Arte | Kunst

Das „Hier“ aus anderen Blickwinkeln

„Sei qui“, die zweite Ausgabe des Projekts Galleria delle Lingue setzt auf sechs Buchstaben, sechs junge Künstler:innen und Doppelsinn: Was bedeutet es „hier“ zu sein?
Sei qui, Espace La Stanza
Foto: SALTO
  • Das erste, was wir sehen, wenn wir die kleine Bozner Galerie Espace - La stanza betreten, ist eine Gemeinschaftsarbeit der sechs Künstler:innen, „Pioggia di Parole“. Daniel Shehu, Daria Akimenko, Jasmin Soraruf, Jon Muçogllava, Leonardo Pizzicannella und Liliana Satta haben darin, auf tischtennisballgroßen Baumwollkugeln Wörter in verschiedenen Sprachen gesammelt, die an dünnen Schnüren von der Decke hängen. Mehr als an Regen erinnert das an Sterne und Planeten, uns zum Teil fremde Sprachwelten. Denn, italienisch und deutsch sind hier zwar vertreten, aber keineswegs die Norm, wir bewegen uns durch den Sprachfundus von Künstler:innen mit Migrations-Geschichte oder „gemischter“ Familie.

    Hatte sich die erste Ausgabe, in zwei Teilen (Nella terra dell’aquila & Nella terra del dragone) mit albanisch-südtirolerischen bzw. chinesisch-südtirolerischen (Jung-)Künstlern befasst, so wird diesmal die Vielfalt in Szene gesetzt, die Anzahl der Werke ist höher und der Prozess - besonders deutlich zu sehen am „Regen“, sowie dem „Tapetto Volante“, einer Mindmap in Mischtechnik, welche auch die Suche nach einem Untertitel dokumentiert - ist kollaborativer und, da hier nicht nur aus dem beschränkten Fundus der zum Großteil noch zur Oberschule gehenden Künstler:innen, auch experimenteller, da für die Ausstellung produziert wurde. In einem etwa fünfminütigen Video im Hintergrund der „Pioggia di Parole“, für welches wir uns in der Mitte der Installation positionieren müssen, sprechen die jungen an der Ausstellung beteiligten Künstler frei von der Leber weg, ganz ungeskriptet über den Schaffens- und Werdensprozess der Ausstellung.

    Kuratiert wurde die Schau von Daria Akimenko, welche von den Künstler:innen die wohl etablierteste ist, und Adel Jabbar. Bereits am studieren ist Jon Muçogllava, der gänzlich andere Werke als im Vorjahr zeigt, unter anderem auch eine dreigeteilte Anordnung von Fragmenten, die auf migrantische Lebensrealitäten verweisen: „Gur“ (Stein) vereint Bauschutt und Aufgelesenes in Anlehnung auf die häufige Arbeit am Bay, „Gotë“ (Glas), das aus Scherben und Rakispray besteht, der auf Watte gesprüht werden kann, um olfaktorisch ein Getränk zu beschwören, das für Gastfreundschaft steht und „Pellg“ (Meer), welches mit gemischten Materialien auf hoffnungsgrünem Grund auf die Überfahrt übers Mittelmeer verweisen möchte.

  • Sei qui, Espace La Stanza: Eine Reihe von Zeichnungen Jon Muçogllavas zu Fragen der eigenen Identität. Sie haben etwas skizzenhaftes, wie vieles des in der Galerie von Jungkünstlern Ausgestellten. Foto: SALTO
  • Durchaus spannend ist sicherlich auch die Thematisierung der eigenen Schwierigkeiten auf dem „neuen“ (oder eben nicht neuen) Terrain Südtirol. Gerade die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Identität ist dabei spannend, zu sehen etwa im Zwischenraum der beiden Ausstellungszimmer: Es ist abermals Muçogllava, welcher sich kritisch mit seinen beiden Nationalitäten auseinandersetzt. Dem albanischen Zweikopfadler gibt er monströse Attribute und reflektiert in den Kurzstatements die Gewalt von Nationalismus.

    Im zweiten großen Raum gibt es ein Wiedersehen mit Jasmin Soraruf, die uns vom letzten Jahr mit ihren Malereien in Erinnerung geblieben ist, welche ihr „Mutterland“ China als zweite, ferne Heimat in Gemälden mit Kaligraphien reflektierte. Ihre neuen Werke sind ohne derart direkte Herkunftsmarker, zeigen einen fragmentierten Teller (scheinbar sind Scherben hier ein wiederkehrendes Motiv), der nachträglich - wir sehen ihn zum Teil nach außen und zum Teil nach innen gewölbt - bemalt wurde, sowie eine einsame, links unten angesiedelte Frauenfigur, die dem Betrachter abgewandt ist und auf die eine grell-orangene Farbfläche eindrückt. Die Künstlerin thematisiert in letzterem Werk das Gefühl der Einsamkeit und lässt allgemein auf persönlichere Aspekte blicken.

  • Sei qui: Arbeiten von Jasmin Soraruf (über dem Heizkörper) und Daria Akimenko (rechts im Bild). Foto: SALTO
  • Liliana Satta, Tochter einer bulgarischen Mutter ist überraschenderweise, als im Vorjahr nicht beteiligte Künstlerin, diejenige welche ein Hauptmotiv der vergangenen Ausgabe mit vier Skulpturen von Buchstaben des bulgarisch-kyrillischen Alphabets aufgreift. Grund dafür ist eine bei ihr vorhandene Verwechslungsgefahr der Buchstaben, die uns verdeutlicht, dass die zweite Identität bei den Künstler:innen nicht immer die nähere ist.

    Akimenko, die Routinier der Ausstellung konfrontiert uns mittels verschiedener Collagen und Objekten mit einer Themenvielfalt, die von kreativen Blockaden bis zur Südtiroler Geschichte reicht. Unter anderem liegt diesen ein Archivfoto aus Bozen zu Grunde, die Schrift im Russischen Alphabet ruft uns zum Urlaub in einer von Tiroler Landesfahnen behangenen Stadt auf. Auch hier ist deutlich, dass die Begegnung mit einem Ort eine durch den Blickpunkt flexible ist und durch Nationalität geprägte Identitäten keinesfalls statische sind. In die Kunst zweier Künstler (Pizzicannella und Satta) finden etwa Mangaeinflüsse und Figuren (Jojo Fans kommen auf ihre Kosten) Eingang. Keiner der Künstler ist unseres Wissens nach familiär mit Japan verbunden.

  • Als Rahmenprogramm der Ausstellung, die bis 22. November besucht werden kann, gibt es noch zweimal - diese und nächste Woche - immer mittwochs ab 18 Uhr, Dialoge mit Musik. Die Öffnungszeiten der Gallerie sind montags bis freitags von 17 bis 19 Uhr.