Economia | Interview
Keine Angst vor Forschung & Technologie
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Foto: Matus Braxatoris
Am Anfang war die unibz
Selena Milanovic ist eine junge Frau mit einem beeindruckenden Lebenslauf. Nach einem Bachelorstudium in Industrie- und Maschineningenieurwesen in Bozen absolvierte sie einen Master biomedizinischen Ingenieurwesen in Wien und Brno in der Tschechischen Republik. Ihren Doktor machte sie in Oxford und arbeitete schon währenddessen mit der Bill & Melinda Gates Foundation und der Regierung von Großbritannien zusammen. Als junge Spitzenkraft im Gesundheitssektor reist sie um die ganze Welt und wurde letztes Jahr sogar in die prestigeträchtige 30-under-30-Liste des Forbes Magazines aufgenommen und das sowohl für Deutschland als auch für Italien. Aktuell ist sie Strategieberaterin bei Siemens und hält am 24. März einen Vortrag beim Südtiroler Wirtschaftsforum, der den Titel „Unheilbare heilen, Gesundheit demokratisieren: Die Versprechen der digitalen Medizin“ trägt. Salto.bz hat mit ihr gesprochen und sie gefragt, was dahinter steckt.
Salto: Sehr geehrte Frau Milanovic, Sie haben Ihr Bachelorstudium an der Freien Universität Bozen abgeschlossen. Welche Vorteile hat Ihnen das für Ihre Karriere verschafft und würden Sie sich noch einmal für ein Studium an der unibz entscheiden?
Selena Milanovic: Ich habe 2015 mein Bachelorstudium in Maschinenbau abgeschlossen. Während der drei Jahre war ich auch ein Jahr als Erasmus-Studentin in Bremen, was eine tolle Erfahrung war. Ich bin sehr froh, dass die Freie Universität Bozen mir das ermöglicht hat. Die Universität Bremen ist sehr groß, die unibz hingegen noch sehr klein und ich fand es wichtig unterschiedliche Erfahrungen an unterschiedlichen Universitäten zu machen. Was mir in meiner Karriere außerdem sehr geholfen hat, war der dreisprachige Unterricht an der unibz, denn dadurch habe ich die ganzen technischen Begriffe im Ingenieurswesen auf Deutsch, Italienisch und Englisch gelernt. Das war ein großer Vorteil bei der Jobsuche. Ich bin immer noch sehr zufrieden mit meiner Entscheidung, meinen Bachelor an der unibz gemacht zu haben und würde es wieder tun. Gerade wenn man noch jung ist, ist eine kleine Uni ein guter Ort um gut für die Zukunft vorbereitet zu werden.
Sie haben zu mathematischen Modellen des Gehirns geforscht. Das klingt spannend! Wollen Sie kurz erklären, was man darunter versteht?
Selena Milanovic: Sehr gerne! Es ist so: Bei vielen Krankheiten des Gehirns, wie Alzheimer und wissen wir leider immer noch nicht genau, wie sie entstehen. Viele Bilder des Gehirns, die Neurochirurgen in Form von Magnetresonanzen machen, sind nicht präzise genug um wirklich alle Blutgefäße darzustellen und um zu zeigen, wie weit die Krankheit schon fortgeschritten ist. Hier kommen mathematische Modelle ins Spiel: Sie ermöglichen es, Bilder, die sonst verpixelt wären, viel präziser zu machen und auch die Blutgefäße darzustellen, die man sonst nicht sehen würde. Das gibt den Neurochirurgen einen besseren Einblick, wie weit die Krankheit im Gehirn tatsächlich schon fortgeschritten ist.
Bezieht sich darauf auch ein Teil des Titels Ihres Vortrags beim Südtiroler Wirtschaftsforum „Unheilbare heilen“?
Selena Milanovic: Ja, das ist so ein kleines Wortspiel. Mein Vortrag dreht sich darum, dass man mit Digitalisierung und Technik in der Medizin potenziell Probleme lösen könnte, die heutzutage mit der klassischen Medizin, die nur auf Biologie und Chemie basiert noch nicht lösen kann.
Digitale Medizin
Heute spricht man auch von digitaler Medizin, wenn von diesen technologischen Möglichkeiten gesprochen wird. Unter digitaler Medizin versteht man einerseits eben Computermodelle, so wie jene an denen Dr. Milanovic geforscht hat, andererseits die digitale Sanität, auch Telemedizin oder e-Health genannt. Digitale Medizin hat einige Vorteile. Zum Beispiel kann immer mehr Forschung an Tieren durch computer-basierte Forschung ersetzt werden. Und immer mehr medizinische Dienstleistungen, wie Gespräche und Diagnosen können remote abgewickelt werden.
Frau Dr. Milanovic, heute beschäftigen Sie sich mit digitaler Medizin und Demokratisierung der Medizin. Neben dem offensichtlichen Vorteil – den besseren Zugang zur Medizin – kann man sagen, dass digitale Medizin den Patienten auch neue Freiheiten bietet? Die Freiheit die eigene ärztliche Versorgung unabhängig vom Wohnort zu wählen zum Beispiel?
Selena Milanovic: Ja! Einer der großen Vorteile der digitalen Medizin, ist das Menschen nicht mehr immer zum Arzt oder in ein Krankenhaus gehen müssen. Diesen Vorteil haben wir besonders in der Corona-Pandemie gesehen. Viele Termine und Gespräche mit dem Arzt konnte man telefonisch oder per Videochat machen und das hat Vieles erleichtert, besonders für ältere Menschen und Menschen, die nicht die Möglichkeit hatten, aus dem Haus zu gehen. Digitale Medizin erleichtert das Leben von Patientinnen und Patienten wirklich sehr, aber auch die Arbeit des Gesundheitspersonals.
Traditionellerweise ist der Gesundheitsbereich von einer großen Informationsasymmetrie geprägt: Mediziner besitzen viele Informationen, Patienten wenige. Verändert digitale Medizin dieses Ungleichgewicht?
Selena Milanovic: Teilweise ja, indem der Patient einen besseren Überblick über den Stand seiner Gesundheit haben könnte. Ein Beispiel dafür, wie das heute schon möglich ist, sind Smartwatches, die ja ganz viele Parameter aufzeichnen, z.B. den Herzschlag. Das ist ein einfaches, aber gutes Beispiel. Es zeigt, dass die digitale Medizin es den Patienten erlaubt, mehr über ihre Gesundheit zu wissen und dadurch auch Hemmschwellen mit dem Thema abbaut.
Digital ethics sind gerade ein großes Thema. Welche ethischen Fragestellungen tun sich im Bereich digitale Medizin auf? Welche ethischen Probleme müssen wir in diesem Bereich noch lösen?
Selena Milanovic: Datenschutz ist aktuell ein sehr großes Thema. Für den Fortschritt der Forschung und der Medizin brauchen wir viele Daten. Möglichst Daten von vielen unterschiedlichen Menschen auf der ganzen Welt. Denn Menschen sind alle verschieden, haben verschiedene Eigenschaften, wie Alter, Nationalität, Kultur und Geschlecht. Und je mehr Daten wir haben, umso bessere Softwares und medizinische Geräte können wir entwickeln. Aber hier geht es nicht um persönliche Daten, wie viele Menschen denken. Forschende wollen Daten nicht einer genauen Person zuordnen können. Im Gegenteil: Forschende wollen am liebsten nur anonymisierte Daten, sie sind die beste Art Forschung zu betreiben. Um aber an Daten zu kommen, braucht es Vertrauen vonseiten der Bevölkerung, Vertrauen, dass die Daten zum Beispiel nur für Forschungszwecke und für nichts anders verwendet werden. Dieses Vertrauen muss erst einmal gebildet werden.
An dieser Stelle wundern sich bestimmt viele: Werden in Zukunft Computer und Algorithmen unsere Gesundheitsversorgung bestimmen? Welche Rolle spielt der Mensch in der Medizin noch?
Selena Milanovic: Der Mensch spielt heute in der Medizin eine sehr wichtige Rolle und wird das auch noch für viele Jahre. Wenn wir heute über digitale Medizin sprechen oder darüber, wie digitale Medizin in zehn Jahren ausschaut, reden wir immer nur noch über Tools und Hilfsmittel für Ärzte. Digitale Medizin soll dazu beitragen, dass Ärztinnen und Ärzte einfacher eine korrekte Diagnose stellen können, indem sie bessere Daten liefert. Es geht nicht darum, die Ärzte durch Computer zu ersetzen. Das ist derzeit überhaupt nicht möglich und wird es auch in naher Zukunft nicht sein. Es geht darum, Menschen, die jetzt schon Zugang zur Sanität haben, eine bessere Sanität zu bieten, und Menschen, die keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, überhaupt einen Zugang dazu zu geben. Zum Beispiel indem wir Patienten mit Ärzten vernetzen, die sehr weit von ihnen entfernt sind. Wir wollen Medizin demokratisieren und verbessern, mit der Hilfe der Ärzte und des Gesundheitspersonals.
Als Frau in Männerdomänen
Frau Dr. Milanovic ist sicherlich ein großes Vorbild für viele junge und weniger junge Frauen in Südtirol und außerhalb, denn sie hat es an die Spitze einer Branche geschafft, in denen Frauen häufig immer noch untervertreten sind.
Von außen betrachtet wirkt der Gesundheitssektor immer noch sehr dominiert von alten weißen Männern. Sie hingegen sind eine junge Frau. Wie sehen Sie das?
Selena Milanovic: Frauen sind in der Medizin und in anderen Feldern heute immer noch die Minderheit. Das heißt aber nicht, dass die Männer, die da sind, uns nicht unterstützen. Es gibt viele Männer, die Frauen gerne beim Karriereaufstieg unterstützen. Trotzdem ist es nicht leicht, aber das ist auch eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Ich glaube, wir müssen uns als Frauen gegenseitig unterstützen und immer wieder Gelegenheiten schaffen, in denen Menschen ihre Arbeit tun können, ohne, dass das Geschlecht dabei wichtig ist. Ausschlaggebend sollten die Performance und die Qualifikationen einer Person sein.
Welchen Ratschlag würden Sie jungen Frauen geben, die wie Sie gerne in sehr männlich dominierten Bereichen arbeiten möchten?
Selena Milanovic: Lasst euch eure Chancen nicht nehmen! Auch nicht von eurer eigenen Angst! Habt keine Angst in ein neues Feld einzusteigen, auch wenn es derzeit so aussieht, als ob Männer dort dominieren würden. Die Welt ändert sich heute sehr schnell. Arbeitet in den Bereichen, die euch interessieren und bleibt dahinter und glaubt an euch! Man sollte der eigenen Umwelt nicht die Macht geben, über das eigene Leben zu bestimmen.
Für das Weltwirtschaftsforum leiten Sie Projekte im Bereich soziale Mobilität. Was kann man sich unter diesen Projekten vorstellen?
Selena Milanovic: Ich bin ein so genannter „Global Shaper“ des World Economics Forum. Wir sind eine Gruppe von jungen Vertretern des Forums, die globale soziale Projekte betreiben. Zum Beispiel leite ich ein Projekt, wo wir jungen Frauen einen Überblick darüber geben, was für Jobs es in den Naturwissenschaften und im Ingenieurwesen gibt. Wir unterstützen diese Mädchen und Frauen auch dabei ein Studium in diesem Bereich anzufangen und später eben ohne Angst auch dort zu arbeiten.
Beitrag von Jenny Cazzola
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