Arte | Teilen

Von drei ungleichen Teilen

Drei „Praktiken des Teilens“ führen von der Ar/Ge Kunst aus nach Palästina, Indonesien und Afghanistan. Eine Zusammenschau zu drei Abenden und verschiedenen Ansätzen.
Diventare Lumbung, Ar/Ge Kunst
Foto: SALTO
  • Namhafte Künstler(kollektive) führten am 9., 10. und 13. Mai in ihre Arbeitspraxis und die ethischen Werte und Vorstellung in und hinter ihren Kunstwerken ein, in einem von Greta Martina gemeinsam mit Stammspielerinnen Zasha Colah und Francesca Verga kuratierten Filmabend, der in das Schaffen von Noor Abed einführte. Während auch ältere Werke der palästinensischen Künstlerin vorgeführt wurden - Hauptattraktion dürfte allerdings die neueste, 30-minütige Arbeit zwischen Video und Performance gewesen sein. Auf „our songs were ready for all wars to come“ (2021), „Out of Joint“ (2018), „Penelope“ (2014), „We Both Know“ (2013) und „I'm So High On You“ (2012) folgte heuer „A Night We Held Between“. In ihrer neuen Arbeit, die auch Gegenstand einer darauffolgenden Diskussion inklusive Buchvorstellung um Entstehung und Methodik der Künstlerin sein sollte, dreht sie mit ihren Darstellerinnen und Darstellern an Originalschauplätzen. Die im Frühjahr und Sommer 2023 gemachten Aufnahmen aus Palästina bringen uns in Höhlen und an andere rituelle Orte an denen Bräuche und Traditionen lebendig werden. Dies geschieht in Bewegung, sei es tänzerischer, wie auch an Performancekunst erinnernden Gesten. Die zum Teil durch Unschärfe oder ein Wackeln der Bildebene gekennzeichneten Aufnahmen blicken aus kurzer Distanz auf Details mehr als auf eine weite Landschaft, zum Teil beschleicht uns ein beklemmendes Gefühl. Angesichts der aktuellen Lage im Gazastreifen,  ist es nicht leicht zu hören, wie viel Hoffnung und Vertrauen die Lieder und Gebete, die wir aus dem Off in mantrenhafter Wiederholung hören und dank den Untertiteln auch verstehen können. Von Kriegern, die nach Hause zurückkehren, etwa.

    Ganz ohne einen Gestus der Aggression - oder Selbstverteidigung, je nachdem, wer die Bilder betrachtet - kommt die Filmarbeit nicht aus, es ist ein Muskelspiel, das zeigt, dass man ungebrochen und wehrhaft ist.

  • Monster Vespas und geteiltes Essen

    Paola Pietronave: Mit technischen Schwierigkeiten ging man charmant um, das fürs Publikum schwierige Zuhören wurden dadurch jedoch nicht einfacher. Foto: SALTO

    Nach Indonesien ging es Tags darauf mit dem Künstlerkollektiv des Projektes Gudskul und der Reiseleiterin Paola Pietronave. Der Abend um ihr Projekt „Diventare Lumbung“ war in der Reihe jener, der die klassischste Auffassung des Begriffs „Teilen“ vertrat, wie auch das aus dem indonesischen entlehnte „Lumbung“ vermuten lässt: Es handelt sich um eine kulturelle Praxis des Teilens überschüssiger Lebensmittel (klassisch: Reis) mit benachbarten Familien. Gleichzeitig stand aber auch das ganz und gar moderne Prinzip des „Sharen“ im Vordergrund.

    Anfänglich mit Beispielen stellten die indonesischen Künstlerinnen und Künstler sich und ihre, mal mehr in der Kunst, mal mehr im Design und Upcycling anzutreffenden Arbeitsweisen über Zoom vor, weder die Raumakustik unter einer gewölbten Decke, noch die schlechte Internetverbindung im Gruppenanruf waren einem wirklich flüssigen Dialog zuträglich. Dennoch nahm man sich rund zwei Stunden Zeit, um einen Italienisch-Indonesischen Dialog aufzubauen. Zu diesem sollte auch das spielerische, den meisten in der Gallerie noch nicht vertraute Prinzip eines „YouTube Battles“ beitragen. Das Prinzip ist schnell erklärt, die Beteiligung seitens des Bozner Publikums war jedoch stockend, auch da Indonesien einen Startvorteil hatte. Der Wettkampf hatte ohnehin beim vom Paola Pietronave - Gewinnerin der zwölften Ausgabe des Italian Council - kuratierten Projektes zum Aufbau und zur Vertiefung eines kulturellen Austauschs. 

    Im Idealfall alternierend sollen bei diesen sogenannten „Kämpfen“ zwei Gruppen von Personen abwechselnd Videos einer YouTube-Playlist hinzufügen, die von beiden Seiten bearbeitet werden kann. Statt ums Übertrumpfen ging es aber einmal darum, die eigene Kultur durch mehr oder weniger representative, in jedem Fall aber unterhaltsame Inhalte vorzustellen. Da kam scharfes Streetfood auf Makkaronibasis und in Eigenregie zu Karnevalsgefährten ausgebaute „Monster-Vespas“ aus Indonesien, ein Verweis auf die neapolitanischen Panaro-Praxis des Teilens und auf das schlechte Englisch eines ehemaligen Ministerpräsidenten von Seiten Italiens, beispielsweise. Am Ende trennte man sich mit etwas mehr Wissenumeinander und - wohl wertvoller - Erinnerungen an ein gemeinsames Lachen an zwei verschiedenen Enden der Welt.

  • Ums Land der Eltern

    Afghanistan: Oft das gleiche Motiv, oft ein gänzlich anderes kreisen für 30 Minuten um die Idee Afghanistan. Für den Künstler sind es „immer wieder diese braunen Berge“, die ihn an das Land seiner Eltern erinnern. Foto: SALTO

    „Afghanistan“ ist der schlichte Name unter dem Farid Rahimi ein Filmprojekt im Entstehen präsentierte, das ganz dem Land seiner Eltern verschrieben ist und doch auch nicht. Der junge Künstler nähert sich der Idee mehr als dem Land unter besonderen Vorzeichen an. Das Video aus zwei 16:9-Hälften, die einander ergänzen, kontrastieren oder kommentieren, blickt nur mittels Fotos und Postkarten in ein immerzu vergangenes Afghanistan, der eigentliche Schwerpunkt ist jedoch das Leben der Generation von Rahimis Eltern in einer auf vier Kontinente verteilten Diaspora: Familienzweige des in Lausanne geborenen Künstlers führen uns nach Amerika, Deutschland, Australien und, ganz kurz als Ausblick, zum Bruder nach Japan.

    Gebrochen durch eine imaginierte Landschaft, die aus über 100 Stunden Filmmaterial überall nur nicht in Afghanistan gemacht wurde, erzählen uns die erfolgreich integrierten Afghaninnen und Afghanen aus Erinnerung, Gegenwart und von der Schwierigkeit sich eine Zukunft auszumalen, die eine Rückkehr ins Aufbruchsland ermöglichen würde. Auch Zweifel und eine Ablehnung des Landes als ein anderes und nicht mehr zu erkennendes, findenin der halbstündigen ersten Fassung Platz. Der Regisseur verhandelt, ohne darin bis zum Nachgespräch explizit zu werden, den Wert von intakter Erinnerung und die Prozesse, die Einfluss auf diese Erinnerung nehmen.

    Nicht in Bildern, aber als Erzählung nimmt das ehemalige Elternhaus von Farid Rahimis Familie eine zentrale Bedeutung ein, die aus dessen Unerreichbarkeit herrührt. Er habe sehr wohl darüber nachgedacht, zu diesem Haus zu fahren, meint der Regisseur, der in seinem Leben noch nie in Afghanistan war. Ein Teil davon sei verkauft, einiges neu gebaut worden, so dass er am Ende der Arbeit an seinem Projekt lieber nicht vor einem Haus stehen möchte, das seiner Rolle in der kollektiven Erinnerung der Familie nie gerecht werden könnte.