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Trauminspektor Freud

Als Regisseur und Autor ist Stefano Massini von den Bühnen Südtirols kaum wegzudenken. Heute und morgen ist er als Schauspieler in „L’interpretazione dei sogni“ zu sehen.
„L’interpretazione dei sogni“
Foto: Filippo Manzini/Teatro Stabile di Bolzano
Diese Gelegenheit ließen sich viele bei der Südtirol-Premiere nicht nehmen, die Vorstellung im großen Saal des Stadttheaters war restlos ausverkauft. Massini, der mit „L’interpretatore dei sogni“ (Mondadori, 2017) Freud bereits einen Roman widmete, verschrieb sich den Themen Träume und Psychoanalyse hier als Autor und Rezipient eines Theatermonologs von fast zwei Stunden Länge. Bereits als sich der Vorhang öffnete, war der Stirnschweiss Massinis im heißen Bühnenlicht aus der ersten Reihe zu sehen, doch trotz lediglich kurzer Pausen zwischen „Traumsequenzen“ gelang es ihm den Spannungsbogen aufrecht zu halten. Es wäre ein Kraftakt für jeden Schauspieler gewesen, Massinis Darbietung war dabei kraftvoll und fand auf mehreren Ebenen - traumhaften und wirklichen - statt.
Es ist zu unterstreichen, dass, wenngleich man frei nach und inspiriert von Freuds Schriften spielt, hier eine fiktive Version Sigmund Freuds auf der Bühne erarbeitet wird, weniger Wissenschaftler und zu fast gleichen Teilen auch noch Kommissar und Künstler. Das assoziative, an Metaphern reiche Spiel, das „von Mandarinen in China spricht und Preußen meint“ geht über die Wissenschaftlichkeit Freuds hinaus. Zum Glück: Für zwei Stunden hätte man sonst wohl nicht die Aufmerksamkeit des Publikums halten können.
 
 
Zu Beginn des Stückes, welches große Mengen von Kunstnebel und drei kostümierte Musiker (Posaune und Synthesizer Saverio Zacchei, Gitarren Damiano Terzoni, Geige Rachele Innocenti, Musik von Enrico Fink) stimmungsvoll  einleiten, lernen wir Massinis Freud - im Jahr 1891, mit 35 Jahren - kennen, am Anfang seiner Reise ins Unterbewusste. Während wir zwei Träume später - jenem einer jungen Haushälterin und einem Freuds selbst - einen souveräneren Freud antreffen, ist er hier noch von Unsicherheiten bestimmt. Auch wird zu Beginn die dramaturgische Entscheidung getroffen, diese beiden Fälle so zu erzählen, dass dem Publikum nicht alle Bausteine zur eigenständigen Lösung gegeben werden: Erklärungen und Aufschlüsselungen werden vom brillanten Dr. Freud ad hoc aus dem Hut gezogen. Wen das bei Krimis wie bei der Miniserie „Sherlock“ der BBC geärgert hat, der mag hier eingangs ein ähnliches Gefühl verspüren.
Der Bausatz zum „mitknobeln“ im weiteren Verlauf des Abends präsentiert sich allerdings vollständiger, nie banal, und wer um die Ecke denkt hat vielfach die Chance der Lösung der Traumfälle als involvierter Betrachter zu folgen. Die Träume haben, sobald sie erzählt werden, eine grafische Entsprechung im Bühnenraum, der Projektionen (meist in Form der Zeichnungen von Walter Sardonini) hinter einem halbtransparenten Auge an der Bühnenrückwand (Bühnenbild von Marco Rossi) entstehen lässt. Ja, Massini lässt es sich nicht nehmen einmal im Laufe des Abends die Ikonographie der James Bond Einleitung nachzustellen und durch dieses Auge Richtung Publikum zu blicken, die Hauptfunktion des Elements ist es allerdings einen stereoskopischen 3D-Effekt zu erzeugen.
Und wo wir schon mal bei der Tiefe sind: Die Bühne wird räumlich von hinter dem rückwändigen Element bis an den vorderen Rand genutzt, am häufigsten mit nur einem Schritt nach vorne oder zurück, um, kombiniert mit einem Lichtwechsel (Licht von Alfredo Piras) zu markieren, wann wir uns in einem der Patiententräume befinden und wo Sigmund Freuds Analyse beginnt. Am vorderen Bühnenrand in besonderer Weise, aber auch auf mittlere Distanz wendet sich Massini dabei mit gewisser Regelmäßigkeit direkt an sein Publikum, macht die Stücksituation damit durchlässig und gibt Fragen und Denkanstöße weiter.
Grundzüge der Traumanalyse kann man aus dem Stück lernen, in didaktische Untiefen begibt man sich nicht. Während wir allgemein einem chronologischen Verlauf folgen, bis Freud Anerkennung auf dem von ihm mitbegründeten Gebiet findet, gibt es doch auch zweimal prominente Rückblenden in die Kindheit von Sigismund Schlomo Freud, einmal in der ersten Hälfte des Abends, wo anhand einer kindlichen Hühner-Phobie, nach dem Beinahe-Ersticken eines Klassenkameraden an einem Hühnerknochen, der Unterschied zwischen Ängsten und Phobien ausgearbeitet wird, das andere Mal zum Abschluss.
 
 
Das Ende, von Massini selbst als letztes Kapitel angekündigt, ist dann recht knapp, auch durch die folgerichtige Entscheidung für den letzten Traum keine Erklärung und Analyse der einzelnen Elemente vorzunehmen, denn eine gewisse Deutungsoffenheit führt da wie dort - im Traum und im Theater - zu weiterführenden Prozessen. So wurde zum Teil draußen, vor den Türen des Stadttheaters diskutiert, wofür der Junge in einer Pfütze steht, der das letzte assoziationsoffene Bild des Abends ist. Und ja, auch das muss ich gestehen: Als jemand, der sich selten an seine Träume erinnert, hat mich das Stück in den Schlaf hinein begleitet. Auf die historische Hieb- und Stichfestigkeit der Erzählung mag man sich in den Details, wo die künstlerische Freiheit greift nicht verlassen, aber Stefano Massinis Trauminspektor Freud wird auf der Bühne eine lebendige, greifbare Figur, die unterhält und Träume und Gedanken provoziert.