Cultura | Salto Afternoon

Kann Spuren von Erinnerung enthalten

„Spuren der Erinnerung“ ist der Titel der neuen Doppelschau von Petra Polli und Werner Gasser in der Festung Franzensfeste. Man erinnert sich etwas an der Festung vorbei.
Petra Polli
Foto: Privat
Man spricht vom Krieg in Europa. Heinrich Schwazer fragt in seiner Eröffnungsrede, ob wir für diesen eine Sprache haben, ob wir uns nach 75 Jahren Frieden und Aufschwung vielleicht nur mittels fremder Erfahrungen darüber unterhalten können. Hat die Festung Franzensfeste auch „militärische Erinnerungen“, so war sie doch nie in kriegerische Handlungen verwickelt. Ein Spannungsfeld also, das interessant zu erforschen gewesen wäre.
Persönlich schade finde ich also, dass man sich wenig Spannungen mit dem Ausstellungsraum aussetzt. Ist bei den großen zeitgenössischen Perspektiven wie „50x50x50“ immer ein Kampf mit den räumlichen Gegebenheiten, der Witterung und der Masse der historischen Anlagen zu spüren, zeichnet „Spuren der Erinnerung“ ein wenig den Weg geringsten Widerstands. Statt sich gegen oder mit der Festung zu erinnern, macht man Kunst zur Erinnerung an und für sich.
 
 
Die Künstler haben im Zeitraum eines Jahres Werke geschaffen, die neben den Grafitis älteren und jüngeren Datums stehen und selten im Dialog stehen. Das wahrscheinlich erste Werk, welches die Besucher der Franzensfeste sehen werden ist von Werner Gasser: Auf 300 Quadratmeter Innenraum verteilt der Künstler 250 Kilogramm Borotalco; olfaktorisch getriggerte Kindheitserinnerung vorprogrammiert. „P u : d ɐ“ ist der Nullzustand der Erinnerung, das unbeschriebene Blatt, ein schmaler Steg führt ein Stück weit in den Raum, lässt einen den Umfang nur erahnen, ohne dass die eigene Präsenz Spuren in der Schneefläche hinterließe.
 
 
Im ersten Raum der eigentlichen Ausstellung Zerrspiegel, Metronom und Galinstan, Fotografien von Stasi-Akten und künstliche Haut. Der Zerrspiegel steht für die Verzerrung von Erinnerung und die Gegenwart, ein Medium, das (unzuverlässig) abbildet und vergisst. Das Metronom verweist auf den Umstand, dass aus Sicht unseres Hirns die Gegenwart eine Dauer von drei Sekunden aufweist. Galinstan, eine ungiftige Alternative zu Quecksilber „erinnert“ sich als fluides Medium an die Temperatur. Spezieller sind die, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer entstandenen Akten-Bündel, die keinen Eingang ins Archiv fanden und die gerahmte künstliche Haut, welche Tattoo Künstlern und Medizinern als Übungsgrundlage dient.
Im nächsten Raum mit der Videoarbeit „Beyond the Time“ die Erinnerung an Andernorts: Der Künstler dokumentierte einen Raum Villa Freischütz in Meran-Obermais 2016 im Übergang zwischen Privathaus im Staubmantel der Vergessenheit zur Museumsstruktur.
Im dritten und letzten von Gasser bespielten Raum abermals Tabula Rasa, wieder ein Werk von 2016: „Disapearing into the blind - Erinnerung als Landschaft“ beruht autobiografisch auf Erfahrungen, die der Künstler im Lauf von drei Jahren als Pflegeassistent in Berlin mit einem Patienten gemacht hatte, der nach einem Autounfall und dem Erwachen aus dem Koma seine Erinnerung verloren hatte und in Folge versuchte, diese in Tagebüchern festzuhalten. Die Bilder, welches diesen Prozess in Landschaften übersetzen umgeben den Ausstellungsbesucher nach allen Seiten hin. Die dunkelsten Stellen von Zeichnungen von Felsformationen aus dem hintersten Passeiertal überträgt Gasser in einem zweiten Schritt mit Photoshop auf eine weiße Bildfläche, wodurch klaffende Lücken und Kontrast entsteht. Ein Werk, das Eindruck macht. „Enzyklopädie des Vergessens“, Bündel zusammengeschnürter weißer Blätter ist die logisch-extreme Fortführung der „Erinnerung als Landschaft“ und zeigt mit sechs Jahren Distanz die Rückkehr zum Nullzustand. Nach draußen ans Tageslicht mit Blick auf den Stausee der Architektonische Reset vor der Künstlerin.
 

Neon und Hochglanz

 
Petra Polli erinnert sich anders: Durch ihre Werke zieht sich ein klarer Faden, die Räume gehen ineinander über, das Gedächtnis ist nicht episodisch. Zur Begrüßung ein Objekt, das die zwei den meisten Werken gemeinsamen Elemente vereint: Mehrere zerknautschte Metallobjekte vom Schrottplatz hat die Künstlerin mit Metallack veredelt und in den Kontext Ausstellung gerückt. Weiters verziert mit einer Neonröhre, dem zweiten Element, das Bewegung versinnbildlicht.
Im nächsten Raum eine großformatige Arbeit, ein in Metallettern gegossenes Graffito von 2010, das mit dem Cäsar Code (a wird d, b wird e und so weiter) chiffriert das Wort Klimagipfel schreibt. Mit Code und der Graffiti-Ästhetik passt es in die Räume an deren Wänden sich kleine und größere, Kritzeleien älteren und jüngeren Datums finden.
Im nächsten Raum diverse Hochglanzobjekte aus der Reihe „Gelebte Spuren“ vom Schrotplatz und an den Wänden Teile der Serie „Fragmente“, die mit Acryl, Lack und Papier auf Leinwand zurück zum Graffiti greift, welches Polli seit ihrer Studienzeit beschäftigt. Die Bilder sind lebhaft, unruhig und poppig, verschaffen mehr den Eindruck aus einer Wand im öffentlichen Raum geschnitten zu sein, als selbe abzubilden.
 
 
Im oberen Stock das Medium der Erinnerung schlechthin: Licht. Mit Neonröhren hat Petra Polli die mithilfe einer Fahrrad-App aufgezeichneten Bewegungsprofile in Formen übersetzt, die zwischen reeller Bewegung und virtuellem Raum junge Erinnerung beschreiben: Vier Monate Tagesbewegungen in der Feste stehen rund 280 Jahren Geschichte gegenüber. Im nächsten Raum sieben Metallskulpturen deren Umfang in Relation mit den zurückgelegten Strecken der Festungs-Mittarbeiter steht und den weichen Kurven der Röhren scharfe Kanten gegenübersetzt. Den Abschluss der Datenauswertung machen dann eine Unordnung von LED Tickern, die in Worten noch einmal die Daten aufgreifen und sie in eine dritte Sprache übersetzen.
 
 
Die künstlerischen Sprachen, welche beide Künstler für die Abbildung von Erinnerung finden, sind durchaus spannend. Potential bei der Interaktion und Aufbereitung dessen, woran sich der Ausstellungsort erinnert, hat man aber doch vergeben. Man hat kein gegen und kein über die Festung gefunden, es wurde eine Ausstellung die auch im klassischen White Cube funktionieren würde.