Ambiente | Pestizide

„180-Grad-Volte à la Tsipras“

Was hat Ulrich Veith mit Alexis Tsipras gemeinsam? Und warum scheinen in Mals plötzlich beide Lager zufrieden? Details vom schwierigen Weg zum Pestizidverbot.

Nicht nur die Verfechter eines Malser Pestizidverbots feiern in diesen Tagen die Abänderung der Gemeindesatzung, die dem Pionierprojekt der Vinschger Gemeinde den Weg ebnen soll. Auch auf der Gegenseite lehnt man sich nach Bekanntwerden des Beschlusses erst einmal entspannt zurück. „Damit können wir sehr gut leben“, sagt Arthur Frei, Anwalt jener rund 150 konventionellen Obstbauern und Malser, die im Zusammenhang mit der Volksbefragung einen Prozess gegen die Gemeinde eingeleitet haben.  Doch im Gegensatz zum Text des Referendums scheint das, was am Donnerstag Abend im Malser Gemeinderat beschlossen wurde, den konventionellen Bauern runterzugehen wie Öl. „Damit hat die Gemeinde eine 180-Grad-Volte hingelegt wie Alexis Tsipras“, sagt Anwalt Frei. Nach dem kompromisslosen „Nein zu Pestiziden auf dem gesamten Gemeindegebiet“ im Text der Volksbefragung wimmelt es laut Frei in der nun beschlossenen Umsetzung des Ergebnisses nur so von „Wenn und Abers“.

Art 3, Absatz 3 - Malser Gemeindesatzung

Im Rahmen der ihr vom Gesetz zugewiesenen Funktionen und soweit in ihrer Zuständigkeit setzt sich die Gemeinde als prioritäre Ziele den vorsorglichen Schutz der Gesundheit von Gemeindebürgern und Gästen, einen nachhaltigen Umgang mit Natur und Gewässern sowie die gleichberechtigte, unbeschadete Ausübung verschiedener Wirtschaftsformen auf dem Gemeindegebiet.

„Wenn sich  die Gemeinde nun ohnehin im Rahmen aller geltenden Gesetze und ihrer Zuständigkeit bewegen will, gibt es kein Problem“, meint der Anwalt.  Arthur Freis Prognose: Das, was am Donnerstag Abend in Mals beschlossen wurde, werde zu keinem flächendeckenden Pestizidverbot führen. Die Landwirtschaft könne in Mals weitermachen wie bisher – mit allen Möglichkeiten und Einschränkungen, die bereits heute bestehen, glaubt er.

„Das kann uns nur recht sein, wenn sie das so sehen“, kontert der Malser Bürgermeister Ulrich Veith solche Einschätzungen. „Dann können wir in Ruhe weiterarbeiten“. Seine Gegenprognose: Das Pestizidverbot in Mals werde kommen. „Es wird sicher nicht einfach, aber wir ziehen das durch.“ Die Änderung der Gemeindesatzung ist laut dem Malser Bürgermeister nur der erste Schritt. Damit wurde nun die Basis und vor allem die Marschrichtung vorgegeben: Parallel zum Verbot der definierten Kategorien von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln will die Gemeinde den Einsatz biologischer Pflanzenschutzmittel fördern. Wie all das konkret erreicht werden soll, wird allerdings erst in einer Durchführungsverordnung definiert.

Art 9 bis – Malser Gemeindesatzung

1.     Im Rahmen der eigenen Funktionen und Zuständigkeiten verpflichtet sich die Gemeinde gemäß dem Vorsorgeprinzip jede Maßnahme und jede nützliche Aktion zu setzen, um Gefahren für die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen zu vermeiden, um den größtmöglichen Schutz von Menschen, Tier, Pflanzen und Umwelt sicher zu stellen.

 2. Um die Vorgaben des vorhergehenden Absatzes gemäß den Prinzipien in den Absätzen 3 und ff des Art. 3 umzusetzen, wird die Gemeinde, unter Einhaltung der geltenden Gesetzgebung, mit eigener Durchführungsverordnung die Art und Weise regeln, wie im Gemeindegebiet der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gemäß der EU-Verordnungen 834/2007 und 889/2008 gefördert und der Einsatz sehr giftiger, giftiger, gesundheitsschädlicher und umweltschädlicher chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel auf dem Gemeindegebiet nicht zugelassen wird.

Dafür wird man in Mals nun jene Beweise vorlegen müssen, die selbst Europarechtler Walter Obwexer mittlerweile als mögliches Schlupfloch für eine Malser Ausnahmeregel nennt.  Um giftige und gefährliche Pflanzenschutzmittel zu verbieten, die in allen 28 Mitgliedsstaaten zugelassen sind, müsste die Gemeinde regionale Besonderheiten wie den Vinschger Wind geltend machen, erklärte er auf RAI Südtirol.  Die Gemeinde müsste aber nicht nur nachweisen, dass es den Wind gibt, sondern auch weitere Belege für die Notwendigkeit eines Verbots vorlegen – wie etwa neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Biobauern der Region durch die Pflanzenschutzmittel geschädigt werden sowie den Nachweis, dass es keine andere Maßnahme gibt, sie trotz Wind dennoch zu schützen, sagt der Europarechtler.

Genau in die Richtung wird es gehen, meint Ulrich Veith. Rückendeckung solle der Gemeinde dabei die EU-Verordnung 128 aus dem Jahr 2009 geben, die unter besonderen Bedingungen und Voraussetzungen auch das Verbot zugelassener Pestizide erlaube. In der Verordnung finde sich übrigens kein Hinweis, dass Gemeinden oder Regionen von einem solchen Recht ausgeschlossen seien, meint Veith. „Dafür steht explizit drinnen, dass Pestizide vor allem durch die Abdrift nachweislich der Gesundheit schaden."