CORSAGE
Es ist ein Bild, tief eingebrannt in das kollektive Bewusstsein einer, zwei, nein vermutlich drei oder noch mehr Generationen. Romy Schneider als verkitschte Sissi, umgeben von Glanz, Prunk und heiler Welt. Das Happy End als unausweichlicher Schlusspunkt hängt dieser Inkarnation der bayrischen Prinzessin scheinbar untrennbar nach. Die Realität spricht eine andere Sprache, die Realität, sofern sie überhaupt zu fassen ist. Zwar gibt es einiges, was man über die Kaiserin weiß, und das in den Verfilmungen von Ernst Marischka sorgsam ausgespart wurde, doch bleibt, wie so oft bei historischen Figuren, einiger Spielraum für Interpretation.
Die österreichische Filmemacherin Marie Kreutzer nimmt sich des Themas nun an, obwohl sie, so die Regisseurin, nie geplant hatte, Sissi zur Protagonistin einer ihrer Filme zu machen. Nun ist es doch geschehen, und ihre Hauptdarstellerin Vicky Krieps, international bekannt geworden durch Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“, gibt die Kaiserin im Alter von 40 Jahren. Das ist, so wird im Film an einer Stelle hingewiesen, ein Alter, welches die einfache Bevölkerung kaum erreicht, besonders nicht die Frau. Denn das ist Elisabeth, eine Frau, dazu verdammt, Repräsentantin an der Seite des Kaisers Franz Joseph zu sein. Das ist ihre Aufgabe, das ist ihre Bestimmung, das ist die Last auf ihren Schultern. Sie versucht sich zu befreien, nicht durch langgezogene, romantische Spaziergänge im bayrischen Wald, so wie bei Marischka, sondern durch Rebellion in Form einer Kaiserin unziemlichen Verhaltens. Der Vergleich mit den Schneider-Filmen ist im Grunde völlig absurd, denn Kreutzer zeigt von Anfang an, dass sie nichts von jenem Kitsch hält, nicht der Verklärung dieser alten Filme folgen möchte. Kreutzer hat vielmehr einen feministischen Film gedreht, wenngleich es müßig erscheint, einen Film, der eine Frau beim Versuch, selbstbestimmt zu sein, derart zu nennen. Dass „Corsage“ dieses Label angehängt wird, zeigt vor allem, wie weit der Weg noch ist, der zu gehen wäre, würde man ernsthaft daran interessiert sein, Gleichberechtigung herzustellen. Dies schließlich ist das Ziel des Feminismus, nicht wie andernorts gerne behauptet wird, ein Matriarchat herzustellen.
In poetischen Bildern lässt sich Kreutzer mit ihrer Sissi Zeit. Das Drehbuch verzichtet auf einen Spannungsbogen, sondern beleuchtet das Leben der Kaiserin im Laufe eines Jahres. Man ist als Publikum nahe dran am Menschen Elisabeth, erfährt ihre Gedanken und erkennt den krass im Gegensatz stehenden Anspruch des kaiserlichen Hofes, Würde, Anstand, und Zurückhaltung zu wahren. Und so zeigt der Film einige der gerne zitierten Fakten über Sissi, dass sie rauchte, etwa, Sport betrieb in Schönbrunn, sich ein Tattoo stechen ließ. Viel interessanter als diese oberflächlichen Aspekte sind jedoch die Pausen. Wenn Sissi mit leerem Blick ins Nichts starrt, der Prunk um sie wie Staffage wirkt, und sie gedanklich bereits wieder auf Reisen ist, auf der Flucht im Grunde, vor Kaisertum, falschen Erwartungen, und einer schwindenden Liebe.
Marie Kreutzer schert sich wenig um Historizität, Gott sei Dank, muss man sagen, ansonsten wäre „Corsage“ möglicherweise nur einer von vielen Historienfilmen geworden. Als solchen möchte man ihn auch gar nicht betiteln, denn Kreutzer erzählt im Kern eine moderne Geschichte, nämlich die der Frau des 21. Jahrhunderts. Vicky Krieps, die herrlich anders spielt als man es von Sissi-Darstellungen gewohnt ist, nämlich ruppig, eigensinnig, stilvoll, ist eine Projektionsfläche und wird als Elisabeth zum Vorbild für so viele andere Frauen, ein Vorbild im Herzen der österreichischen Monarchie. Auch stilistisch vermischt Kreutzer historisches mit modernem, spielt selten, aber bewusst anachronistische Musik, die Stones treten ebenso auf wie die Musikerin Camille, die das Titellied stellt. Anders als bei Baz Luhrmann („Moulin Rouge“) oder Sofia Coppola („Marie Antoinette“) funktioniert das Konzept in diesem Fall ungleich besser, da subtiler und eleganter eingesetzt.
Kreutzer zeigte ihren Film in Cannes, Krieps erhielt einen Preis für ihre Darstellung. Das dürfte dem Film einige Aufmerksamkeit bescheren, gut ist das, und wichtig. Es ist höchste Zeit für eine moderne, neue Sissi, eine, die, um es mit David Lynch und Twin Peaks zu sagen, „nicht ist, was sie scheint“.