Politica | Direkte Demokratie

Pestizid-Abwehrkampf und Demokratie

Wir öffnen uns jetzt komplett! So dass jeder in der Gemeinde entscheiden kann, wie er leben will, was ihm wichtig ist, mit was er einverstanden ist und mit was nicht.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Bürgermeister Veith
Foto: Wolfgang Schmidt

Das Büro des Bürgermeisters ist ein freundlicher, heller Raum in einem freundlichen, hellen Neubau. Ich nehme auf einem Sofa Platz, zwischen halbhohen Zimmerpflanzen. Ich lege mein Aufnahmegerät auf den Couchtisch und frage ob ich das Gespräch aufzeichnen darf. Kein Problem, meint Uli Veith, der Bürgermeister von Mals. Er bietet mir ein Glas Wasser an. Oder biologischen Apfelsaft? Ich lehne ab. Er selbst nimmt sich ein Glas Apfelsaft. Er müsse viel trinken, da er heute noch Blut spenden werde.

„Wann und wie wurdest du das erste Mal mit dem Pestizid-Problem in Mals konfrontiert?“, frage ich.

„Das Thema kam bei uns auf die Tagesordnung als Günther Wallnöfer zu mir kam und mir erklärte, dass die Biobauern ein immer größeres Problem bekämen, weil es immer mehr Obstbauern gäbe, die Pestizide in ihr Heu spritzten.“

„Und was habt ihr dagegen unternommen?“

„Zuerst haben wir versucht die Obstbauern für dieses Problem zu sensibilisieren. Durch einen runden Tisch, eine Informationsbroschüre mit Empfehlungen. Und so weiter. Wir wurden nicht ernst genommen. Man hat gesagt, die paar Spinner da oben, die werden schon wieder Ruhe geben.“

„Naja, das ist manchmal die eigentliche Funktion von runden Tischen und Broschüren: der Bevölkerung soll Sand in die Augen gestreut werden“, sage ich.

Uli Veith nickt: „Man wollte einfach auf Zeit spielen. Zuerst wird ein Jahr lang diskutiert. Dann wird in Ruhe ein Broschüre gedruckt. Und dann wird man weitersehen.“

„Und wenn während dieser Zeit ein konkretes Rückstands-Problem auftaucht, dann heißt es, es handle sich dabei nur um ein einzelnes schwarzes Schaf.“

„Richtig“, sagt Uli Veith, „aber in Wirklichkeit hat sich überhaupt niemand an unsere Empfehlungen gehalten. Nicht einer. Deshalb haben wir dann gesagt: Wir brauchen eine Volksabstimmung.“

„Hattet ihr das Gefühl, dass ihr eine solche Abstimmung gewinnen könntet?“

„Ja, denn in einer Befragung, die wir durchgeführt hatten, haben wir gesehen, dass der Erhalt der Kulturlandschaft ein Riesenthema für die Menschen in Mals war.“

„Peter Gasser hat mir erzählt, dass ihr zunächst das Gemeindestatut überarbeiten musstet. Hattet ihr da schon die Pestizidfrage im Hinterkopf oder habt ihr das Statut einfach geändert, weil ihr mehr direkte Demokratie wolltet?“

„Beides. Hauptsächlich hat mich aber gestört, dass die damalige Satzung einfach keine Möglichkeiten bot die Bevölkerung zu beteiligen. Wir haben uns damals gesagt: ‚Wir machen jetzt eine Musterverordnung in Mals, die auch für andere Gemeinden vorbildlich sein kann. Wir öffnen uns jetzt einfach komplett! So dass jeder Mensch in der Gemeinde entscheiden kann, wie er leben will, was ihm wichtig ist, mit was er einverstanden ist und mit was nicht.‘ Und deshalb haben wir den Auftrag zur Überarbeitung der Gemeindesatzung und der Verordnung erteilt.“

„An wen habt ihr diesen Auftrag erteilt?“

„An die Initiativgruppe für mehr Demokratie und an eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung, bestehend aus Gemeinderäten und Bürgern aus der Gemeinde. Aber als wir mit der Arbeit begannen, wusste ich bereits, welches die erste Abstimmung sein würde.“

Er lächelt: „Die pestizidfreie Gemeinde Mals.“

Ich lächle auch und denke: »Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Seid darum klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.«

„Du wusstest also“, sage ich, „dass die neuen Werkzeuge der direkten Demokratie zum Instrument des Pestizid-Abwehrkampfes werden könnten, aber du hast es nicht an die große Glocke gehängt, weil du befürchten musstest, dass sonst deine eigene SVP-Gemeinderatsfraktion diese Entscheidung für direkte Demokratie nicht mittragen würde.“

„Ja. Und das wäre auch so gewesen.“

Die deutschsprachigen Südtiroler wählen nämlich (dies nur für unsere Leser aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) seit dem zweiten Weltkrieg mehr oder weniger geschlossen eine einzige Partei, die Südtiroler Volkspartei, damit diese Partei die Interessen der deutschsprachigegn Südtiroler in Rom mit Nachdruck vertreten kann. Seit dem zweiten Weltkrieg regiert diese Partei daher ohne Unterbrechung das Land und stellt auch so gut wie alle Bürgermeister. (In die Politik gehen und in die SVP eintreten, war in Südtirol eigentlich ein und dasselbe. Und einen politischen Diskurs gab es, wenn überhaupt, nur im Inneren dieser Einheitspartei der deutschsprachigen Südtiroler.)

„Ist eine Entwicklung wie in Mals auch in einem Dorf denkbar in dem der Bürgermeister sich nicht für direkte Demokratie begeistert?“, will ich wissen.

„Ich denke es braucht beides: eine Verwaltung, die bereit ist auf die Bürger zu hören, - und aktive Bürger.“

„Wer neue politische Ideen umsetzen will, muss das wirklich wollen, sozusagen bei Tag und bei Nacht. Findest du, dass man in einer Demokratie die Bevölkerung ans Ruder lassen sollte?“

„Davon bin ich voll und ganz überzeugt. Und die Erfahrungen, die ich gemacht habe, bestärken mich noch zusätzlich in dieser Überzeugung.“

Uli Veith ist sehr sorgfältig gekleidet. Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich trage nur Kleidungsstücke, die mehr oder weniger zufällig in meinen Kleiderschrank gelangten. Danach aber trage ich sie so lange bis sie buchstäblich zerfallen. Doch trotz dieser augenfälligen Unterschiede in der äußeren Erscheinung, bemerke ich, dass unser Gespräch uns leicht fällt, dass wir einander gut verstehen. »Man sieht nur mit dem Herzen gut«, denke ich. Und ich sehe einen Mann, der ohne viel Aufhebens davon zu machen, zu dem steht was er verspricht.

„Was hat sich eigentlich konkret an eurer Gemeindesatzung geändert?“, möchte ich als nächstes wissen.

„Wir haben viele verschiedene Methoden der Bürgerbeteiligung eingeführt. Bei uns kann jetzt jeder Beschluss der Gemeinde von der Bevölkerung angefochten werden. Die beratende Volksabstimmung haben wir ganz abgeschafft. Bei uns sind nun alle Volksabstimmungen bindend. D.h. was das Volk sich wünscht muss die Gemeindepolitik umsetzen. Dann haben wir das Quorum für Volksabstimmungen heruntergesetzt, und auch die Anzahl der Unterschriften die man sammeln muss, um eine Volksabstimmung zu initiieren. Darüber hinaus gibt es noch die Möglichkeit Volksabstimmungen auf Fraktionsebene zu machen. Falls ein Thema also nur eine Fraktion betrifft, zum Beispiel Laatsch, dann kann auch in Laatsch darüber abgestimmt werden.“

„Weil du die Möglichkeit zur Anfechtung von Beschlüssen erwähnst, hat die Bevölkerung schon einen eurer Beschlüsse angefochten?“

„Nein. Und ich glaube, dass liegt daran, dass wir - bevor wir ein Projekt angehen - gut überlegen ob die Leute das tatsächlich wollen, oder ob sie etwas anderes wollen. Außerdem bereiten wir die meisten Projekte in Arbeitsgruppen vor. Und in diesen Arbeitsgruppen sitzen immer auch kritische Bürger, Leute von denen ich weiß, dass sie dagegen sind. Und zwar weil ich auch deren Meinung hören will! Ich will hören, wieso sie dagegen sind. Erst dann bekomme ich ein vollständiges Bild. Und treffe bessere Entscheidungen zum Wohle aller.“

Ich denke eine Weile nach. Dann frage ich: „Warum hast du dich überhaupt für das Anliegen der Pestizid-Gegner engagiert? Und woher nimmst die Kraft dazu?“

„Ich bin hier aufgewachsen und ich habe gesehen wie schön das Leben hier ist. Und wenn man dann eine Veränderung beobachtet, über die man sich jeden Tag ärgert, dann kann man daraus sehr viel Kraft schöpfen. Bei uns hat es das nie gegeben, dass jemand Grund und Boden mit Giften kaputt macht. Das kannten wir nicht. Wenn jetzt aber, mit einer beispiellosen Arroganz, die gesamte Kulturlandschaft verändert wird, die Böden kaputt gemacht werden und die Luft verschmutzt, dann stört mich das einfach extrem. Und zwar Tag für Tag. Als Bürgermeister bin ich verpflichtet, dagegen etwas zu unternehmen. Dazu bin ich gewählt worden. Das ist meine Aufgabe.“

„Damit man sich also gegen den Strom stellen kann, muss man ein wirklich tiefes Anliegen haben?“

„Ja, sonst geht es nicht. Sonst spült dich die erste Welle hinweg.“

„Und wie gehst du mit den vielen Anfeindungen um?“

„Damit kann ich gut leben. Denn ich bin davon überzeugt davon, dass wir das Richtige tun. - Natürlich finde ich es schade, wenn Menschen die anders denken sich der Diskussion mit uns nicht stellen. Doch das geht vorüber. Früher oder später werden sie zugeben, dass die biologische Landwirtschaft der richtige Weg ist. Und dann werden sie auch  selbst diesen Weg beschreiten.“

„Wie es scheint gehst du mit den Aggressionen, die du auf dich ziehst, recht locker um?“

„Nein, ich habe schon auch schlaflose Nächte gehabt.“

„Aber?“

„Aber in dem Unternehmen in dem ich früher gearbeitet habe, hat uns einmal ein Berater gesagt: ‚Ihr kommt nicht weiter, weil ihr zu harmoniebedürftig seid. Ihr müsst die Probleme einmal auf den Tisch bringen. Ihr müsst sie ausstreiten. Dann erst kommt ihr weiter.' Bestimmte Konflikte gehören einfach ausgetragen. Sonst kann man sich nicht weiterentwickeln.“

„Ja“, sage ich, „man soll sich nicht zu sehr verbiegen. Man muss eigensinnig bleiben. Ein Kirschbaum muss Kirschbaum werden, ein Birnbaum Birnbaum. Und so hat auch jeder Mensch das Recht und die Pflicht unterschiedlich zu sein. Und daher können eigentlich keine zwei Menschen der genau gleichen Meinung sein, oder?“

„Genau. Und deshalb nehmen wir auch immer kritische Menschen in unsere Arbeitsgruppen herein. Wenn wir nämlich nur Leute reinnehmen würden, die die gleiche Meinung haben wie wir, dann geht das Projekt zwar vielleicht reibungsloser, aber es wird dadurch nicht besser. Unsere Projekte sind alle besser geworden, als ich sie ursprünglich im Kopf hatte.“

„Ich habe gehört, dass du beruflich viel in der Schweiz zu tun hattest. Hat dich diese Erfahrung verändert.“

„Ja, eigentlich schon. Wenn in Südtirol jemand sagt ‚das Volk darf nicht entscheiden‘, dann verstehen das die Menschen in der Schweiz nicht.

„Ich verstehe das ja auch nicht“, unterbreche ich ihn. „Wer soll denn sonst in einer Demokratie entscheiden?“

„Ja, wer denn sonst“, sagt Uli Veith. „Wenn der Gesetzgeber uns vorschreiben will was wir entscheiden dürfen, dann ist das absurd. Das Volk ist der Souverän. Das Volk gibt den Politikern den Auftrag zur Umsetzung seiner Entscheidungen. Als Politiker bin ich nur ein Ausführender. Und so muss das auch sein.“

Ich hätte mich gerne noch länger mit dem Bürgermeister von Mals unterhalten, doch wir müssen unser Gespräch ein anderes Mal fortsetzen, da nun seine Sprechstunde beginnt. 

 
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Christian Mair Gio, 03/16/2017 - 16:35

Wenn die Verabschiebung des Gesetzesentwurfs zur direkten Demokratie scheitert, wären Ulrich Veith und Alexander Schiebel die perfekten Gallionsfiguren für ein Volksbegehren, oder?
Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur Direkten Demokratie noch in dieser Legislatur !
Notfalls ab 1. Mai Unterschriftensammlung für Volksbegehren.
http://www.dirdemdi.org/index.php/de/692-offenere-brief-an-den-suedtiro…

Gio, 03/16/2017 - 16:35 Collegamento permanente