Bivacco
salto.bz: Sie kuratieren die Ausstellung "Bivacco" in Venedig, führen dort mit Kunst Bergluft und Meeresbrise zusammen. Verraten Sie uns wie?
Christiane Rekade: Bivacco ist ein Projekt des Vereins ArtintheAlps nach der Idee und dem Konzept des Künstlers Hannes Egger: Ein originales, altes Hochgebirgsbiwak wird von den Südtiroler Alpen ans Meer reisen – genauer: auf die Insel San Servolo in Venedig, wo es während der Dauer der Biennale die ortsspezifischen Projekte von sieben jungen Künstler*innen – Jacopo Candotti, Nicolò Degiorgis, Hannes Egger, Julia Frank, Simon Perathoner, Leander Schönweger, Maria Walcher – beherbergen wird.
Das Biwak ist das Gegenteil eines White Cubes – es hat weder weisse noch freie Wände – die Wände sind mit den Pritschen verstellt, es ist eng und dunkel, es gibt keinen Stromanschluss und es ist weder Aufsichtspersonal noch Videoüberwachung vorhanden.
Die orangefarbene Biwakschachtel wurde 1972 am Fusse der Hochferner Wand, nahe der italienisch-österreichischen Grenze installiert und ist nach dem 1970 am Himalaya tragisch verunglückten Bruder Reinhold Messners, nach Günther Messner, benannt. 1999 wurde die Notunterkunft durch eine neueres Biwak ersetzt und befindet sich seitdem im Besitz Reinhold Messners, der es uns freundlicherweise für dieses Projekt geliehen hat.
Die Insel San Servolo konnte viele Jahre nicht besichtigt werden. Nun wird sie – im Sinne Reinhold Messners – wiederbestiegen. Welche Rolle wird sein Biwak spielen?
Das Biwak ist ja im alpinistischen Sinne eine mit dem Nötigsten ausgerüstete Notunterkunft, eine minimale Architektur, die jedem Menschen einen offenen, grenzüberschreitenden und sicheren Raum bietet.
So wird in der Ausstellung zum einen die Bedeutung des Bivacco als ein Ort des Schutzes, des Durchgangs, der Migration, des Empfangs, des Austausches und der Überwindung von Grenzen reflektiert. Zum andern ist aber auch die Besonderheit dieser Architektur, ihre Materialität und die Geschichte des Günther Messner- Biwaks selber ein Thema der Ausstellung.
Wie gut eignet sich das Biwak für zeitgenössische Positionen?
Das Biwak ist das Gegenteil eines White Cubes – es hat weder weisse noch freie Wände – die Wände sind mit den Pritschen verstellt, es ist eng und dunkel, es gibt keinen Stromanschluss und es ist weder Aufsichtspersonal noch Videoüberwachung vorhanden. Die Möglichkeiten sind also sehr eingeschränkt und die Kunstwerke auch einigen Risiken ausgesetzt. Genau darin liegt aber das grosse Potential des Biwaks und dieses Projektes: Die Künstler*innen standen vor der Herausforderung, aus diesem kleinsten Raum, der jedoch dicht besetzt ist mit Geschichte, Geschichten und Bedeutungen – den grösstmöglichen Imaginations-und Denkraum zu schaffen. So haben einige – wie etwa Maria Walcher oder Jacopo Candotti direkt mit der typischen Einrichtung des Biwaks gearbeitet und diese umgeformt oder umgedeutet. Andere wiederum – Hannes Egger, Simon Perathoner oder Nicolò Degiorgis – thematisieren die Herkunft, den historischen Hintergrund des Bivacco und Leander Schönweger gelingt es sogar, seine Vision des im beschränkten Raum unterzubringen.
Die Ausstellung weist auch auf einen historischen Hintergrund hin und offenbart Südtiroler Zeitgeschichte aus den 1970er Jahren.
Ein Anlass der Reises des Biwaks von den Alpen ans Meer ist das 100-jährige Jubiläum der Unterzeichnung des Vertrages von Saint Germain, mit dem Tirol geteilt und Südtirol sowie das Trentino dem Staat Italien angegliedert wurde. Es reflektiert die Bemühungen und die Herausforderung des friedlichen Zusammenlebens, der offenen Grenzen, des Austausches. Themen, die in Europa wieder dringlich sind und die Südtirol in seiner Geschichte erfahren hat und immer noch täglich "er"-lebt.
Über diesen Raum nachzudenken, scheint mir interessanter als das Selfie auf der Bergspitze.
In welcher Beziehung zur Biennale wird die Ausstellung stehen?
Die Ausstellung wird parallel zur Venedig Biennale zu sehen sein. Die Eröffnung findet auch in den Preview-Tagen der Biennale statt, wo in Venedig viel internationales Publikum für zeitgenössische Kunst anwesend sein wird und somit die Visibilität für das Projekt am größten ist.
Ist das Projekt Bivacco also unmittelbar vor der Biennale-Gipfelerstürmung? Können sich hier die Künstlerinnen und Künstler auf einen erfolgreichen Gipfelsturm in zwei Jahren vorbereiten?
Das Interessante an den Biwaks ist ja, dass sie nie auf den Gipfeln installiert sind – sie stehen an Übergängen, an den Bergsatteln oder eben am Fusse einer zu erklimmenden Bergwand. Sie befinden sich also in einem Zwischenraum - zwischen Aufbruch und Ziel. In dieser unsicheren, aber auch offenen, höchst spannenden Zone bieten sie Schutz und Rast. Über diesen Raum nachzudenken, scheint mir interessanter als das Selfie auf der Bergspitze.
Wie lange wird die Ausstellung zu sehen sein, und was passiert mit Reinhold Messners Biwak am Ende der Schau?
Nach der Ausstellung auf San Servolo wird das Biwak voraussichtlich noch einige Stationen in Südtirol einlegen, bevor es wieder in die Obhut des Messner Mountain Museums zurückkehrt.