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Wie man sich bettet

Im Laufe der Jahre sind in Südtirol hunderte Krankenhausbetten verschwunden. Der neue Sanitätslandesrat liefert eine Erklärung, die verwundern darf.
Krankenhaus
Foto: Pixabay

“Ich kann Ihnen sagen, dass es zur Zeit sicher überall angenehmer ist, als im Sanitätsbetrieb Verantwortung zu tragen. Dasselbe gilt für die zuständigen Politiker!” So gut dieser Satz in die heutige Zeit passen würde – es war Richard Theiner, der ihn vor über neun Jahren fallen ließ. Im Landtag geht es am 3. Februar 2013 um einen Beschlussantrag von Andreas Pöder. Der oppositionelle Abgeordnete fordert: “Kein Bettenabbau in öffentlichen Krankenhäusern in Südtirol”. Stein des Anstoßes ist das von der Regierung Monti 2012 beschlossene Gesetzesdekret 95/2012 zur Spending Review. Dank der darin vorgesehenen Maßnahmen sollen Milliarden an öffentlichem Geld gespart werden. Auch im Gesundheitswesen ordnet Rom Einsparungen an. Unter anderem über eine Anpassung der Krankenhausbetten. Künftig soll in allen Regionen und Autonomen Provinzen ein Schlüssel von 3,7 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner gelten: 3 Akut- und 0,7 Reha-Betten. In Südtirol ist 2012 die Rede von rund 200 zu streichenden Betten.

Wie viele sind seither tatsächlich abgebaut worden? Und hält die Begründung dafür der Realität stand?

 

Mehr Menschen, weniger Betten

 

1984 gab es in den öffentlichen Krankenhausstrukturen landesweit 2.828 Betten. Ganze 1.243 weniger, nämlich 1.585, waren es im Jahr 2020, aus dem die letzten verfügbaren ASTAT-Daten stammen (N.B.: Die Krankenhausbetten in den mit dem Sanitätsbetrieb konventionierten privaten Einrichtungen sind hier nicht berücksichtigt). Zudem standen 2020 den Südtirolern verhältnismäßig nur mehr halb so viele Krankenhausbetten zur Verfügung wie 1988: Damals waren es 7,4 pro 1.000 Einwohner, 2020 waren es 3,7. Seit der Jahrtausendwende sind 700 Betten verschwunden. “Bedenkt man, dass im selben Zeitraum die Südtiroler Bevölkerung von 462.999 (im Jahr 2001) auf 533.715 (im Jahr 2020) angewachsen ist, ergibt sich das folgende erschütternde Bild: Dem Bevölkerungsanstieg von 15 % wurde mit einem Krankenhausbettenabbau von 30 % begegnet”, stellen die Grünen Landtagsabgeordneten fest. Sie haben, ebenso wie Ulli Mair von den Freiheitlichen, den zuständigen Landesrat nach einer Erklärung für den Bettenabbau gefragt.

 

 

 

Machtlos gegen Rom?

 

Seit Ende März ist Landeshauptmann Arno Kompatscher für die Sanitätsagenden zuständig, die er Thomas Widmann entzogen hat. Daher steht auch Kompatschers Unterschrift unter den schriftlichen Antworten auf die Anfragen der Opposition. Er legt Wert auf ein Detail: Die zuletzt von 2019 auf 2020 stark zurückgegangene Bettenanzahl (von 1.734 auf 1.585) sei der Pandemie geschuldet, wegen der “ein wesentlicher Abbau der Betten infolge der Schließung einiger Abteilungen zu verzeichnen ist”.
Allgemein sei der Abbau der Krankenhausbetten infolge des medizinischen Fortschritts möglich geworden: “Viele stationäre Aufenthalte sind aufgrund weniger invasiver Eingriffe nicht mehr notwendig und können durch tagesklinische Aufenthalte oder sogar ambulante Behandlungen ersetzt werden.” Das übergeordnete Ziel des Bettenabbaus seien aber Einsparungen in der Sanität, zu denen Rom auch Südtirol verdonnert habe, erklärt Kompatscher in seiner Antwort. Wörtlich heißt es: 

“Der Abbau der Krankenhausbetten beruht auf gesetzlichen Vorgaben. Das Gesetzesdekret 95/2012 hat einen Richtwert von 3,7 Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner definiert. Diese gesetzlichen Vorgaben muss auch Südtirol einhalten. Diese Maßnahme wurde im Sinne der so genannten Spending Review getroffen und es wurden entsprechende Beschlüsse der Landesregierung gefasst. Damit verfolgte der Gesetzgeber das Ziel der Einsparungen im Gesundheitsbereich, indem die nicht angemessenen Krankenhausaufenthalte verringert und die Aufenthaltsdauer angemessener Krankenhausaufenthalte gekürzt, und im Gegenzug wohnortnahe Dienste, besonders für chronisch kranke Patienten, etabliert werden sollten.”

Es ist eine Erklärung, die verwundern darf.

 

Monti als Deckmantel


Rückblende: Im Februar 2013 kommt es im Landtag zu einer hitzigen Debatte rund um den Antrag, mit dem Andreas Pöder die Landesregierung dazu bewegen will, vom Bettenabbau im Zuge der Spending Review abzusehen. Am Ende wird der Antrag mit 18 Nein, acht Ja und drei Enthaltungen abgelehnt – auch weil Landesrat Theiner keinen Spielraum sieht, von den Vorgaben aus Rom abzuweichen: “Wir sind dazu gezwungen, diese Sparmaßnahmen umzusetzen, und ich kann Ihnen versichern, dass uns das nicht Spaß macht.” Scharf kontert Pius Leitner: “Man möge bitte nicht etwas unter dem Deckmantel der Spending Review von Monti verstecken, was man selber auch gemacht hätte.” Der Freiheitlichen-Chef wirft der SVP vor, im Zuge der klinischen Reform ohnehin einen Bettenabbau in Gang gesetzt und mit Monti einen willkommenen Sündenbock gefunden zu haben – zumal wenige Monate später Landtagswahlen anstehen und die Streichung von Krankenhausbetten wohl zu der Wahlwerbung zählt, die keine Partei für sich machen will.

Zugleich – und darauf verweist Theiner im Februar 2013 mehrmals – hat die Landesregierung unter Luis Durnwalder bereits im Oktober 2012 eine Verfassungsbeschwerde gegen das Dekret zur Spending Review eingereicht. Im Juni 2015 befinden die Richter schließlich: Der von Bozen beanstandete Passus zum Bettenabbau ist verfassungswidrig. Südtirol darf, genauso wie das Trentino, die Ausgaben im Gesundheitsbereich und damit die Bettenpolitik autonom gestalten. Weil die beiden Gesundheitssysteme zur Gänze aus dem Haushalt der beiden Provinzen finanziert werden. “Lo Stato non ha comunque titolo per dettare norme di coordinamento finanziario che definiscano le modalità di contenimento di una spesa sanitaria interamente sostenuta da tali enti”, heißt es im Urteil des Verfassungsgerichts, das unter anderem der damalige SVP-Senator Karl Zeller erfreut begrüßte. Umso erstaunlicher, dass knapp sieben Jahre nach dem Urteilsspruch der Landeshauptmann den Bettenabbau in den Krankenhäusern mit eben jenem Dekret rechtfertigt, das Südtirol volle Autonomie bei den Ausgaben und Einsparungen im Sanitätswesen bescheinigt.

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Josef Fulterer Mer, 04/20/2022 - 05:59

Bettenabbau? - vor Allem, das Krankenhaus Bozen wuchert wie ein Krebs.
Wäre es nicht sinnvoller, die durch "den medizinischen Fortschritt" frei gewordenen Räume zu verwenden, statt laufend die neuen hoch-verglasten Räume zu schaffen, die außer dem höherern Heizungsaufwand, im Sommer "kostspielig klimatisiert werden müssen" und die Gebäudewartungskosten gewaltig in die Höhe treiben?

Mer, 04/20/2022 - 05:59 Collegamento permanente
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Stereo Typ Mer, 04/20/2022 - 08:59

Es wäre jetzt an der Zeit, die Krankenhausbetten wieder aufzustocken und vor allem mehr Personal einzustellen. Lohnanreize könnten helfen. Sonst stehen wir im Herbst wieder vor einem Engpass und als einziger Ausweg wird die Impfung gepriesen werden.

Mer, 04/20/2022 - 08:59 Collegamento permanente
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Dietmar Nußbaumer Mer, 04/20/2022 - 20:55

Der Bettenabbau geht zu Lasten der Geringverdiener und Familien, die sich nicht eine private Krankenversicherung leisten können. Dieses Phänomen "gedeiht" leider in einem Großteil Europas und macht auch vor Südtirol nicht halt.

Mer, 04/20/2022 - 20:55 Collegamento permanente
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Stefan S Gio, 04/21/2022 - 11:11

In risposta a di Dietmar Nußbaumer

Grundsätzlich sehe ich das auch so wobei man schon beachten sollte das die Aussage von Kompatscher bezüglich den besseren Heilmethoden auch zutrifft. Insbesondere die Erkenntnis das die Chance auf Heilung in den eigenen 4 Wänden größer ist als im Krankenhaus.
Zum einem durch das Wohlfühlbefinden und zum anderen wegen der geringeren Belastung durch weiterer Krankheitserreger.

Gio, 04/21/2022 - 11:11 Collegamento permanente