“Lesben schockieren weniger”
Martine De Biasi hat es satt: “Langsam habe ich keinen Bock mehr auf Interviews.” Der einzige Grund, aus dem sie und ihre Freundin Laura immer wieder interviewt werden, ist: Die beiden haben eine Beziehung. Seit inzwischen fünf Jahren. “Das gibt es doch nicht”, sagt eine hörbar entnervte De Biasi, “nur weil ich lesbisch bin – ich meine, wir haben 2016”. Kein unbedeutendes Jahr für Homosexuelle in Italien. Nach langer und heftiger Debatte ist im Mai das Gesetz zu den unioni civili in Kraft getreten. Eine der Neuerungen, die das Gesetz mit sich bringt ist, dass gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft offiziell eintragen lassen können. Am 10. September war es zum ersten Mal in Südtirol soweit. Die Bilder gingen durch das ganze Land: zwei überglückliche Männer, umringt von der Sarner Dorfgemeinschaft. Wenige Tage später dann die nächste freudige Nachricht: Ulrich Stofner, Ex-BLS-Direktor und neuer Ressortchef von Landeshauptmann Kompatscher hat in Sardinien seinen langjährigen Parnter geehelicht. Es fällt auf: Vor allem Männer stehen in der öffentlichen Diskussion und der medialen Berichterstattung zu Homosexualität samt all ihren Facetten im Fokus. Ein Grund, warum sich Martine De Biasi trotz allem zu einem Interview bereit erklärt hat.
Die 35-Jährige war bis 2014 im Vorstand von Centaurus, der Schwul-Lesbischen Initiative Südtirol tätig. Heute ist sie hinter dem Vorhang immer noch für Centaurus aktiv.
salto.bz: Frau De Biasi, sind die Bilder von 10. September ein Lichtblick? Die gesamte Dorfgemeinschaft, Bürgermeister und Musikkapelle inklusive, scheint in Sarnthein mit Roland Girardi und Fabio Madonna gefeiert zu haben.
Martine De Biasi: Das ist natürlich sehr wichtig in meinen Augen. Denn darum geht es ja, darum hat man ja die ganze Zeit gekämpft: um heiraten zu können. Obwohl zu sagen ist, dass das Gesetz eigentlich eine Farce ist. Von einer kompletten Gleichstellung mit heterosexuellen Partnerschaften oder Ehen kann keine Rede sein. Aber nichtsdestotrotz ein wichtiger Schritt. Denn wenn der Staat sagt, es ist in Ordnung, dann ist es in Ordnung. Darum geht es ja.
In Südtirol fehlen Rollenmodelle, Leute, die ganz offen zu ihrem Lesbisch-Sein stehen, die einfach sagen, ich bin lesbisch.
Reicht die ‘Legalisierung’ um auch die Akzeptanz und das Bewusstsein für homosexuelle Partnerschaften zu steigern?
Es kommt schon viel mehr an, doch. Weil es einfach etwas ist, was jetzt gemacht werden kann. Vielleicht gibt es jetzt ein paar Jahre lang Aufschreie, aber danach wird es sich legen. Überhaupt: Was muss es Leute überhaupt scheren, wenn jemand heiraten will? Was ist denn genau das Problem bei der ganzen Geschichte? Also ich weiß es nicht…
Das mediale Interesse an der ersten in Südtirol gefeierten Schwulen-“Ehe” war jedenfalls groß.
Ich glaube, das ist jetzt ein Stein, der Wellen schlägt. In anderen Ländern hat es das bereits vor 15 Jahren gegeben. Wir sind halt ein bisschen hinten dran. Aber es ist gut, dass es jetzt soweit gekommen ist. Und dass gerade in einem Dorf die erste homosexuelle “Hochzeit” gefeiert wird, ist interessant.
Inwiefern?
Wenn man sich zum ersten Mal outet kann das oft mit Angst einhergehen. Ich habe das Gefühl, dass es teilweise einfacher ist, sich in einem Dorf zu outen.
Tatsächlich?
Ja. Denn dort kennt man sich. Wenn sich dann jemand outet, dann heißt es vielleicht “Ah, diese Lesben sind alle komisch, aber die Martine, die ist eine Takte”. Verstehen Sie, was ich meine?
Manchmal wäre es sicher einfacher, nicht geoutet zu sein.
Die Nähe im Dorf nimmt die Angst beziehungsweise die Ablehnung?
Die Homosexualität rückt eher in den Hintergrund weil es eine viel persönlichere Sache ist – ich kenne ihn oder sie persönlich.
Täuscht der Eindruck, dass, wenn es um Homosexualität geht, verstärkt Männer im Fokus der Debatte und der Berichterstattung stehen?
Die Wahrnehmung ist nicht falsch. Ich bin überzeugt, dass, wenn ich jetzt heiraten und das öffentlich machen würde, es nicht dieses Aufsehen erregen würde.
Warum nicht?
Zum einen ist es immer noch so, dass männliche Homosexualität für unsere Gesellschaft “schockierender” ist als weibliche Homosexualität. Der Schockwert von zwei Frauen, die heiraten, ist weniger groß als bei zwei Männern. Das heißt, bei mir würde es keinen so großen medialen Aufschrei geben wie am vergangenen Samstag. Weil es einfach weniger schockiert.
Warum, glauben Sie, ist das so?
Es gibt verschiedene Theorien, hat aber sicher auch etwas mit unserer Kultur zu tun. In einem katholischen Land wie dem unseren wird weibliche Sexualität nicht weiß Gott wie öffentlich diskutiert.
Die fehlende öffentliche Diskussion sorgt dafür, dass sich homosexuelle Frauen häufiger verstecken?
Weibliche Sexualität wird ganz allgemein und vor allem von Frauen tendenziell nicht unbedingt in die Öffentlichkeit getragen. Wenn du als sexueller Mensch in der Öffentlichkeit stehst, dann vielleicht weil du ein Pornostar bist. Ein zweiter Punkt ist, dass, wenn zwei Frauen ein Paar sind, das als Beziehung einfach nicht ernst genommen wird. Es ist generell so, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Öffentlichkeit auf das Sexuelle reduziert werden. Wenn ich hergehe und sage, dass ich lesbisch bin, wird das so aufgenommen als würde ich irgendwelche sexuellen Vorlieben oder einen Fetisch haben. Aber darum geht es ja nicht.
Wir sind in Südtirol halt ein bisschen hinten dran.
Das heißt, den Unterschied in der Wahrnehmung von schwulen und lesbischen Personen gibt es?
Das Lesbisch-Sein wird nicht als eine sexuelle Orientierung ernst genommen, sondern wenn eine Frau lesbisch ist – so scheint es zumindest in der Öffentlichkeit anzukommen –, ist sie nicht zu 100 Prozent homosexuell. Wenn ein Mann hingegen sagt, er ist schwul, dann ist es immer eine 100-prozentige Sache. Stimmt das? Ich weiß es nicht.
Weibliche Homosexualität schockiert weniger, wird aber gleichzeitig auch weniger ernst genommen?
Natürlich. Es schockiert weniger gerade weil es weniger ernst genommen wird. Und es hat dann eben auch nicht mit diesem “Igitt” zu tun.
Wird Homosexualität also eher mit Schwul-Sein gleichgesetzt und weniger mit Lesbisch-Sein?
Ja. Obwohl homosexuell ja gleichgeschlechtliche Sexualität beziehungsweise Partnerschaft bedeutet.
Kann man daraus ableiten, dass es für Männer weniger problematisch ist, sich öffentlich zu outen?
Nein. Im Gegenteil, für Männer ist ein Outing mehr problematisch. Für sie ist es schwerer, weil es immer diese Ekel-Reaktion gibt. Und Witze über männliche Homosexualität zu reißen ist gang und gäbe. Auch unter solchen Personen, die eigentlich selbst schwule und lesbische Bekannte oder Freunde haben. Das habe ich selbst erlebt. Dann ist es natürlich sehr schwer wenn du hergehst und sagst, du bist schwul. Vor allem wenn du jung bist.
Was ist bei Frauen anders?
Eine Frau, die sich outet, es in unserer Kultur normalerweise in der Familie und im Freundeskreis macht und nicht öffentlich.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Bei uns stehen Frauen im Allgemeinen kulturell und traditionell bedingt weniger in der Öffentlichkeit. Sie sind eher bei der Familie und daheim. Andere Kulturkreisen wie Skandinavien, die USA, aber auch schon Deutschland und Österreich sind da offener.
Jüngst hat die bekannte deutsche Journalistin und TV-Moderatorin Anne Will ihre Partnerin geehelicht. Auf der anderen Seite hat sich der Bürgermeister von St. Christina hat sich öffentlich geoutet. Fehlt es in Südtirol an solchen Vorbildern für lesbische Mädchen und Frauen?
Aber ganz sicher. Es fehlen Rollenmodelle, Leute, die ganz offen zu ihrem Lesbisch-Sein stehen, die einfach sagen, ich bin lesbisch. Und die sich dann auch nicht darum scheren, sondern sagen, das ist einfach so und ich habe mich um andere Sachen zu kümmern. Denn das Lesbisch-Sein ist nicht das, was mich definiert. Natürlich fehlt es da grob.
Männliche Homosexualität ist für unsere Gesellschaft “schockierender” als weibliche Homosexualität.
Wäre all das nicht eine Motivation für Frauen, sich vermehrt öffentlich zu outen? Sozusagen als Zeichen: Schaut her, ich bin so und damit nicht anders als andere.
Dem stimme ich voll zu. In meinem Fall ist es etwa so, dass ich mehr oder weniger überall geoutet bin. Das ist aber auch eine bewusst politische Aktion. Natürlich wäre es besser wenn alle sagen würden, dass sie schwul oder lesbisch sind. Dann wäre es einfach kein Problem mehr. Das Bewusstsein kommt aber oft erst mit den Jahren, und Frauen stellen sich bewusst in die Öffentlichkeit und sagen: “Ich bin lesbisch.” Übrigens würde man dann auch sehen, dass es nicht unbedingt um 1000 Prozent Homosexualität geht. Sondern vielmehr um ein Kontinuum. Es gibt viele Heterosexuelle, die sagen, sie könnten sich vorstellen, mit einem Gleichgeschlechtlichen zusammen zu sein. Das wird aber nicht gesagt und noch weniger gelebt, weil es meist ein völliges Tabu ist.
Welche Erfahrung haben Sie gemacht als Sie sich geoutet hast?
Outing ist nicht etwas, wo du sagst, ok ich bin jetzt geoutet. Jedes Mal wenn ich eine neue Arbeit antrete oder neue Kollegen kennen lerne, muss ich mich immer wieder aufs Neue outen. Deswegen ist die Frage, wie war es als du dich geoutet hast, nicht wirklich passend.
Welche Reaktionen erfahren Sie bei Ihren Outings?
Manchmal wäre es sicher einfacher, nicht geoutet zu sein. Jedes Mal wenn du jemandem sagst, dass du lesbisch bist, musst du ein Stück weit eine Angst überwinden. Was werden sie jetzt denken, was werden sie sagen? In welche Ecke stecken sie mich? Das sind Fragen, die sich mir immer wieder stellen. Ein erster Schritt ist das Outing in der Familie. Ich habe das Glück, aus einer sehr offenen Familie zu kommen. Auch die Tatsache, dass ich öffentlich geoutet bin und Interviews gebe, hat damit zu tun, dass meine Familie immer sehr offen damit umgegangen ist. Aber ich kenne auch Leute, die selbst zwar total offen sind, die Familie aber weniger.
Belastet dieses Sich-immer-wieder-erklären-müssen?
Wenn man einmal den ersten Sprung gewagt hat, dann ist es relativ einfach. Am Anfang kommt bei jungen Mädchen häufig ein Aktivismus zum Vorschein, nach dem Motto “Volle Kanne” oder “Jetzt erst recht”. So zumindest die Erfahrung und die Beobachtungen, die ich gemacht habe, etwa in der Jugendgruppe. Nach einer Weile legt sich das.
Kein Wunder dass Lesben so
Kein Wunder dass Lesben so wenig Aufmerksamkeit erhalten. Sie haben ja auch nichts wirklich aufregendes zu sagen.
Könnte es sein, dass Schwule
Könnte es sein, dass Schwule auch deswegen mehr Resonanz in den Medien erhalten, weil es sich bei den geouteten um bekannte Gesichter aus Politik und Wirtschaft (Demetz, Stofner, Girardi, u. a. ) handelte? Anne Will hat in Deutschland doch auch große Aufmerksamkeit erfahren, eben aufgrund ihrer Bekanntheit.
In risposta a Könnte es sein, dass Schwule di Martin Daniel
Das kann man nicht ganz so
Das kann man nicht ganz so sagen: Die ersten zwei drei Präsidenten von Centaurus haben sich öffentlich geoutet und haben damals vor allem in der FF viel Platz und Resonanz gefunden, obwohl sie vorher niemand kannte. Ich glaube, es liegt an den Medien selbst und ob es ein aufbrechendes Tabu-Thema ist. Das ist es jetzt nicht mehr so.
Aber Outing in den Medien, in der Öffentlichkeit, ist ja nicht das Wichtigste - glaube ich. Wichtiger ist es im persönlichen Umfeld. Das öffentliche Outing ist für die öffentliche Diskussion und gesellschaftliche Entwicklung wichtig. Und diesbezüglich glaube ich haben die lesbischen Frauen einen Nachholbedarf. Wann gibt es die erste öffentlich Hochzeit von zwei Frauen?
In risposta a Das kann man nicht ganz so di Sepp.Bacher
Haben wir wirklich keine
Haben wir wirklich keine wichtigeren Probleme als die Medienpräsenz von Lesben?