Ambiente | Verkehr

Schade um die gute Luft

Weil die Stickstoffdioxid-Belastung im Land immer noch zu hoch ist, müssen Lösungen her. Vor allem die Brennerautobahn sorgt für hohe Konzentrationen und Polemiken.

Dieser Tage geht es wieder heiß her. Weniger auf den Thermometern als auf den Straßen des Landes. Starker Reiseverkehr und Besucherströme in Südtirols Städte sorgen auch am Tag nach dem Ferragosto-Wochenende für verstopfte Autobahnen und Verkehrschaos auf den Stadteinfahrten. Das strapaziert nicht nur die Nerven der Autoinsassen, sondern auch die Gesundheit von Mensch, Tier und Natur. Besonders gefährlich und aktuell wieder heftig diskutiert sind die Stickstoffdioxid-Werte (NO2). Der tagtägliche Straßen- und insbesondere der Schwerverkehr zählen laut Angaben des Deutschen Umweltbundesamtes zu den bedeutendsten NO2-Quellen. Stickstoffoxide (dessen wichtigste Verbindungen Stickstoffmonoxid, NO, und Stickstoffdioxid, NO2 sind) bergen ein nicht unwesentliches Gesundheitsrisiko und sind unter anderem für die sommerliche Ozonbelastung verantwortlich. Darüber hinaus tragen sie zur Feinstaubbelastung bei.


Problemkind Brennerautobahn

Um den hohen, durch den Menschen verursachten Stickstoffdioxid-Konzentrationen entgegen zu wirken, hat man EU-weit, aber auch auf Staatsebene diverse Maßnahmen ergriffen. Doch die Ziele hat man sich wohl zu hoch gesteckt. Auch hierzulande. Denn wie das zuständige Landesamt für Luft und Lärm in den vergangenen Tagen bekannt gab, werden die Jahresgrenzwerte für Stickstoffdioxid entlang der Brennerautobahn auch 2015 nicht eingehalten werden. Der Jahresgrenzmittelwert beläuft sich auf 40 Mikrogramm NO2 je Kubikmeter Luft. Und vor allem entlang der Brennerautobahn, wird dieser Wert Jahr für Jahr gesprengt. Auch wenn die Überschreitungen rückläufig sind, wurden an beiden Messstationen entlang der A22 – jener in Schrambach und jener in Auer – auch 2014 erhöhte Werte gemessen. 58,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft betrug der NO2-Mittelwert im Eisacktal, 41,5 im Unterland.

“Bereits seit einigen Jahren mahnen wir an, dass ab dem 1. Jänner 2015 die europäischen Grenzwerte für Luftschadstoffe zwingend einzuhalten sind”, erinnern Andreas Riedl und Klauspeter Dissinger vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz in einer Aussendung. Und tatsächlich: Ginge es nach der EU, hätte der Sanierungsplan für Stickstoffdioxid bereits vor fünf Jahren umgesetzt werden sollen. Brüssel gewährte schließlich einen Aufschub bis 2015. Doch ab dem kommenden Jahr soll es saftige Strafen regnen, wenn der Jahresmittelwert in einem Jahr überschritten wird.


Nur vom Nachbar abschauen?

Doch gehen die bisher getroffenen Maßnahmen den hiesigen Natur- und Umweltschützern nicht weit genug: “Im Falle von erhöhten Stickoxid-Werten geht es nicht um irgendwelche abstrakten Grenzwerte, sonder um eine Gesundheitsgefährdung”, warnen Riedl und Dissinger. Sie rechnen vor: “Laut einer Studie des Schweizer Bundesamtes für Umwelt aus dem Jahr 2014 belaufen sich die jährlichen Folgekosten der Luftverschmutzung in der Schweiz auf mehrere Milliarden. Zudem führen Luftschadstoffe nachgewiesenermaßen zu ernsthaften Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und haben umgerechnet auf Südtirol circa 200 vorzeitige Todesfälle pro Jahr zur Folge.” Auch Allergiker leiden nachgewiesenermaßen unter einer erhöhter NO2-Konzentration. Durch die größere Belastung können sich die Bronchien verengen und dadurch die Wirkungen von Allergenen verstärken. In der Natur sorgt Stickstoffdioxid unter anderem für Überdüngung und Versauerung von Böden und ein Gelbwerden der Blätter und Kümmerwuchs.

Was tun also? “Der schwarze Peter wird in dieser Angelegenheit nur allzu gern Rom zugeschoben”, sind sich Riedl und Dissinger sicher. Immer wieder werde bemängelt, dass die Verhandlungen über verbindliche Maßnahmen zur Stickstoffdioxid-Verringerung entlang der Brennerachse äußerst zäh seien. “Dabei sitzen auch in Rom politische Vertreter Südtirols, die bis dato noch nicht mit einem Einsatz für bessere Luft entlang der A22 auf sich aufmerksam gemacht haben.” Dabei liege eine Lösung – zumindest aus Sicht der Natur- und Umweltschützer – nahe: “Die Landesregierung müsste zum Schutz und Wohlergehen der eigenen Bevölkerung bewährte Maßnahmen aus Nordtirol auch auf der A22 einführen. Dazu gehört neben der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auch das sektorale Fahrverbot.”


Lösungen, die nicht allen gefallen

Doch sieht man im Dachverband für Natur- und Umweltschutz auch unmittelbaren Handlungsspielraum: “Konkret und kurzfristig lösen ließe sich die Stickoxid-Problematik schon allein durch die Anpassung der Schwerverkehrs-Maut auf der Brennerautobahn an umliegende Alpenübergänge. Ganze 600.000 Transit-Lkws pro Jahr – immerhin ein Drittel des gesamten Schwerverkehrs über den Brenner – würden so von heute auf morgen verschwinden.” Ein ähnlicher Vorschlag kommt auch von Georg Pichler. Als Direktor des Amtes für Luft und Lärm kann er sich etwa die Einführung der Eurovignette vorstellen: “Dadurch würden die Lkws nach dem Verschmutzungsprinzip für die Durchfahrt zahlen”, erklärt er im Gespräch mit der Tageszeitung Dolomiten. Aber auch die verstärkte Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene sowie die Einführung einer dynamischen Geschwindigkeitsbegrenzung wären für Pichler vorstellbar.

Auf zahlreichen österreichischen Atuobahnen gilt seit Ende 2014: Runter vom Gas.

Seit Ende November 2014 gilt auf einigen Tiroler Autobahnen Tempo 100 – ein “permanenter Lufthunderter”. Darunter auch auf der Strecke Innsbruck-Süd und Schönberg der Brennerautobahn. Die Erfahrungen damit sind durchwegs positiv, zumindest für die Grüne Tiroler Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe. In Südtirol wehren sich nach wie vor Transit-Unternehmen und Wirtschaft gegen eine verpflichtende Geschwindigkeitsbegrenzung und sektorale Fahrverbote. Handelskammerpräsident Michl Ebner spricht von einer “zusätzlichen Belastung für die Wirtschaft”, Fercam-Chef Thomas Baumgartner von einer “Wettbewerbsverzerrung”.


Lufthunderter nach Tiroler Vorbild?

Ob das Beispiel Tirols auch hierzulande Schule machen wird, wird sich zeigen. Doch untätig will man nicht bleiben. “Mit dem Grundsatzpapier zur Verlagerung des Güterschwerverkehrs auf die Schiene haben wir bereits im Mai eine klare Marschroute der Stickstoffdioxid-Belastung festgelegt”, erinnerte Landeshauptmann Arno Kompatscher Ende vergangener Woche. Im Herbst will das Land ein EU-Projekt zum dynamischen Tempolimit einreichen. Gemeinsam mit der Nachbarprovinz, der Universität Trient, der Brennerautobahngesellschaft und allem Anschein nach auch der österreichischen Autobahngesellschaft ASFINAG. Für den Fall, dass das Projekt angenommen wird, bestünde laut Georg Pichler vom Amt für Luft und Lärm die Chance, dieses auszuarbeiten und ab Frühjahr 2016 auf der Brennerautobahn zu testen. Ein ambitioniertes Anliegen, das aber unumgänglich scheint. Denn das Problem der erhöhten Stickstoffdioxid-Werte ist “durch die Lage Südtirols entlang der Brennerachse nur schwer auf lokaler Ebene zu lösen”, heißt es im erst kürzlich präsentierten Bericht des ASTAT zu den Stärken und Schwächen der Südtiroler Wirtschaft. Darin wurde die Schadstoff-Belastung der Luft als (einzige) Schwäche Südtirols ausgemacht.

 

UPDATE

Am Montag Nachmittag erreicht die Medien eine Stellungnahme von Umweltlandesrat Richard Theiner. Darin reagiert er auf die Vorwürfe, die Südtiroler Politik habe in diesem Bereich in Rom nichts unternommen und stellt klar: “Die Maßnahmen zur Reduzierung der Stickoxidbelastung entlang der Brennerautobahn sind uns ein wichtiges Anliegen.” Theiner präzisiert: “Seit Jahren wartet ein von der Landesumweltagentur ausgearbeiteter Maßnahmenkatalog zur Begrenzung der Schadstoffbelastung entlang der Autobahn auf die Genehmigung durch eine vom römischen Ministerrat einberufene Kommission. Dieser sieht unter anderem ein dynamisches Tempolimit entlang der A22 vor, falls die Stickstoffoxid-Grenzwerte überschritten werden, sowie Maßnahmen zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene.”

Südtirol habe lokal seine Hausaufgaben in punkto Erneuerung der öffentlichen Fuhrparke, Grenzwerte für Heizungen, Verkehrsbeschränkungen und so weiter erledigt, aber was die Brennerautobahn betreffe, seien dem Land die Hände gebunden, so der Umweltlandesrat. “Die Stickoxid-Problematik an der Brennerautobahn war in der Vergangenheit Gegenstand mehrerer Interventionen in Rom”, berichtet Theiner. Zuletzt sei er selbst bei Umweltminister Gian Luca Galletti auf die Genehmigung des Maßnahmenkatalogs gepocht. “Während uns das Umwelt- und das Gesundheitsministerium ihre Zustimmung signalisiert haben, gibt es Widerstände aus dem Transportministerium. Eventuelle Bedenken sollen demnächst im Rahmen eines Termins bei Transportminister Delrio ausgeräumt werden.”