Economia | Migration

Mehr Chancen für Tetyanas

Migranten könnten vielfach einen höheren Beitrag zu Südtirols Entwicklung liefern als sie es aktuell tun. Doch der Weg dorthin führt auch über mehr Offenheit, sagt die Ukrainerin Tetyana Pivovar.
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Foto: Facebook/Goggel Totsch

Ihre Geschichte kann als Erfolgsgeschichte gesehen werden. Seit die Kindergärtnerin und diplomierte Psychologin Tetyana Pivovar im Jahr 2000 ihr Heimatland Urkaine verließ, weil sie seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten hatte, hat sie viel erreicht. Sie hat nach jahrelangen Hilfstätigkeiten als Altenpflegerin und Putzkraft eine feste Anstellung als Kassiererin beim Handelskonzern Aspiag, sie hat eine eigene Wohnung, hat es geschafft, nach fünf Jahren, ihren jüngeren Sohn nach Südtirol nachzuholen, hat Freunde und ein soziales Netz. Ein Weg, der mit viel Einsatz, Verzicht und psychischen wie physischen Belastungen verbunden war. Hat sie als nun mit einem festen Job ihr Ziel erreicht? „Ich bin natürlich dankbar, dass ich eine geregelte Arbeit habe“, antwortet sie. „Doch ich mache eine Arbeit, für die ich nicht studiert habe – und in der ich meine 16-jährige Berufserfahrung in der Ukraine nicht einbringen kann.“

Wie viele Südtiroler Migrantinnen und Migranten eine ähnliche Aussage treffen würden, macht die aktuelle Studie des Institutes apollis deutlich, mit der im Auftrag des Europäischen Sozialfonds und des Landesamtes für Arbeitsmarktbeobachtung unter anderem erstmals die Qualifikation von Zuwanderern und ihre tatsächliche Arbeitssituation beleuchtet wurde. Das Ergebnis liegt im Trend anderer europäischer Länder: Zuwanderer übertreffen beispielsweise mit einer Akademikerquote von etwa 15 Prozent (gegenüber sieben Prozent bei den Südtirolern) das Ausbildungsniveau heimischer Arbeitskräfte bei weitem. Die Qualifikation ihrer Jobs liegt dagegen zumeist weit unter jener heimischer Arbeitskräfte.

Wie dieses Potential nicht nur zugunsten der Einwanderer, sondern vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes besser genutzt werden kann, wurde gestern von Landesrat Roberto Bizzo, Abteilungsdirektor Helmut Sinn sowie den apollis-Verantwortlichen vorgestellt. Die Richtung, in die die Vorschläge von apollis-Direktor Hermann Atz gehen? Eine  aktive statt reaktive Arbeitsmarktpolitik in Bereichen wie Weiterbildung, Arbeitsvermittlung, Anerkennung von Studientiteln, Karriereförderung und Koordinierung der Berufsmaßnahmen. Als Beispiele dafür nennt er eine eigene Arbeitsbörse für Migranten, oder auch Kampagnen, mit denen beispielsweise zuletzt in Österreich mit Erfolg Migranten dafür sensibilisiert wurden, dass und wie sie ihre Studientitelanerkennung  anerkennen können. Neben solch harten Barrieren gilt es aber auch weiche Faktoren wie mangelnde Informationen oder Vorurteile von Seiten der Arbeitgeber, die bei apollis nun in einer kleinen Folgestudie genauer beleuchtet werden sollen, so Atz.

Für Tetyana Pivovar war der wichtigste Schritt, um zumindest aus dem Kreislauf von Hilfstätigkeiten auszubrechen, ein Kurs bei der Genossenschaft Donne Nissà. „Dort habe ich zuerst einmal alles rausgeheult, was ich verloren habe und in den ersten Jahren hier mitgemacht habe“, sagt sie, „und dann habe ich einen richtigen Schub bekommen, meine Situation zu verbessern“.  Doch obwohl sie die Zweisprachigkeitsprüfung hat und zumindest bei privaten Strukturen kein Problem hätte, in ihrem Beruf als Kindergärtnerin zu arbeiten, hat sie die Suche zumindest momentan aus Frust aufgeben. „Bei einer Bewerbung habe ich ein Angebot bekommen“, sagt sie, „doch nicht als pädagogische Fachkraft, sondern als Köchin“. Denn, wie sie meint: „In der Ukraine muss man Geld zahlen, um einen Job zu bekommen, hier braucht man Beziehungen.“ Was also ist laut ihr am dringendsten zu tun, um diese Barrieren zu brechen. „Die Leute müssten einfach mehr Vertrauen in uns haben – und sehen, dass wir genauso gut sind wie die anderen.“ Und manchmal sogar besser.