
Wann kann mit dem endgültigen Ergebnis gerechnet werden?
Noch fehlen in drei Bundesstaaten die Ergebnisse, in Nevada, Arizona und Georgia. Letzterer hat die Besonderheit, dass der Gewinner mindestens 50 Prozent der abgegebenen Stimmen braucht. Da beide Spitzenkandidaten für einen Senatssitz das nicht erreichten, geht es in eine Stichwahl, die erst am 6. Dezember stattfinden wird. Also könnte es am Ende auf Georgia ankommen, wie die Mehrheiten im Kongress ausfallen. Es sei denn, die Demokraten gewinnen beide Senatssitze, in Arizona und Nevada, dann haben wir schon vor Dezember ein Ergebnis.
Die Demokratie in Amerika ist aus unterschiedlichen Gründen in Gefahr.
Sie sind vor den Zwischenwahlen quer durch die US-Bundesstaaten gereist. Wie war die Stimmung?
Ich bin auf Menschen getroffen, die aufgeschlossen und freundlich waren, egal welche Partei sie unterstützen. Es freute sie, dass sich die deutsche und europäische Presse für die USA interessiert. Man kann mit jedem Gespräche führen, aber es scheint so, dass man entweder Demokrat oder Republikaner ist und es gibt oft nichts mehr dazwischen. Politik ist dort fast wie eine Religion. Man hat so starke Ansichten, dass man dem, der anders denkt, gar nicht mehr zuhört und nicht mehr mit ihm spricht. Es gibt beispielsweise sehr unterschiedliche Ansichten darüber, ob in den Schulen über die Geschichte der Sklaverei, über Rassismus oder über Transgender und Homosexualität unterrichtet wird. Ich habe bei meiner Reise auch gemerkt, dass die Menschen wegen der Zwischenwahlen nervös waren.
Wieso sind die Zwischenwahlen für die Demokratie der USA so wichtig?
Die Menschen, die jetzt gewählt werden, entscheiden darüber, wie die Präsidentschaftswahl 2024 ablaufen wird. Insbesondere sind das die Gouverneure der Bundesstaaten und die sogenannten Secretaries of State. Wenn jetzt jene an die Macht kommen, die jeden Sieg der Demokraten als Manipulation darstellen und an Trumps Lüge der gestohlenen Wahl glauben, dann ist das sehr bedenklich und gefährlich.
Wie kann diese Spaltung zwischen Republikanern und Demokraten in der Gesellschaft erklärt werden?
Ich traue mir hier nicht zu, eine Diagnose zu stellen, vor allem, weil ich erst seit sechs Monaten im Land bin. Aber die Demokratie in Amerika ist aus unterschiedlichen Gründen in Gefahr, wie mir kürzlich der Politikwissenschaftler Yascha Mounk in einem Interview erklärte. Einer der Gründe ist die hohe Inflation und die Erkenntnis, dass es keinen wirtschaftlichen Aufschwung gibt, wie ihn die Generationen zuvor erlebt haben. Das frustriert die Menschen. Ein anderer Aspekt sind die sozialen Medien. Denn auf der eigenen Instagram- oder Facebookseite wird nur das reingespült, was dem ähnlich ist, was bereits mit ‚Gefällt mir‘ markiert wurde und dem eigenen Weltbild entspricht. So lebt jeder in seiner eigenen Realität. Ein weiterer von Mounk genannter Punkt ist, dass manche Medien und die Politik oft auf Menschen herabschauen. Da muss man sich an die eigne Nase fassen und sich darum bemühen, Menschen in ihren Ängsten und Sorgen ernst zu nehmen, und auch ihre Kritik ernst nehmen. Zumindest ist das mein Anspruch als Journalistin.
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Die Zukunft wird "auch der
Die Zukunft wird "auch der rabiaten Trump-Sekte" erhebliche Einschrängungen abverlangen, wenn die Welt nicht durch die Klima-Krise groß-räumig für die landwirtschaftliche Produktion ausfallen und damit auch kaum mehr bewohnbar werden soll!