Cultura | Bibliophile Fragen

„Digital tut es auch“

Der Autor und Lehrer Martin Pichler hat ein Theaterstück für Schüler*innen zum Thema "Bücherverbrennung" geschrieben. Und er hat "die immer gleichen Fragen" beantwortet.
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Foto: Privat
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?

    Martin Pichler: Noch heute habe ich die Ausgabe von 1949, die schon meine Mutter in den Händen hielt. Beim elften Kapitel sind zwei Seiten voller Tintenkleckse. Meine Mutter ist da wohl nicht achtsam gewesen. Aber als kleiner Junge wusste ich: Gleich nach den verschmierten Seiten kommt die Stelle, wo meine Mutter beim Lesen geweint hat. Im Buch von Erich Kästner kann der Internatsschüler Martin (!) über Weihnachten nicht heimfahren, weil ihm das Fahrgeld fehlt. Sein verständnisvoller Lehrer streckt es ihm zu, sodass Martins Weihnachtswunsch schließlich doch noch in Erfüllung geht. Prompt sind mir – dem kleinen Jungen - an derselben Stelle ebenfalls die Tränen geflossen. Da steckt ja so viel drin – nicht zuletzt wird in dem herzerwärmenden Buch auch ein Theaterstück aufgeführt: „Das fliegende Klassenzimmer“! 

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?

    „Für so ein unbeholfenes, tapsiges Kind war Jacobs Berührung erstaunlich leicht – so zart wie zwei Schneeflocken, die auf seine Nasenflügel fielen.“ Das ist der letzte Satz in diesem Buch, aber auch viele andere Sätze in diesem literarischen Kinderbuch für Erwachsene haben Kopfkino-Effekt, angefangen beim Titel: Paul ohne Jacob von Paula Fox
     

    96% gelesen. Klingt wie die Anzeige einer Fitness-App

  • Martin Pichler: Geboren 1970 in Bozen. Studium der Germanistik, Romanistik und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck. Autor und Lehrer für literarische Fächer an der Mittelschule „Mariengarten“ in St. Pauls/Eppan. Foto: Privat

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?

    Ganz spontan fällt mir zu dieser Frage kein Buch ein, sondern eine TV-Serie, die ich nach der ersten Staffel abgebrochen habe und deren Reiz sich mir einfach nicht erschlossen hat: Breaking Bad – ich weiß, dies kommt unter Serienjunkies einem Frevel gleich! Bei Büchern ist es oft der momentan gehypte Bestseller, der mich etwas ratlos darüber lässt, worin der millionenfache Reiz wohl besteht. 

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?

    Bei Lokalkrimis muss ich passen. Auch das Serienmäßige mag ich lieber im TV-Format. Und Harry Hole darf ich hier ja nicht nennen, weil Norwegen ist nicht Südtirol. Aber damit die Seite hier nicht so leer bleibt, empfehle ich einen starken Krimi der ganz anderen Art: Einer von den Guten von Jan Costin Wagner. Ach ja, zu dem wünsche ich mir dann doch eine Fortsetzung!

    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?

    Ich habe mir in den vielen Jahren einen bunten Lesekreis aufgebaut, Freundinnen und Freunde, die leidenschaftliche Leser sind, und wenn da mal ein Tipp daneben geht, ist das nicht schlimm, im Gegenteil, dann wird nachher tüchtig darüber diskutiert – und ich genieße das! Aktuelles Beispiel: Yellowface von Rebecca F. Kuang. Den aktuellen Rummel um diesen Roman kann ich nicht nachvollziehen, deshalb wetze ich schon mal meine Messer!

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?

    In einer Welt und Zeit, wo Bücher aus Bibliotheken verbannt werden und wo schwarze Listen verbotener Bücher kursieren, will ich kein weiteres Beispiel kreativer Buchentsorgung liefern. Das Thema berührt und beeindruckt mich einfach zu sehr. An meiner Schule haben wir heuer ein Theaterstück aufgeführt, das sich mit „Bücherverbrennungen“ beschäftigt und mit dem politischen Geist, der dahintersteckt – deshalb reagiere ich da sehr sensibel.

  • Roter Salamander: Ein Stück von Martin Pichler, Regie: Alexandra Hofer
    (c) Mariengarten

  • Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?

    Wenn möglich, würde ich alles nur gedruckt auf Papier lesen, damit alle Sinne voll auf ihre Kosten kommen. Aber ich bin kein Purist: Digital tut es auch (vor allem am Strand). So richtige fette Schwarten müssen aber schwer in der Hand liegen. Während die Beute in der linken anwächst, schmilzt sie in der rechten dahin. Der Reader ist mir da zu mathematisch abstrakt: 96% gelesen. Klingt wie die Anzeige einer Fitness-App. 

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?

    Ich freue mich immer sehr, wenn ein neues Buch einer Südtiroler Autorin erscheint, die ich persönlich kenne. Dasselbe gilt natürlich auch für Autoren. Drum nenne ich einfach das letzte Buch, das ich gelesen habe und das mich stark beeindruckt hat: Ein Hund kam in die Küche von Sepp Mall.