Ambiente | Zukunftszenario

Morgen könnte es zu spät sein

Marc Elsberg ist Gast beim Civil Protect Congress. Der Autor von "Blackout" spricht über die Folgen von Stromausfällen, und wie eng wir mittlerweile alle vernetzt sind.
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Am 19. und 20. März findet in der Messe Bozen die Zivilschutz-Fachtagung "Civil Protect Congress" statt. Als Aufhänger der Vortragsreihe dient der Techno-Thriller "Blackout – Morgen ist es zu spät" von Marc Elsberg. Der Autor ist anwesend und die durchaus realistischen Grundlagen seines internationalen Bestsellers erläutern. Der Wiener Schriftsteller beschreibt darin die Auswirkungen eines zweiwöchigen Stromausfalls in halb Europa.

Herr Elsberg, für Ihr Buch war sicherlich eine Menge Recherche nötig. Würden Sie sich jetzt als Blackout-Experten bezeichnen?
Marc Elsberg: Ich habe mit sehr vielen Fachleuten gesprochen. Also ich könnte bis heute kein Smartphone hacken – das können die Leute, mit denen ich gesprochen habe.

Was ist für Sie persönlich nun ausschlaggebend, um einen eventuell auch länger andauernden Ausfall zu überstehen, ohne dass es zu Szenarien kommt wie jene, die Sie in Ihrem Buch beschreiben? Also Gewaltexzesse wie Prügeleien um Lebensmittel, Tote in den Krankenhäusern, ein Super-GAU in Atomkraftwerken…
Die wichtigste Voraussetzung wäre eigentlich eine gesellschaftliche Vorbereitung. Man kann das jetzt auf das Individuum runterbrechen, aber das ist letztendlich nur ein winziger Bestandteil. Dass zum Beispiel jeder, so wie es unsere Eltern und Großeltern noch hatten zu Hause ein paar Vorräte hat. Da gibt es im Allgemeinen sogar von den jeweiligen Stellen in den Ländern – ob es jetzt das Innenministerium oder Bevölkerungsschutzbehörden oder sonst was sind – auch Empfehlungen.

Wie zum Beispiel?
Meistens wird empfohlen, Vorräte von ein zwei Wochen zu Hause zu lagern. Und man muss ja auch nicht das worst-case-Szenario annehmen, sondern Vorräte lagern ist für viele Fälle sinnvoll. Ein großer Stromausfall ist ja nur ein mögliches Szenario. Das kann auch einmal ein lokaleres Ereignis sein, eine Flut, ein Unfall in einem Chemiewerk oder in einem Kernkraftwerk, ein paar sehr kalte Wintertage – Situationen, wo die Versorgung vorübergehend etwas kritischer wird. Diese Empfehlungen schaden also sowieso nicht. Alles, was darüber hinaus geht, zeigt dann die Grundproblematik. Es gibt ja zum Beispiel auch Menschen, die Vorräte für Monate zu Hause haben. In den USA gibt es Leute, die haben für drei Monate Wasser und Lebensmittel zu Hause. Und Waffen und Munition.

Wofür sollten Waffen und Munition in solchen Fällen gut sein?
Um sich zu verteidigen. Weil wenn man im Ernstfall so gut ausgerüstet ist, dann kommen die, die nichts mehr haben auch irgendwann daher. Und wenn man das nicht teilen möchte, wie gesagt, will man sich verteidigen. Aber das zeigt, dass das eigentlich Wesentliche ist, dass wir uns als Gesellschaft darüber Gedanken machen: Wie kann man eine solche Situation überhaupt am besten weitestgehend verhindern?

Bis zu einem gewissen Grad kann mit sehr wenig Aufwand sehr viel verhindert werden.

Ist so etwas heute noch möglich in unserer vernetzten Welt, in der wir alle in irgendeiner Form voneinander abhängig sind?
Wir haben in den letzten zwanzig, dreißig Jahren ein sehr komplexes System in unserer Gesellschaft geschaffen, von unzähligen gegenseitigen Abhängigkeiten, die so eng miteinander verflochten sind. Und zwar nicht nur kommunikativ – bei Vernetzung denkt man ja oft nur ans Internet – sondern strukturell.

Welche Folgen hat diese strukturelle und auch globale Vernetzung?
Wenn man sich Produktionsprozesse anschaut: Wir haben heute lauter On Demand oder Just In Time outgesourcte Produktionsprozesse. Sie werden heute kaum mehr ein Produkt in der – westlichen – Welt bekommen, das nicht über mehrere Kontinente hinweg entstanden ist.

Das war ja auch der Ausgangspunkt für Ihr Buch?
Genau, das war eigentlich der Ausgangspunkt für Blackout. Diese ganzen komplexen Produktions- und Wertschöpfungsketten brechen in so einem Fall zusammen. Und das sogar relativ schnell.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr wir eigentlich von einer funktionierenden Stromversorgung abhängig sind?
Was ich immer faszinierend fand, war, dass beispielsweise die allermeisten Tankstellen nicht funktionieren wenn der Strom großflächig ausfällt. Dann kann ich nicht mehr tanken, dann natürlich auch die ganzen LKWs nicht. Und nach ein bis zwei Tagen, wenn die Tanks leer sind, geht dann nichts mehr. Die Bahnverbindungen brechen weitgehend auch zusammen.

Große Unternehmen und Behörden werden doch für so einen Fall vorgesorgt haben?
Zum Teil haben Bahngesellschaften zwar eigenen Strom, zum Teil auch andere Stromarten. Aber das nutzt auch nichts, denn wenn auch hier zunehmend die Vernetzung greift, dann sind die Weichen, dann sind die Bahnhöfe und andere Systeme im Bahnnetz vom öffentlichen Netz abhängig. Und so weiter und so fort.

Sie haben jetzt von den unmittelbaren Folgen eines flächendeckenden Blackouts gesprochen, die auch bei kurzen Ausfällen sofort eintreten. Daneben gibt es sicher auch längerfristige Folgen?
Die kurzfristigen Folgen beschreibe ich ja im Buch. Das ist, wenn wir ein Szenario von ab zwei, drei Tagen haben, wo es in den meisten Einheiten, die vielleicht noch Notstromsysteme hatten – Krankenhäuser zum Beispiel – beginnt, kritisch zu werden

Wird irgendwie versucht, dem entgegenzuwirken?
Zumindest in Deutschland sind große industrielle Landwirtschaftsbetriebe inzwischen gesetzlich gezwungen, Nostromsysteme für mehrere Tage zu haben. Das ist kein Wunder, denn wenn Sie da einen Stall mit tausend Rinder oder Schweinen drinnen haben, und der hat keinen Strom mehr, dann ersticken die Tiere innerhalb von Stunden. Und wenn sie nicht ersticken, dann verhungern sie relativ bald, oder sie verdursten. Weil die Fütterung zum Beispiel längst schon elektronisch gesteuert und automatisch durchgeführt wird. Das kann der Bauer selber nicht mehr machen.

Wie würde ein solches Szenario weiter gehen?
Wenn so ein Ausfall länger als eine Woche dauert, dann sind weite Teile dieser industrialisierten Landwirtschaft zerstört. Da haben Sie anfangs das Problem, dass Sie diese ganzen toten Rinder, Schweine, Hühner und anderen Tiere entsorgen müssen. Es wird aber am Treibstoff für die Bagger, um das tote Vieh zusammenzuschieben, fehlen. In der Folge gibt es schon mal ein riesiges Hygieneproblem. Und etwas längerfristig dann natürlich ein Versorgungsproblem.

In Berlin hat man das Szenario einmal durchgerechnet und ist draufgekommen, dass es drei Tage dauern würde, bis die Feuerwehr den letzten Menschen aus stecken gebliebenen Fahrstühlen und U-Bahnen befreit hätte. Und da dürfte die Feuerwehr mit nichts anderem beschäftigt sein. Großinvestoren von Immobilien werden sich in Zukunft über solche Dinge Gedanken machen müssen.

In welchen Bereichen wird das besonders dramatisch sichtbar?
In so einem Fall wäre Grundlage der Lebensmittelversorgung einer Nation zerstört – und zwar auf Jahre hinaus. Neben der Tierproduktion ist auch die Getreide-, Obst- und Gemüseproduktion betroffen. Darüber hinaus ist heutzutage die Lagerhaltung meistens elektronisch gesteuert – Feuchtigkeit und Temperatur – und wenn das ausfällt, dann kommen Schimmel und Fäulnis und zerstören einerseits die gelagerte Nahrung für die nächsten Monate, aber auch das Saatgut für die Zukunft. Tritt ein länger andauernder Blackout in den Sommermonaten auf, ist auch die Ernte betroffen. Es kann nichts mehr vom Feld geholt werden und auch nichts Neues ausgesät.

Und spätestens dann werden soziale Unruhen eine weitere Folge sein?
Die sozialen Unruhen kommen ganz schnell, schon nach wenigen Tagen und halten dann an. Auch weil eine andere Folge des Stromausfalls ist, dass die Geldversorgung zusammenbricht.

Wie kann man das verstehen?
85 bis 90 Prozent des Geldverkehrs laufen heutzutage eh elektronisch, also bei einem Stromausfall nicht mehr. Dann zirkuliert also nur mehr das Bargeld – bei dem ein zusätzliches Verteilungsproblem auftritt. Weil es ja meist zentral hergestellt wird, aber nicht über das Land verbreitet werden kann – und irgendwann wird es auch nicht mehr hergestellt, wozu auch? Es gibt also nur mehr das wenige Geld, das die Menschen in dem Augenblick in der Kassa, im Portemonnaie oder sonst wo haben. Und es entstehen ganz ganz schnell Alternativmärkte, Alternativwährungen, Schwarzmärkte und so weiter.

Landwirtschaft, Geld, Transport: Mit welchen anderen Versorgungsengpässe muss im Falle eines Blackouts gerechnet werden?
Was vielen Leuten nicht bewusst ist, ist, dass die Wasserversorgung meist am öffentlichen Stromnetz hängt. Das heißt, es gibt sowohl unmittelbar und kurzfristig Auswirkungen. Aber auch langfristig, weil beispielsweise Wasserleitungen, durch die einmal ein paar Tage kein Wasser durchgeflossen ist, verkeimen. Bevor also wieder Wasser durchgeschickt werden kann, müssen die Leitungen entkeimt werden, ansonsten droht eine gigantische Durchfallflut im ganzen Land. Die Reinigung dauert unter diesen Umständen aber Wochen bis Monate. Und woran viele Leute auch nicht denken, ist, dass auch die Klospülung von der Stromversorgung abhängig ist. Wenn das Klo nicht mehr gespült wird, ist das bereits nach kurzer Zeit ein großes Problem.

Die komplette Kommunikation bricht weitgehend zusammen. Die Festnetzverbindungen teilweise sofort. Mobiltelefonnetze hätten theoretisch noch ein paar Stunden, praktisch sind sie auch so in diese komplexen modernen System verwoben, dass in den meisten Fällen nur circa eine halbe Stunde nach dem Ausfall weiter Signale gesendet werden können.

Neben den ganzen Horror-Szenarien und negativen Auswirkungen – kann ein solcher Stromausfall auch etwas Gutes haben? In ihrem Buch etwa werden zwei der Hauptfiguren am Ende ein Paar. Hartnäckig hält sich auch der Mythos von dem Baby-Boom neun Monate nach einer Nacht ohne Strom.
Dieser Mythos ist meines Wissens widerlegt worden. Nein, es gibt absolut nichts Positives an einem großflächigen Stromausfall in unserer modernen Welt. Es gibt eine Studie, die parallel zu meinem Buch vom deutschen Bundestag in Auftrag gegeben wurde. Diese kommt zum Ergebnis, dass bereits nach zwei Tagen in Deutschland eine unkontrollierbare Situation herrschen würde. Weil es geht einfach gar nichts mehr. Auch das Gesundheitssystem bricht binnen Stunden zusammen.

In Ihrem Buch erheben Sie keinen Faktizitätsanspruch der beschriebenen Ereignisse, doch beschreiben Sie Abläufe, die es so oder ähnlich geben könnte. Nun warnt unter anderem das Deutsche Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe vor möglichen Zwischenfällen anlässlich der Sonnenfinsternis am 20. März. Gibt es Anlass zur Sorge?
Diese Sonnenfinsternis ist ein bisschen wie das Jahr-2000-Thema seinerzeit, in kleinerem Umfang. Das kommt nicht überraschend, man kann sich darauf vorbereiten und letztendlich alles dafür tun, damit es zu keinen größeren Zwischenfällen kommt.

Ist eine Warnung vonseiten der Behörden also eher Panikmache?
Nein, das finde ich nicht. Es ist eine Herausforderung für die entsprechenden Verantwortlichen in den Ländern. Aber dadurch, dass man sich auf die Sonnenfinsternis vorbereiten kann, glaube ich, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass etwas passiert. Das Problem heute ist aber, dass eben diese ganzen Systeme so eng miteinander verknüpft sind, dass eben auch ein kleiner Auslöser eine gewaltige Wirkung haben kann.

Wie es auch bei dem großen Stromausfall am 28. September 2003 in Rom der Fall war?
Genau, damals ist in der Schweiz ein Baum auf eine Leitung gefallen und hat für ein Blackout in ganz Italien und Vatikanstadt gesorgt. In einem anderen, aktuellen Beispiel von 2013, welches nicht so wahrgenommen wurde, ist das Steuerungssystem des österreichischen Hochspannungsnetz für ein paar Stunden ausgefallen. Und das, weil in einem bayrischen Gasnetz eine testweise Zählerabfrage gestartet wurde. Diese hat sich auf absurden Umwegen in das Steuerungssystem des österreichischen Hochspannungsnetzes verirrt und dort einen Fehler ausgelöst, der zu einer Überlastung geführt hat, woraufhin sich das abgeschaltet hat.

Unvorstellbar – eine Zählerabfrage in einem Gasnetz in Bayern sorgt dafür, dass in Österreich die Steuerung des Hochspannungsnetzes ausfällt …
Das zeigt, wie unheimlich verknüpft das alles inzwischen ist – wesentlich mehr noch als wir uns das bewusst sind. Und dass auch in einer Situation wie am Freitag (20. März, Anm.), wo man sich sehr gut vorbereitet hat, nicht ausschließen kann, dass – so wie es 2013 passiert ist – eine Summe von kleinen menschlichen Fehlern aufschaukelt zu einem größeren Problem. Und das kann man auch für den Freitag natürlich nicht ausschließen.

Wie wird Marc Elsberg den 20. März verbringen?
Ich bin zu Hause und werde erstmal ganz entspannt sein.