"Wir haben noch einen langen Weg vor uns"
Zwei Wochen Sonderurlaub für die eigene Hochzeit: Was für (fast alle) Angestellten des Sanitätsbetriebs eine Selbstverständlichkeit ist, dafür musste Christian Wieser jahrelang kämpfen. Der 43-jährige Psychologe aus Brixen hatte 2012 in Berlin seine Lebenspartnerschaft mit einem österreichischen Schauspieler zivilrechtlich anerkennen lassen. Sein Arbeitgeber weigerte sich jedoch lange, ihm dafür den im Fall von Eheschließungen vorgesehenen Sonderurlaub zuzugestehen. Dass man im Gesundheitsbezirk Brixen nun dennoch einlenkte, hat Wieser auch seinem Anwalt zu verdanken: Michele Giarratano, Lebenspartner des PD-Senators Sergio Lo Giudice, mit dem er einen gemeinsamen Sohn hat, sowie Begründer der Anwälteplattform Gay Lex.
Herr Giarratano, wie haben Sie es geschafft den Südtiroler Sanitätsbetrieb dazu zu bewegen, einem schwulen Angestellten letztendlich doch noch freiwillig Hochzeitsurlaub zu gewähren?
Michele Giarratano: Das war wirklich kein leichtes Unterfangen und erforderte alles in allem vier Jahre Arbeit. Wir haben in vielen Anläufen versucht, eine Übereinkunft zu finden, aber von Seiten des Sanitätsbetriebs in Brixen wurde lange Zeit nur gemauert. Dass sich das schließlich doch noch geändert hat, ist meiner Einschätzung nach zwei Umständen zu verdanken. Erstens haben wir beim Landesgericht Bozen einen Arbeitsprozess wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz angestrengt – unter Berufung auf Artikel 4 des Legislativdekrets Nr. 216/2003, mit dem die europäische Richtlinie 78/2000 umgesetzt worden war. Das wurde vom Gericht auch angenommen und der Prozess ist bereits gelaufen.
Und der zweite Grund?
Ich denke, dass auch die politische Diskussion der vergangenen Monate rund um das Gesetz für die Lebenspartnerschaften zum Umdenken beigetragen hat. In jedem Fall hat man sich nun beim Sanitätsbetrieb entschlossen, uns Recht zu geben ohne den Ausgang des Prozesses abzuwarten. Obwohl wir wirklich gute Chancen hatten, ihn zu gewinnen. Denn immerhin lag hier ein klarer Fall von Ungleichbehandlung eines Arbeitnehmers aufgrund seiner Homosexualität vor. Und man kann beobachten, dass die Gerichte diesen Themen gegenüber immer aufgeschlossener werden.
Ihr Durchbruch in dem Fall fand italienweit Widerhall. Geht es hier um zwei Wochen Extra-Urlaub oder um einen wichtigen Präzedenzfall im Kampf gegen die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT)?
Wir hatten auch schon andere Fälle in Italien, in denen im Fall gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften solche Urlaube zugestanden wurden. Bisher waren das aber fast ausschließlich private bzw. halböffentliche Unternehmen. Wenn ein öffentlicher Betrieb in der Größe des Sanitätsbetriebs deshalb eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft gleich behandelt, ist das ein sehr wichtiges Signal. Vor allem solange es kein Gesetz gibt, das garantiert, dass diese Gleichbehandlung selbstverständlich ist.
Sie sind Vorsitzender von Gay Lex. Was genau macht diese Plattform?
Wir sind zwei Kollegen, die sich nun seit bereits gut zehn Jahren Fällen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender widmen. Zuerst im Rahmen des Rechtsdienstes von Archigay, dann haben wir diese Initiative gestartet. Es geht im Wesentlichen um ein Netzwerk aus Anwälten, die sich auf LGBT-Rechte spezialisiert haben. Das heißt Betroffene sind bei uns sicher, auf aufgeschlossene Anwälte zu treffen, die Expertise für ihre Fälle mitbringen. Wir haben genug zu tun und unsere Fälle landen auch immer wieder in der nationalen Presse, wie die Anzeige gegen Roberto Formigoni oder den Lega-Abgeordneten Giovanni De Paoli ...
... der gemeint hat, wenn er einen homosexuellen Sohn hätte, würde er ihn im Ofen verbrennen... Würden Sie sagen, auch dank Ihrer Arbeit bewegt sich langsam doch etwas?
Ja, es bewegt sich etwas, aber schlimm ist, dass dies immer noch vor Gericht erstritten werden muss. Etwas bewegen sollte sich aber vielmehr dank eines Gesetzes, dank festgeschriebener Rechte, die wir noch immer nicht haben.
Immerhin boxte Premier Matteo Renzi Ende Februar den umstrittenen Gesetzesentwurf zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften durch den Senat. Ist das kein erster Schritt - auch wenn die Abgeordnetenkammer noch zustimmen muss?
Eben, ich möchte schon unterstreichen, dass wir noch kein Gesetz haben und nicht wissen, ob es letztendlich durchgeht. Selbst wenn, geht es hier aber nur um die Lebenspartnerschaften. Beim Gesetz gegen Homophobie und Transphobie geht dagegen im Senat seit zwei Jahren nichts weiter.
Auch die Adoptionen müssen noch geregelt werden...
Ja, die Adoptionen wurden aus dem Gesetzesentwurf zu den Lebenspartnerschaften ausgeklammert. Sagen wir, es liegt wirklich noch viel Arbeit vor uns.
Michele Giarratano mit Sohn Luca: "Es ist auch ein Kampf für all jene, die nicht so viel Sichtbarkeit haben."
Auch Frauen waren noch vor wenigen Jahrzehnten gesetzlich klar gegenüber Männern diskriminiert. Sehen Sie in Ihren Kampf Parallelen zu jenem der Feministinnen?
Die feministische Bewegung war sicher Vorreiterin vieler Bürgerrechtsbewegungen. Es gab und gibt auch viele Berührungspunkt mit der Schwulen-und-Lesben-Bewegung, dank denen viel erreicht werden konnte. Ich sehe aber noch viel mehr Parallelen unserer Bemühungen zum Kampf der Afroamerikaner in den USA der Sechzigerjahre. Die Apartheid, die lesbische und schwule Menschen ertragen mussten und müssen, ähnelt meiner Einschätzung nach viel mehr diesen Lebensbedingungen. Wenn wir deshalb in 40 Jahren an das Verbot für Männer zurückdenken werden, zu heiraten oder gemeinsam ein Kind zu haben, wird uns das genauso unvorstellbar vorkommen wie uns mittlerweile ein Eheverbot zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau oder umgekehrt erscheinen würde.
Es braucht aber auch Vorreiter wie Sie, die öffentlich vorleben was andere immer noch versteckt leben. Ihre Hochzeit mit dem PD-Politiker Sergio Lo Giudice in Oslo hat breite mediale Beachtung gefunden. Dann folgte noch ein gemeinsamer Sohn, der Ihnen als biologischen Vater die Bezeichnung „mammo“ eingebracht hat. Wie lebt es sich als Regenbogenfamilie in Italien?
Ich muss vorausschicken, dass ich sicher optimale Bedingungen habe. Ich lebe mit meinem Mann und unserem Sohn in Bologna, in einem sehr offenen Umfeld. Deshalb haben wir wohl auch nie wirklich große Probleme gehabt. Doch insgesamt ist Italien sicher extrem rückständig, weshalb meine positiven Erfahrungen keineswegs repräsentativ sind. Solange es keine gesetzlichen Regelungen gibt, haben schwule und lesbische Paare einfach nicht dieselbe Würde.
Haben Sie dafür ein praktisches Beispiel?
Ich gebe Ihnen ein ganz banales Beispiel: Wir haben unseren Sohn hier in Bologna in eine Kinderkrippe eingeschrieben und wurden beide problemlos als Elternteile akzeptiert. Doch nur, weil die Gemeinde beschlossen hat, dass dies hier möglich ist. In jeder anderen italienischen Stadt bräuchte mein Mann eine Vollmacht, um unser Kind abzuholen. Das mag vielleicht lächerlich erscheinen, aber in der täglichen Realität gibt es aufgrund der fehlenden gesetzlichen Gleichstellung viele frustrierende Erlebnisse. Und wirklich schlimm würde es, wenn ich sterben würde, da er nicht als legaler Elternteil anerkannt ist und ihm das Kind dann genommen werden könnte. Es ist wirklich schwierig, in einer Situation zu leben, in dem man vom Staat nicht geschützt wird. In unserem Fall nicht so sehr für mich, sondern vor allem für meinen Sohn. Denn er hat kein Anrecht auf den selben Schutz wie alle anderen Minderjährigen in diesem Land.
Ist es nicht auch anstrengend, mit seinem Privatleben so in der Öffentlichkeit zu stehen?
Wir sind in gewisser Weise zu dieser Sichtbarkeit gezwungen, weil mein Mann Politiker ist. Doch es war auch wirklich eine bewusste Entscheidung, weil es uns wichtig ist, dass sich die Gesellschaft mit anderen Lebensmodellen konfrontiert. Es ist deshalb auch ein Kampf für all jene, die nicht so viel Sichtbarkeit haben. Und natürlich auch für unseren Sohn. Denn ich will, dass er in einer besseren Welt groß werden kann als wir sie heute noch haben.
Wird Ihr Klient Christian Wieser seinen Hochzeitsurlaub nun in Anspruch nehmen?
Im Moment ist er noch freigestellt und lebt in Berlin. Aber er wird sicher davon Gebrauch machen. Verdient hat er ihn in vielerlei Hinsicht, denn man muss sagen, dass er wirklich Durchhaltevermögen bewiesen hat. Es ging nie um diese zwei Wochen, es ging um das Prinzip, um ein Recht, dass ihm genauso zusteht wie anderen frisch getrauten Angestellten des Sanitätsbetriebs. Und das hat er sich mit viel Geduld und Ausdauer erkämpft.