Cultura | Salto Weekend
Werther mit Shuffle Funktion
Foto: silbersalz/Caroline Renzler
„Werther. Sprache der Liebe“ ist wie es der Titel schon verspricht, ein Stück, welches an der Sprache arbeitet, sie so belässt, wie sie in Goethes schlankem Reclamheft ist, aber gleich einer Collage-Arbeit die einzelnen Bausteine, die man sich aussucht hin und her schiebt. Dabei fackelt man nicht lange: Man beginnt mit einem Gespräch in Rage und Küssen zwischen Lotte und Werther. Gleich darauf wird der kürzeste Eintrag des Buches (2. Buch, am 16. Junius) noch einmal halbiert. „Ja, wohl bin ich nur ein Wandrer, ein Waller auf der Erde! Seid ihr denn mehr?“, ist, bei aller Knappheit noch zu lang für die Stunde Bühnenzeit, die man sich gibt. Dabei „funktioniert“ dieser moderne Werther auch, weil den alten wohl die meisten zumindest einmal in der Schule durchgenommen haben.
Wirkt der Plastikschirm in der Hälfte der Bühne anfänglich ein wenig wie eine aus Pandemie-Schauspiel heraus entstandene Notlösung, so ist das Mittel hier essentiell: Mit zahllosen Zeitsprüngen und dem Weglassen der Datierungen wäre es sonst nicht ohne weiteres möglich, die emotionalen Distanzen im Liebesdreieck mit variablen Winkeln abzuschätzen. Die Mobilität entlang dieser Achse wird zum Werkzeug in der Analyse des Texts und jedes Mal, wenn die Schwelle überschritten wird, hat dies eine Bedeutung. Auch verändert sich der Klang, mehr noch, als es die Stimme auf der Bühne sonst könnte, wenngleich Mairhofers Lotte auch vor überzuckertem Säuseln nicht zurückschreckt, denn wenn „Die Leiden“ für eines im Laufe der Jahrhunderte nie standen, dann wohl für Mäßigung.
Das hier auf der Bühne ist das ganz große Gefühl, die große Liebe bis hin zur Auflösung des Selbst. Da geben die weiblichen Darstellerinnen auf der Bühne als Werther und Lotte den Ton an und der ist pathosschwanger. Man munkelt, es wird ein Drama, aber bis dahin kaut man an bestimmten Sätzen, welche man als bedeutsam herausgestrichen hat und in Folge wiederholt, oder solchen, welche heute wohl auch beim Lesen klar den Text datieren. Spricht Werther zu Lotte von anderen „Weibern“ um die von ihm überhöhte Lotte klar von anderen Frauen abzugrenzen, so sehen sich die beiden Schauspielerinnen an und eine Augenbraue wird kurz hoch gezogen, statt dass der moralische Zeigefinger hoch muss. Oder aber wenn auf Textebene von Haken- und Stumpfnasen die Rede ist und die beiden einen Eskimokuss teilen.
Das Stück ist, auch wenn das auf den Bildern (und der Bühne) etwas an eine Rafaelo-Werbung erinnert, mit mehreren von diesen feinen Details gesegnet, welche von sorgfältiger Theaterarbeit zeugen. So ist dieser große, allem übergeordnete Look umso verwunderlicher, ist doch eigentlich die „blaßrote Schleife“ die als Attribut für ein erstes Treffen mit Lotte steht, etwas ganz anderes als das kräftige Rot, welches man kontrastreich auf weiß gesetzt hat. Und ja, auch die Schleife ist ein mantrahaft wiederkehrendes Fragment von Bedeutung.
Schauspielerisch ist der Abend ohne jegliche Zurückhaltung ein All-In-Manöver, mit dem Fokus auf Sprache und starken, physischen Ausdrücken für Gefühle, die vor allem bei Raspes Werther überzogen sein können. Wo der Werther in Buchform als Briefroman beide Enden des Spektrums abdeckt und gleichermaßen Sturm und Drang, wie auch einen stillen Trost, gerade in der Natur verkörpert, kommt die Werther auf der Bühne nicht zur Ruh, ist eine Getriebene, die nicht still stehen kann, weil sie wie eine Besessene um die ihr eigentlich schädliche Sonne kreist. Auch das, ein Planet, ist nicht mehr als ein Wanderer.
Ach ja, „Wer ist Albert?“ ist eine dieser wiederkehrenden Parolen und ist er auch in Goethes Briefroman nicht wirklich greifbar, so hat er hier doch, wenn auch am wenigsten, Bühnenpräsenz. Was gut gelingt, ist dass Köhlers Albert im (gern wieder und wieder blauem) Bühnenenlicht immer eine Randfigur bleibt und als Antagonist meist schmollend neben einem roten Luftballon sitzt. Viel darf der Schauspieler auf der Bühne nicht, bringt aber noch ein besitzergreifendes Verhalten mit, welches seinen Sympathiewert weiter auf Talfahrt schickt, auch weil er wirkt, als wäre er auf dem Weg zu einem Tennisturnier. Mairhofer blüht, wenn sie auch nur im Hintergrund Angebetete ist und sich leise singend durch Goethesche Textschnippsel tanzt, als wären sie ein Popsong.
Wir fühlen nicht mit ihm mit, sondern mit dem Paar, das nicht sein sollte und das auch heute nicht sein darf. Ein Gutes hat der Aufbruch der Erzählreihenfolge: Das Stück muss nicht im Abgrund enden, in welchen es zuvor schon geblickt hat.
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