Foltermord in staatlichem Auftrag
Der Autopsiebericht des Arztes, der am 6. Februar letzten Jahres die Leiche des jungen Forschers Giulio Regeni im römischen Poliklinikum acht Stunden lang untersuchte, ist ein Dokument des Grauens: ein Handgelenk, eine Schulter und ein Schulterblatt, Finger und Zehen sind gebrochen, ausgeschlagene Zähne und Risse im Mund, die Haut von Verbrennungen und Schnitten übersät. Auf den Rücken, neben die Augen, auf die Stirn und linke Hand ritzten die Folterer Buchstaben. „Die Verletzungen an Giulios Körper wurden ihm zu verschiedenen Zeitpunkten, wahrscheinlich über mehrere Tage, zugefügt. Vermutlich wurde er mit Tritten, Fausthieben und Stöcken geschlagen und mehrmals gegen die Wand oder den Fußboden geschleudert“. Alles spreche dafür, dass Giulio systematisch und „professionell“ tagelang gefoltert wurde. Bevor man ihn mit Genickbruch erledigte.
Giulio Regeni verschwand in Kairo am 25. Januar 2016, dem Jahrestag des Aufstandes auf dem Tahrir-Platz. Am 3. Februar fand man seine Leiche im Straßengraben. Er war in Kairo, um im Auftrag der britischen Cambridge-Universität über die Rolle von oppositionellen Gewerkschaften in Ägypten zu forschen.
Die Lügen des ägyptischen Regimes
Schon damals richtete sich der Verdacht auf die ägyptischen Geheimdienste als Auftraggeber des Mordes. Wie wir in mehreren Artikeln berichteten, lieferten die ägyptischen Behörden nach und nach für Giulios Tod verschiedene „Erklärungen“, die immer dreister wurden: erst ein Verkehrsunfall (!), dann Streit wegen Drogen oder im Homosexuellenmilieu, später die „Terrorismus-These“, die Präsident Al Sisi höchstpersönlich am 30.3.2016 im Interview mit der „Repubblica“ präsentierte. Die Islamisten wollten mit dem Mord an Regeni die guten Beziehungen zwischen Italien und Ägypten destabilisieren, so der Diktator.
Schließlich verkündeten die ägyptischen Untersuchungsbehörden, eine „Verbrecherbande“ habe Regeni ermordet. Deren fünf Mitglieder passenderweise während eines „Zusammenstoßes mit Polizeikräften“ allesamt erschossen wurden, bevor sie verhört werden konnten. In der Wohnung eines der Bandenmitglieder habe die Polizei – siehe da – den Ausweis und andere Dokumente gefunden, die Regeni gehörten.
Dass die ägyptische Seite mit dieser Serie völlig unglaubwürdiger Begründungen lediglich den Verdacht von sich selbst ablenken wollte, war den italienischen Ermittlern und der Familie spätesten nach der Autopsie klar. Die italienische Regierung versprach Aufklärung, sorgte sich aber zugleich um die Beziehungen zu Agypten, aus geopolitischen wie wirtschaftlichen Interessen. Doch als das Regime mit allen Mitteln versuchte, die Untersuchungen nicht nur auf falsche Fährten zu lenken, sondern auch durch Zurückhaltung wichtiger Bild- und Tondokumente zu boykottieren, konnte die italienische Regierung nicht umhin, einen schärferen Ton einzuschlagen und den Botschafter aus Kairo zurückzurufen.
Der Kampf um die Wahrheit
Wer von Anfang an unablässig und mit ganzer Kraft nach der Wahrheit suchte, waren der römische Oberstaatsanwalt Giuseppe Pignatone, sein Vize Sergio Colaiocco und Giulios Eltern. Paola und Claudio Regeni mobilisierten die Öffentlichkeit und appellierten immer wieder an die italienische Regierung, den „Fall Regeni“ nicht auf dem Altar der diplomatischen Beziehungen zu opfern oder in Vergessenheit geraten zu lassen. Die römischen Staatsanwälte bedrängten die ägyptischen Behörden mit Amtshilfeersuchen, forderten stur die Herausgabe von relevantem Ermittlungsmaterial und fuhren nach Kairo, um direkte Gespräche zu führen und Beweise zu sammeln.
Die Hartnäckigkeit der italienischen Ermittler zahlte sich aus. Sie konnten nachweisen, dass die Geschichte mit der Verbrecherbande eine Lüge war, inszeniert durch die Untersuchungsbehörde, die dem ägyptischen Innenministerium unterstellt ist. Ein Zeuge hatte während der Durchsuchung der Wohnung eines Bandenmitglieds gesehen, wie ein inzwischen identifizierter Beamter des Kriminalamtes (ein Oberst Mahmud Hendy) den Ausweis und andere Papiere Regenis aus seiner eigenen Tasche zog, die dann als „Beweismittel“ präsentiert wurden.
Im September 2016 rückten die unter Druck geratenen ägyptischen Staatsanwälte dann ein Dokument heraus, das für die weiteren Untersuchungen von entscheidender Bedeutung war: das Protokoll des Verhörs von Mohammed Abdallah, eines Straßenhändlers, der sich Regeni als Vermittler zur Gewerkschaft seiner Berufsgruppe angedient hatte. In Wirklichkeit handelte Abdallah im Auftrag der National Security, dem inneren Geheimdienst, der direkt Innenminister Abdel Ghaffar unterstellt ist. In einem seiner Treffen mit Regeni nahm Abdallah das Gespräch mit einer versteckten Minikamera und einem Mikrophon auf, die er von der National Security mit dem Auftrag erhalten hatte, Regeni zu „kompromittierenden“ Äußerungen zu verleiten, um ihn als „ausländischen Spion“ überführen zu können. Was nicht gelang, weil sich Giulio von Abdallahs Lockfragen nicht beirren ließ (auch das Video liegt inzwischen der italienischen Staatsanwaltschaft vor) und immer wieder betonte, sein Interesse und seine Tätigkeit dienten ausschließlich dem wissenschaftlichen Forschungsprojekt im Auftrag der Cambridge-University.
Es waren die ägyptischen Geheimdienste
Nachdem die italienischen Staatsanwälte noch eine Reihe weiterer Beweise vorlegten, kann jetzt, 14 Monate nach dem Mord, klar gesagt werden: Es waren die ägyptischen Geheimdienste – sekundiert von Beamten der Kairoer Polizei – , die Regeni wegen seiner Forschung über oppositionelle Gewerkschaften über längere Zeit observierten. Sie beauftragten Informanten, die Regenis Vertrauen gewinnen und ihn ausfragen sollten. Im Januar 2016 entführten und folterten sie ihn tagelang, um von ihm Informationen herauszupressen. Dann ermordeten sie ihn. Die zehn Namen derjenigen, die am Foltermord beteiligt waren, sind den italienischen Ermittlern inzwischen bekannt. Ebenso wie ihr Auftraggeber: ihr Vorgesetzter Innenminister Abdel Ghaffar, der während der Untersuchungen behauptete: „Wir kannten Regeni nicht“ und „In Ägypten wird nicht gefoltert“.
Die Wahrheit ist, dass nach dem Militärputsch von 2013 ca. 40.000 Oppositionelle verhaftet, 2.500 Menschen bei Demonstrationen getötet und 1.200 Todesurteile verhängt wurden. Jeden Tag verschwinden in Ägypten Menschen, in Gefängnissen wird systematisch gefoltert. Giulio Regeni ist kein Einzelfall.
Schlussbemerkung: Nach dem Mord an Regeni und während der ganzen Zeit der Ermittlungen gaben sich europäische Regierungschefs, Minister und Staatsoberhäupter bei Al Sisi die Ehre. Im Frühjahr 2016, als die Hinweise auf die Verantwortung des Regimes für den Foltermord bereits erdrückend waren, besuchten der französische Staatspräsident Hollande und die deutschen Bundesminister Gabriel und De Maizière den Diktator. Bundeskanzlerin Merkel reiste noch im März 2017 nach Kairo, als die Beteiligten aus dem ägyptischen Geheimdienst schon namentlich bekannt waren.
Das ist deutsche Staatsräson. Die Kanzlerin möchte Ägypten – ähnlich wie die Türkei – für einen „Deal“ in der Flüchtlingskrise gewinnen. Al Sisi soll auf Libyen einwirken, damit von dort weniger Flüchtlinge über das Mittelmeer den Weg nach Europa wagen. Also lobte sie Ägypten als „stabilisierendes Element in einer kriselnden Region“. Dass ein junger europäischer Forscher von Al Sisis Schergen bestialisch gefoltert und ermordet wurden, war ihr nicht mal einen Satz wert. Soviel zur europäischen Solidarität und zu den in Sonntagsreden gerne hochgehaltenen „Werten“.